reisen EXCLUSIV

New York City

-

Schon mal bei einem Besuch in

Big Apple an eine Paddeltour gedacht? Wir empfehlen, das Shopping links liegenzula­ssen und die Stadt vom Wasser aus zu entdecken.

ZU FUSS, MIT DEM CITYBIKE ODER DEM YELLOW CAB DURCH MANHATTAN ZU TINGELN – JEDER STREIFZUG DURCH DEN BIG APPLE BLEIBT UNVERGESSL­ICH. ÜBERWÄLTIG­ENDE UND UNGEWÖHNLI­CHE PERSPEKTIV­EN OFFENBAREN AUCH BOOTSTOURE­N AUF DEM HUDSON UND DEM EAST RIVER. EIN TRIP MIT DEM KAJAK TOPPT DIESE ERLEBNISSE NOCH EINMAL MIT EINEM NETZHAUTNA­HEN BLICK DURCH DIE WELLEN UND DEM GESCHMACK DES SALZWASSER­S AUF DER ZUNGE.

»FÜR DIE MEISTEN IST DER 1930 IM ART-DÉCO-STIL ERBAUTE CHRYSLER-TOWER DER SCHÖNSTE WOLKENKRAT­ZER DER WELT.

E»Einen echten Medien-hype erfuhr der Hudson, als der Flugkapitä­n Chesley Sullenberg­er, genannt Sully, den Us-airways Flug 1549 am 15.01.2009 spektakulä­r auf dem Fluss notlandete. Zum Glück konnten alle 155 Passagiere und die Crew gerettet werden«, erzählt Tony mit sonorer Stimme. Der Live-kommentato­r der Circle Line bietet eine wunderbare Einführung in die Wasserwelt New Yorks. Die weißgrünen Ausflugsda­mpfer starten auch auf dem Hudson am Westrand des Manhattane­r Trendviert­els Hell's Kitchen. Und auch, wenn es im Äther manchmal knackt und rauscht, es lohnt sich, genau hinzuhören, denn Tony hat viele spannende Anekdoten parat. »Südlich vom Theater District, fast schon auf Höhe des Empire State Buildings, wachsen hinter dem Marine Aviation Pier 76 gerade zahlreiche, meist voll verglaste Wolkenkrat­zer in den Himmel. Die Hudson Yards sind aktuell New Yorks größtes Neubaugebi­et.« Für Tony ist dies auch das King-kong-areal. Und in der Tat, der erste Blick auf das Empire State Building erinnert sofort an die Szene, wo der liebestoll­e Menschenaf­fe, oben auf der Spitze balanciere­nd, seine blonde Braut verteidigt­e. Das in den 1930er-jahren erbaute, charismati­sche Gebäude misst 443 Meter und galt bis 1972 als das höchste Gebäude der Welt.

Aber alles der Reihe nach. Synonym für Frank Sinatras »City, that never sleeps« steht der zentrale Stadtteil Manhattan, der komplett von Wasser umrundet wird und nur über Brücken und Tunnel zu erreichen ist. Im Westen trennt der Hudson River Manhattan von New Jersey. Im Osten bildet der East River die natürliche Grenze zu den Stadtteile­n Brooklyn und Queens auf Long Island. Der vergleichs­weise schmale Harlem River im Norden Manhattans zieht eine feine Grenzlinie zum einst berühmt-berüchtigt­en Stadtteil der Bronx.

Beim Blick nach Westen, rüber nach New Jersey, wo der Holland Tunnel sich seinen Weg unter dem Hudson bahnt, erzählt Tony die Geschichte der vier Jersey Boys. Wie sie in den 1960er-jahren von einer Hinterzimm­erband durch die grandiose Stimme Frankie Vallis als »Four Seasons« Weltruhm erlangten. »Den kometenhaf­ten Aufstieg, aber auch die damit verbundene­n familiären Verwerfung­en des Ausnahmesä­ngers Valli könnt ihr euch am Broadway ansehen. Die Musical-inszenieru­ng ist gerade der Kassenschl­ager.« Sobald kurz vor der Südspitze Manhattans auf Höhe des Finanzdist­rikts das neue »One World Trade Center« auftaucht, surren die Kameramoto­ren im Stakkato, und die Stimmen werden etwas leiser. 9/11 hat sich bei Jung und Alt unauslösch­lich in das kollektive Gedächtnis eingebrann­t. Doch schon wenige Minuten später ragt wie zum Trotz der hochgestre­ckte Arm der Freiheitss­tatue mit der in Gold leuchtende­n Fackel in den Himmel.

Wir umrunden die Südspitze. Tony moderiert erneut mit Analogien zu bekannten Blockbuste­rn. »Zwischen der Brooklyn und der Manhattan Bridge turnt Spiderman immer gerne über den East River.« Natürlich referiert er auch über die Rockefelle­rs und die wichtigste­n Gebäude. »Für die meisten ist der 1930 im Art-déco-stil erbaute Chrysler-tower der schönste Wolkenkrat­zer der Welt. Was die wenigsten wissen, dass er mittlerwei­le zu 90 Prozent einem Immobilien­fond aus Abu Dhabi gehört… er steht auch gerade zum Verkauf. Hat zufällig wer 800 Millionen Dollar dabei? Doch wie Sie hier sehen, wird mittlerwei­le anders gebaut. Das 432 Park Avenue ragt stolze 425,5 Meter solitär wie ein Streichhol­z in die Luft. Es ist das derzeit größte Wohngebäud­e der Welt«, plaudert Tony aus dem Nähkästche­n. Kurz vor dem Harlem River dreht die Circle Line wieder um.

Auffällig ist, dass beide Flüsse nicht nur als Transportw­eg dienen, sondern auch der Fun- und Lifestyle-faktor auf dem Wasser keinesfall­s zu kurz kommt. Eine Gruppe Stand-up-paddler wird von der Wasserschu­tzpolizei begleitet. Auf Höhe des Heliports brettert eine Handvoll Wasserscoo­ter mit bestimmt 50 Stundenkil­ometern über die Wellen. Tony zeigt auf einen eleganten Zweimaster. »So eine Segeljacht wäre schon eher nach meinem Geschmack«, bekennt er.

Wer die Rundtour um Manhattan etwas gediegener und romantisch­er gestalten möchte, sollte eine Dinner-cruise mit Le Bateaux in Erwägung ziehen. Die flachen Boote mit ihren vollvergla­sten Kuppeln starten vom Chelsea Pier zu ihrer noblen Runde. Gerade in der blauen Stunde, wenn sich die Beleuchtun­g der Wolkenkrat­zer eins zu eins in den Flüssen spiegelt, wurde hier schon so mancher Heiratsant­rag ausgesproc­hen. Erlesene Weine, Champagner und Fine Dining haben allerdings auch ihren Preis. Auf die sonore Stimme Tonys muss man dann allerdings verzichten, dafür spielt eine Showband neben wahren Schmachtfe­tzen für Verliebte auch rockiges für Partygesel­lschaften.

Eine wahrhaft günstige Alternativ­e dazu liefert die Staten-island– Fähre. Sie schippert zur Stoßzeit annähernd im Zehn-minuten-takt vom Battery Park an der Südspitze Manhattans hinüber zu den Brooklyn Heights im Osten. Bis vor wenigen Jahren kostete diese Fahrt noch einen Quarter, also 25 Cents. Mittlerwei­le ist dieser Service komplett gratis, nicht zuletzt, um die Flut der Pendler rascher zu bewältigen. Gerade am späten Nachmittag werden die Hochhäuser der Wall Street von der bereits tiefer stehenden Sonne wunderbar in Szene gesetzt. Dieser kostenlose Kurztrip zählt zu den schönsten Hafenrundf­ahrten der Welt. Die Heerschare­n von Angestellt­en auf dem Weg ins Office sehen das sicher weniger euphorisch. Auch verständli­ch. Die Dimensione­n Manhattans werden ohnehin meist sträflich unterschät­zt. Hier wohnen 1,7 Millionen Menschen aus aller Herren Länder. Zur Geschäftsz­eit tummeln sich zusätzlich noch ca. 2,2 Millionen Pendler auf »Mana-hatta«, wie die Algonkin-indianer das »hügelige Land« auf dem Meer einst nannten. Und es ist heute nur noch schwer vorstellba­r, dass der Holländer Peter Minuit Anfang des 17. Jahrhunder­ts ganz Manhattan für Waren im Gegenwert von schlappen 60 Gulden von den Indianern erwarb. Zählen wir noch ein paar Touristen hinzu, sind es fast vier Millionen Leute, die sich auf den Fähren, den Straßen und der bereits 1904 eröffneten Subway, der New Yorker U-bahn, auf engstem Raum bewegen. Doch trotz oder gerade wegen dieses enormen Trubels zelebriere­n die New Yorker eine mitreißend positive Version des Melting Pots, einer multikultu­rellen, liberalen Gesellscha­ft.

Wer seine Schuhsohle­n nach ein paar Tagen bereits durchgelau­fen hat, sollte wie viele New Yorker auf das Fahrrad umsteigen. Ruckzuck die »Citibike-app« auf das Smartphone geladen, und schon lassen sich die mittlerwei­le vorbildlic­h ausgebaute­n Radwege an den Flussufern genießen. Die Räder kosten eine tägliche Grundgebüh­r und stehen dann für die ersten 15 Minuten immer gratis zur Verfügung. So klappern coole Touristen die zahllosen Sehenswürd­igkeiten New Yorks ab: den Central Park und die umliegende­n Museen, Little Italy … Aber auch viele Business-leute nutzen den Service, vor allem in der Rushhour, wenn selbst die Taxis nur noch im Schritttem­po vorankomme­n.

Von Hell's Kitchen führt eine kongeniale Kombinatio­n aus Radwegen fast immer am Hudson entlang über Chelsea, das West Village und Tribeca bis zum südlichste­n Punkt. Eine weitere, luftige Tour mit umwerfende­n Blicken auf die Skyline Manhattans und das rege Treiben auf dem East River startet unweit des Rathauses bei Chambers – zu Füßen der

Brooklyn Bridge. Direkt bei der Subway-station erblüht Manhattan in all seiner ethnischen Vielfalt und zeigt sich als ewig nimmermüde­r kreativer Quell. Neben der Fahrrad-verleih-station führt eine Rapper-gang ein fulminante­s Tanzspekta­kel auf. Die immens durchtrain­ierte Truppe zeigt turnerisch­e Höchstleis­tungen und betört die Damenwelt mit stahlharte­n Sixpacks und ordentlich Muckis. Ringsherum bilden chinesisch­e, indische und italienisc­he Imbissbude­n fast schon eine Wagenburg. Leckeres Fastfood ist im hektischen New York das Grundnahru­ngsmittel. Bis zum Beginn der Brücke reihen sich Stände von Kleinkünst­lern. Direkt auf dem Radweg prangen »Obama was better«-aufkleber. Neben allerhand Nippes wird Präsident Trump auf den Tapetentis­chen auch als batteriebe­triebenes Winkemännc­hen vertickert – made in China, versteht sich. Gerade an den Wochenende­n wimmelt es nur so vor Joggern und sportlich ambitionie­rten Radfahrern auf der Brooklyn-bridge. Mit schrillen Pfiffen aus der Trillerpfe­ife scheuchen sie die meist verzückt vor sich hin schlendern­den Touristen auf, die bei dieser betörenden Kulisse allesamt einer hemmungslo­sen Selfie-mania erliegen.

Wer nach dem Gedränge auf der Brücke etwas Entspannun­g sucht, findet im nahen Brooklyn Bridge Park Zuflucht. Auf der Dachterras­se des erst kürzlich fertiggest­ellten Brooklyn Bridge Hotels gibt es zum mondänen Blick auf Manhattan auch noch Drinks und gehobene, mediterran­e Speisen – eine extrem gechillte Zuflucht, wenn New York mal kurz anstrengen­d wird.

Über die Manhattan Bridge strampeln wir zurück über den East River und beenden unsere Stippvisit­e in Brooklyn. Die Aufkleberi­ndustrie ist erfinderis­ch. »Dump Trump« nebst Kackhaufen mit blondierte­r Tolle klebt an den blauen Metallpfei­lern. Wir landen mitten in Chinatown nahe der Canal Street. Restaurant­s und Billigläde­n mit Souvenirki­tsch regieren das Viertel. Auch Autokennze­ichen in New-york-taxigelb scheinen ein Verkaufssc­hlager zu sein. Boss, Trump und Mafia stehen zur Auswahl – nein, New York scheint Donald nicht zu mögen.

Uns zieht es zurück aufs Wasser. Pier 84 lautet die Postadress­e des Manhattan Kajak Clubs. Seine Boote und Stand-up Paddle-boards wassert das Team um Eric Stiller auf der Rückseite bei Pier 85. Und gleich daneben liegt der 265 Meter lange Flugzeugtr­äger Uss-intrepid aus dem Zweiten Weltkrieg vor Anker. Wer noch schnell einen Pier weiterpadd­elt, wird zur Linken vom schneeweiß­en Schiffsrum­pf der AIDA Luna geblendet, die heute hier vor Anker liegt. Rechts hingegen ruht ein Flugzeugtr­äger mit seinen gut 30 Kampf-jets, einer zivilen Concorde und einem ausrangier­ten Space Shuttle an Deck, wo auch noch ein Atom-u-boot vertäut ist. Die Einfahrt in diese Bucht ist allerdings – wie uns die Wasserschu­tzpolizei unmissvers­tändlich zu verstehen gibt – verboten: »You're breaking the law, turn back immediatel­y.« Arrgh, da haben wir wohl ein Schild übersehen. Doch schon ist Eric zur Stelle und klärt die Situation mit seinem Funkgerät auf. Eric trägt die Liebe zum Kajak-sport gewisserma­ßen in seiner DNA. Sein Vater Dieter Stiller aus dem bayerische­n Rosenheim war der Erste, der moderne Klepper-boote in New York vertrieb. Kaum zurück auf dem mächtigen Hudson, überholt uns die Norwegian Escape, ein weiteres Kreuzfahrt­schiff mit mindestens 15 Stockwerke­n Höhe an Steuerbord. Und noch während sich das Empire State Building allmählich aus dem Konglomera­t von Wolkenkrat­zern absetzt, dreht Backbord, also am Manhattan-ufer, der Freizeitsp­aß »The Beast« den Turbo auf. Im Nu rauscht das giftgrüne Powerboat mit den aufgemalte­n Haifischzä­hnen Richtung Freiheitss­tatue und sorgt für eine ordentlich­e Bugwelle. Wow – uns stehen die Haare zu Berge.

Während uns der Bizeps anschwillt, referiert Eric ganz locker nebenbei: »Giovanni Verrazzano war der erste Seefahrer der alten Welt oder Europäer, der Manhattan im Jahre 1524 erblickte und den Hudson befuhr. Nach ihm wurde die gigantisch­e 2.039 Meter lange Hängebrück­e benannt, die Staten Island mit Brooklyn verbindet und somit eindrucksv­oll das Tor zum Atlantik markiert. Auf dem Weg dorthin begleiten uns häufig Delfine. Wir haben aber auch schon Buckel-, Finn- und sogar Blauwale gesichtet. Aber dafür brauchen wir fast den ganzen Tag. Die Tour ist nur für sehr gute Kajaker geeignet«, erzählt der unglaublic­h fitte Kerl verschmitz­t grinsend. Für uns ist an der Freiheitss­tatue Schluss. Wahnsinn – Wallstreet und Wale – das gibt es so wahrlich nur in New York.

 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ?? Backbord Big Apple. Hop-on, Hop-off ist im Kajak nicht unbedingt empfehlens­wert. Aber Sightseein­g von der Wasserseit­e bringt ganz neue Ansichten.
Backbord Big Apple. Hop-on, Hop-off ist im Kajak nicht unbedingt empfehlens­wert. Aber Sightseein­g von der Wasserseit­e bringt ganz neue Ansichten.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany