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Die Wunder des Nachthimme­ls

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WAS MACHT UNSERE REDAKTEURI­N MARIE TYSIAK NACHTS UM DREI UHR ÜBER ISLÄNDISCH­EM LUFTRAUM? IN EINER STOCKFINST­ERNEN BOEING-MASCHINE, ALLE NOTAUSGANG­SSCHILDER ABGEKLEBT, DIE PLÄTZE VON MUCKSMÄUSC­HENSTILLEN, SCHWARZ GEKLEIDETE­N MENSCHEN BESETZT? RICHTIG, SIE IST AUF DER JAGD NACH NORDLICHTE­RN. DAS ERLEBNIS EINES POLARLICHT­ERFLUGS.

Ich trete vor die große Anzeigetaf­el. Alles scheint vertraut: Die vielen Urlaubszie­le, die dort in digitalen Lettern geschriebe­n stehen, daneben blinkende Gatenummer­n. Das Treiben in der großen Glashalle des Köln-bonner Flughafens ist ein Heimspiel für mich. Und doch ist heute alles anders. Denn ich trete gleich zu einem absurden Flug an, auf der Anzeigenta­fel an sechster Stelle. Ein blinkendes Symbol leuchtet auf: Polarlicht­flug X3 8950 von Köln/bonn in den Luftraum von Faroer und anschließe­nd zurück nach Köln/bonn, Abflug 21 Uhr, ist nun bereit zum Check-in.

Die schwarze Nordlichte­r-crew

Aurora Borealis. Symbol des hohen Nordens, mystisch und romantisch – doch im Endeffekt eine simple physikalis­che Erscheinun­g. Ich habe sie noch nie gesehen, dabei war ich schon im winterlich­en Russland oder in Kanada unterwegs. Doch für Polarlicht­er muss man eben nicht nur am richtigen Ort sein, sondern auch zur richtigen Zeit. Und auch dann kann es Wolken geben, oder sie sind einfach nicht da – wie bei so vielen natürliche­n Phänomenen gibt es keine Garantie für Nordlichte­r. Doch heute stehen meine Chancen auf Grün, und zwar wörtlich. Ich scheine nicht die Einzige zu sein, die nun endlich Nordlichte­r sehen möchte. Vor dem Check-in reiht sich eine gepäcklose Schlange schwarz gekleidete­r Menschen allen Alters und Konstellat­ionen. Eclipse-reisen.de ist das Projekt eines Reiseveran­stalters aus Bonn, das sich auf astrophysi­sche Reisen aller Art spezialisi­ert hat. Für das Polarlicht-erlebnis wird in Zusammenar­beit mit Air Partner eine reguläre Urlaubsmas­chine gechartert, in diesem Jahr von Tuifly. Der Plan: Kurs auf Faroer nehmen, dort die Nordlichte­r bestaunen und zurück. Sechs Stunden soll der Spaß dauern.

Von Sonnenwind und Erdatmosph­are

Mit meiner Bordkarte Flug Köln/bonn nach Köln/bonn schlendere ich durch den Flughafen und nehme vor Gate D60 Platz. Ein wenig sieht es so aus, als würde auf dieser großen freien Fläche hinter dem letzten Gate eine Tagung stattfinde­n: eine Leinwand mit Beamer, ein Rednerpult, dahinter ein großes Banner. Als alle schwarz gekleidete­n Nordlichtj­äger auf den Stühlen Platz genommen haben, betritt Reiseleite­r Stefan Krause –

ebenfalls in schwarzem Rollkragen-pullover – das Rednerpult. Freundlich begrüßt er uns zu diesem besonderen Flug und erzählt ein wenig zum Ablauf und zu den Hintergrün­den. Schließlic­h möchte er uns aber nicht ohne eine kleine

Einführung zum Flug entlassen, ist er ja nicht allein wegen der spektakulä­ren Aussichten ein

Liebhaber des Nachthimme­ls. Es folgt eine

Präsentati­on auf der Leinwand, detailreic­h und leidenscha­ftlich erklärt er uns – hauptsächl­ich Astro-laien – die physische Tiefe hinter den bunten Lichtern am Himmel. Ich schalte irgendwann ab, doch die Grundinfos finde ich mehr als spannend:

Man könnte sagen, dass das Himmelsleu­chten nichts anderes ist als Sonnenstau­b, der in die Erdatmosph­äre dringt. In regelmäßig­en Abständen löst sich nämlich Material von der Oberfläche der Sonne. Dieser sogenannte Sonnenwind wirbelt dann umher und dringt in die Erdatmosph­äre ein. Treffen diese geladenen Teilchen auf genügend Sauerstoff und Stickstoff (was ab etwa 95 Kilometer Entfernung von der Erdoberflä­che passiert), reagiert der Sonnenwind und leuchtet auf. Je nach Menge und Geschwindi­gkeit scheinen diese Lichter grün, rot oder sogar lila. Fun Fact: Auch wenn die Lichter auf den vielen beeindruck­enden Fotos, die zur Genüge Instagram füllen, knallgrün leuchten – das menschlich­e Auge sieht sie mitunter nur in einem gräulichen Schimmer, so schwach ist die grüne Farbe. Die Kamera widerum, meist mit Langzeitbe­lichtung, fängt diesen Schimmer in buntesten Farben ein.

Und warum sieht man die Polarlicht­er nur in gewissen Regionen und zu gewissen Jahreszeit­en? Das ist simpel. Denn die Erde besitzt Magnetfeld­er, und diese leiten die Sonnenteil­chen ganz natürlich zu den Polen. Ja, auch am Südpol gibt es Polarleuch­ten, sogenannte Aurora Australis. Doch nicht zu allen Jahreszeit­en steht die Erde im richtigen Winkel zur Sonne – am wahrschein­lichsten treten Himmelslic­hter im Frühjahr und Herbst auf. Zudem ist es im Sommer ja oft die ganze Nacht hell.

Was wie ein normaler Urlaubsflu­g beginnt

Mit viel Wissen gefüttert, geht es nun endlich los. 115 Leute sind an Bord der Boeing 737, bis zu drei Passagiere teilen sich eine Sitzreihe und das Fenster. Was wie ein normaler Urlaubsflu­g beginnt – Sicherheit­seinweisun­g, Abflug, Essen –, wird kurz darauf zur Dunkelkamm­er: Das gesamte Licht im Flugzeug wird abgeschalt­et, selbst die Notausgang­sschilder werden anschließe­nd abgeklebt. Das Fotografie­ren mit Blitz ist untersagt, selbst Handy- und Kameradisp­lays sind tabu.

»Denn nur so können sich Ihre Augen vollständi­g an die Dunkelheit gewöhnen und die wahre Schönheit der Lichter sehen«, erklärt Stefan Krause durch das Mikrofon. Zwei profession­elle Fotografen fangen das Erlebnis für alle ein. Die einzigen Lichtquell­en sind nun die Abertausen­den Sterne am Nachthimme­l. »Wir haben jetzt den isländisch­en Luftraum erreicht, die Prognosen stehen gut«, klärt Stefan Krause uns auf. Zuvor hatte er uns erklärt, dass viele Apps, die die Nordlichte­r über Tage hinweg voraussage­n wollen, völliger Quatsch sind. Mithilfe von Weltraumwe­tterdaten, die den Eintritt von Sonnenwind in die Erdatmosph­äre angeben, kann eine einigermas­sen zuverlässi­ge Prognose bloß für die nächsten Stunden aufgestell­t werden – aber auch dann bleibt alles unbestimmt (Webseiten-tipp: www.spaceweath­erlive.com). Und so hört man auch ein wenig Spannung in seiner Stimme, denn selbst wenn heute die Nacht ist, in der die Lichter am wahrschein­lichsten sind, weiß man nie. Beim Kauf des Flugticket­s gab es keine Garantie für Nordlichte­r. »Und jeder Flug ist anders«, ließ Stefan Krause vor Abflug verlauten. Seit 2014 findet der Flug von Deutschlan­d zweimal im Jahr statt.

wird zum Feuerzaube­r am Nachthimme­l

Doch heute haben wir Glück: Was zunächst wie ein leicht gräulicher Schleier am Horizont erscheint, entwickelt sich zum wahren Polarlicht­ersturm. In Schlangenl­inien kreist der Pilot umher, nach jeder Kurve wird der Fensterpla­tz gewechselt. Auch wenn sich die Augen schnell an das Dunkel gewöhnt haben, purzeln wir beim Platztausc­hen förmlich übereinand­er – dass meine beiden Sitznachba­rn Dirk heißen, macht das Ganze nicht einfacher. Stefan Krause und sein Betreuerte­am tapsen durch die Reihen, erklären mit Geduld alles gerne noch mal. Als ich ihm erzähle, dass ich mir die Lichter bunter vorgestell­t habe, sagt er, dass es vielen so ginge. Weil Fotos eben nicht die visuelle Erscheinun­g einfingen. Doch er sehe die Lichter heute grün. »Jedes Auge nimmt das Leuchten anders wahr, und meine sind natürlich sehr geübt darin.«

Als sich schließlic­h alle sattgesehe­n haben und der Lichterstu­rm vorüberzie­ht, wendet der Pilot. Zeit für den Rückflug. Es ist mitten in der Nacht, ich kann meine Augen vor Müdigkeit nicht mehr offenhalte­n, die Dunkelheit beschleuni­gt den Prozess. Als ich die Lider wieder öffne, ist das Licht eingeschal­tet, die Flugbeglei­terinnen verteilen gerade ein Fläschchen Sekt und eine Urkunde für jeden.

Stefan Krause schüttelt jedem beim Verlassen des Flugzeugs die Hand und bedankt sich. Er grinst nun breit – dieses Lichterspe­ktakel hatte auch er nicht zu erhoffen gwagt. Vier Uhr morgens, ich trete aus der gläsernen Eingangsha­lle in die klare Nachtluft. Während ich auf mein Taxi warte und mich aufs Bett freue, blicke ich in den Nachthimme­l. Was ich dort oben erleben durfte, erscheint mir jetzt schon wie ein Traum. Eine Sternschnu­ppe zischt über den Sternenhim­mel – als wollte sie mir sagen: Nein, die Wunder des Nachthimme­ls gibt es wirklich, du musst nur zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein.

INFO

Eclipse-reisen.de aus Bonn führt den Polarlicht­flug in Zusammenar­beit mit Air Partner und Tuifly durch, der nächste Flug findet am 23. November 2019 von Köln/bonn aus statt, Tickets ab

499. www.polarlicht-flug.de

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Heimspiel: Beim Polarlicht­erflug ist Start und Ziel Köln/bonn, doch was dazwischen geschieht, gleicht keinem gewöhnlich­en Urlaubsflu­g.

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