Moment mal ...
Es gibt wohl keine andere Stadt weltweit, die für die drei Weltreligionen von größerer Bedeutung ist. Wie erleben Sie das Miteinander von Christen, Juden und Muslimen im Alltag?
Spannend ist, dass die verschiedenen Religionen in Jerusalem koexistieren können – weil sie es müssen. Denn die Altstadt ist so klein, dass man sich quasi nicht aus dem Weg gehen kann. So nehmen zum Beispiel orthodoxe Juden den Weg durchs muslimische Viertel, wenn sie zur Klagemauer wollen. Einige von ihnen schirmen ihre Augen dabei mit den Händen ab – nichts sehen, am besten auch nicht gesehen werden. Verschiedene Kulturen, unterschiedliche Narrative, und trotzdem klappt es irgendwie. Das zu beobachten, ist hochinteressant.
Sie schreiben, Jerusalem sei für Sie ein Ort, an dem Sie sich wohlfühlen und dem Sie sich gefühlsmäßig stark verbunden fühlen. Woher rührt diese besondere Verbundenheit?
In meiner Jugend habe ich in den USA als Kinderbetreuer in einem jüdischen Feriencamp gearbeitet. Daher stammt mein generelles Interesse an der Region. Die Liebe zu Jerusalem ist mit den Jahren immer größer geworden. Denn für mich steht fest: Nirgendwo sonst ist die Mischung von Weltanschauungen und Religionen so intensiv wie in der Heiligen Stadt. Ein Mikrokosmos mit einer ganz besonderen Energie.
Während Tel Aviv die moderne, kosmopolitische Seite Israels verkörpert, hat Jerusalem eher ein »schnarchiges« Image. Zu Recht?
Natürlich haben die Themen Geschichte und Religion einen großen Anteil am Lebensgefühl von Jerusalem – »schnarchig« würde ich das nicht nennen. Eher »faszinierend«, denn wo sonst kann man durch einen 2.700 Jahre alten, stockfinsteren Tunnel wandern, kniehoch durch kaltes Wasser? Und wo kann man sich das älteste Tattoomotiv der Welt stechen lassen? Dazu kommt noch eine coole, unerwartete Subkultur.
So verwandelt sich zum Beispiel der größte Lebensmittelmarkt Israels abends in eine hippe Dj-zone. Ein junger Künstler hat dort außerdem 230 faszinierende Murals gesprüht in der »Shuk Gallery«, einer kostenlosen Outdoor-kunstgalerie.
Was empfehlen Sie Touristen, die Jerusalem erstmals besuchen?
Generell sollte man möglichst vorurteilsfrei reisen. Wir Deutsche kennen die ganze Region – und Jerusalem im Speziellen – oft nur aus den Nachrichten. Meistens geht es dann um den Konflikt, selten wird über die Schönheit des Ortes berichtet. Außerdem sollte man sich darauf vorbereiten, dass einige Erwartungen ganz schön durchgeschüttelt werden.