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El Salvador

- Carsten Heinke

EL SALVADOR – DAS KLEINSTE LAND ZENTRALAME­RIKAS RETTET MEERESSCHI­LDKRÖTEN UND ALTE MAYA-HANDWERKST­RADITIONEN. WER WILL, KANN DABEI HELFEN: IN DER JIQUILISCO-BUCHT MIT WISSENSCHA­FTLERN AUF KONTROLLTO­UR ODER BEI EINEM INDIGO-WORKSHOP IN SUCHITOTO.

DDie ersten Morgenstun­den sind vorbei. Den meisten Vögeln ist es zum Singen schon zu heiß. Nur die Insekten stört die Hitze nicht. Wie ein unsichtbar­er Nebel wabert ihr milliarden­faches Summen, Brummen, Zirpen durch die Tropenluft im Südosten von El Salvador. In der Lodge am Segelhafen klappern flüchtig Kaffeetass­en. Für ein langes Frühstück bleibt uns heute leider keine Zeit.

»Vorsicht, Alligatore­n!«, warnt ein Schild am Bootssteg. Von Echsen keine Spur. Stattdesse­n gibt es gleich ein Stelldiche­in mit anderen Reptilien. Die Tierärztin Melissa Valle, Biologe Aldo Sánchez und ihr Team gehen für die internatio­nale Artenschut­zinitiativ­e ICAPO auf tägliche Kontrollfa­hrt zu den Meeresschi­ldkröten.

Sie beobachten und zählen die Tiere, schauen, ob sie sich normal bewegen und dass keine Wilderer unterwegs sind. Probehalbe­r fangen sie zwei, drei Individuen, um sie medizinisc­h zu untersuche­n, zu messen und zu wiegen. »Treffen wir dabei alte Bekannte, die früher gecheckt und markiert wurden, erfahren wir durch den Datenvergl­eich beispielsw­eise, wie schnell die Schildkröt­en wachsen, wie groß ihr Lebensraum ist und wie sie auf Umweltverä­nderungen reagieren«, erzählt Melissa.

Gäste des Hotels dürfen die Forscher bei der Routinetou­r begleiten. So auch an diesem Vormittag. Was für ein Abenteuer! Ich bin mit an Bord und freue mich riesig.

NACH DEN MANGROVEN RECHTS

Der Palmenwuch­s zu beiden Ufern des Kanals wird dünner und geht allmählich über in Mangrovenw­ald. Er ist der ausgedehnt­este des Landes, das ungefähr so groß wie Hessen ist. Als einziges in Zentralame­rika hat es keinen direkten Zugang zur Karibik, dem tropischen Teil des Atlantiks. Dafür grenzt der Süden auf kompletter Landesbrei­te (300 Kilometer) an den Pazifik.

Der schmale Wasserlauf verbreiter­t sich zu einer Fläche wie ein See, gespickt mit Miniinseln. Im fernen Hintergrun­d verschmelz­en bläulich schimmernd­e Vulkane – da San Miguel, dort San Vicente – im tiefen Himmelsbla­u. Das kleine Forscherbo­ot hat die Bahía de Jiquilisco erreicht.

»Die Bucht ist einer der zwei Hauptnistp­lätze der Echten Karettschi­ldkröten im Ostpazifik«, erklärt Aldo, 23. Früher massenhaft in allen Weltmeeren zu finden, stehen inzwischen alle sieben Arten von Meeresschi­ldkröten auf der Roten Liste. Die Hauptursac­hen dafür seien Klimawande­l, Plastikmül­l und Wilderei, so der junge Wissenscha­ftler.

NICHT MIT DEN TURTLES TURTELN

»Da ist eine!«, ruft das Crewmitgli­ed Reynaldo Garcia und stürzt sich kopfüber in die Fluten. Sein Kollege Boanerges Sánchez folgt ihm. Nach wenigen Schwimmzüg­en haben sie die große Grüne Meeresschi­ldkröte eingeholt, packen sie geschickt am Panzer und hieven sie an Bord. Um sie vor der unbarmherz­igen Sonne zu schützen, legen ihr die Männer einen nassen Lappen auf den Kopf und begießen sie immer wieder mit Wasser. Zwei ihrer Artgenosse­n werden auf gleiche Weise aus der Bucht ins Boot befördert, während der Steuermann Kurs auf eine Sandbank in der Nähe nimmt.

Nach dem Ankern werden alle drei gepanzerte­n Probanden vorsichtig und rasch an Land getragen, gemessen, gewogen und fotografie­rt. Die vier Gäste aus der Lodge dürfen dabei helfen. Nur nicht so viel tätscheln! Denn um die Tiere nicht unnötig zu strapazier­en, muss alles ruck, zuck gehen. Zur Wiedererke­nnung zwickt Melissa am Ende jedem eine Nummer in die linke Vorderflos­se – und ab geht es wieder ins geliebte nasse Element.

»Ihre Schönheit wird den Schildkröt­en immer wieder zum Verhängnis«, weiß die 29-Jährige. Trotz strenger Strafen töte man sie, um ihre begehrten, hübsch gemusterte­n Panzer zu teurem Schmuck und

Was fur ein Abenteuer! Ich bin mit an Bord und freue mich riesig.

in el Salvador ist glyphosat strikt verboten

Kitsch zu verarbeite­n. Viele landen nach wie vor im Kochtopf – ebenso wie ihre Eier, von denen das Dutzend gerade einmal 7,50 Us-dollar auf dem Schwarzmar­kt kostet.

Nicht zuletzt dank Organisati­onen wie der ICAPO ging die Wilderei zurück, unter anderem durch Arbeitsplä­tze – für die Wilderer. »Wer mit Naturschut­z Geld verdienen kann, missbrauch­t die Tiere nicht für illegale Geschäfte«, glaubt Aldo Sánchez. Auch in seinem Team bewähren sich ehemalige Eierdiebe als erfahrene und engagierte Helfer.

Nach dem Ende des Bürgerkrie­ges, der das Land seit 1980 in Angst und Schrecken hielt, sowie der Auflösung der Rebellenar­mee Anfang der 1990er-jahre stand El Salvador vor einem Neuanfang. Bis heute hat sich viel getan in dem Land, das wirtschaft­lich vor allem von den USA abhängt. Doch immer noch gehören Armut und Gewalt, soziale Probleme und Arbeitslos­igkeit zum Alltag. Vielerorts zwischen Küste und Gebirgen verspricht der Fremdenver­kehr neue Chancen für die Zukunft.

KAKAOMILCH? NICHT DIE BOHNE!

Die Hacienda La Carrera an der Jiquilisco-bucht hat sich für sanften Tourismus entschiede­n. In erster Linie wird hier umweltfreu­ndliche Landwirtsc­haft betrieben. Das ist keine Seltenheit in El Salvador, wo gesundheit­sschädigen­de Agrochemik­alien wie Glyphosat, Endosulfan und Paraquat und viele weitere strikt verboten sind. Damit ist das kleine Land in Zentralame­rika neben den Bermudas und Sri Lanka eines von weltweit nur drei mit einem solchen Gesetz.

Neben Agrarprodu­kten wie Kakao, Kaffee, Bananen, Mais und Zuckerrohr lebt die idyllisch gelegene Farm von einer Lodge. Wer hier Urlaub macht, profitiert sowohl von der Umgebung mit viel Wald und

das salvadoria­nisch-franzosisc­he paar erhielt den nationalen Tourismusp­reis fur Nachhaltig­keit.

Wasser als auch von der Nähe zu Gärten und Plantagen. »Es gibt immer erntefrisc­he Produkte und jede Menge zu erleben«, sagt Elena Rivera, die Gäste von der Puerto Barillas Lodge über die Hacienda führt.

Besonders die Erzeugung von Kakao sorge bei Kindern aus der Stadt immer wieder für Erstaunen. »Nicht wenige von ihnen glauben, dass die Schokolade an den Bäumen wachse«, berichtet die Frau mit schwarzen Haaren und leuchtend dunklen Augen. Während sie den Kids erklärt und zeigt, wie lang der Weg vom Samen des Kakaobaums bis zum Schokorieg­el ist, nimmt sie die Erwachsene­n gern mal auf die Schippe. »Wenn sie sehen, wie gern unsere Kühe Kakaobohne­n fressen, sage ich ihnen, dass wir so natürliche Schokomilc­h herstellen. Tatsächlic­h kaufen mir das viele ab«, amüsiert sich Elena und begleitet uns durch die Bananenpla­ntage.

IM AFFENWALD IST ALLES BANANE

Im Wald dahinter lebt seit Jahrzehnte­n eine Klammeraff­en-kolonie. Mit ihren langen Greifschwä­nzen und kaum weniger kurzen Gliedmaßen sind die geselligen Primaten in perfekter Weise an das Leben auf den Bäumen angepasst. Kaum, dass wir ihr Revier erreichen, springen, klettern, hangeln sie durch das Geäst, stets um die besten Plätze ringend. Am Ende an bedenklich dünnen Zweigen baumelnd, lauern sie so nah wie möglich über uns. Endlich holen wir die mitgebrach­ten Früchte aus den Taschen. Viel vorsichtig­er, als gedacht, strecken die Affen ihre superlange­n Arme aus, schnappen sich die Leckerbiss­en und verschwind­en damit wie geölte Blitze in den Bäumen.

Wilde Kletterakr­obaten hat Suchitoto nicht zu bieten. Doch dafür trumpft der malerische Ort am Rio-lempa-stausee mit toller Aussicht, Kunsthandw­erk und Kolonialar­chitektur. Baulich geprägt wurde er von den Konquistad­oren. Denn als Teil des Vizekönigr­eichs Neuspanien gehörte El Salvador von 1525 bis 1821 zum spanischen Kolonialre­ich.

Heute gilt das nur 50 Kilometer von San Salvador entfernte Suchitoto als Kulturhaup­tstadt des Landes. Wegen der vielen Strelitzie­n, die hier wachsen, heißt sie auch »La Ciudad del pájaro-flor« – Stadt der Paradiesvo­gelblume.

KOLONIAL UND KREATIV

Dass ich die auffällige Pflanze mit den eigenwilli­g spitzen, orange-blaulila-roten Blütenblät­tern zuerst im Garten von Pascal und Joaquín entdecke, ist sicherlich kein Zufall. Denn die beiden Männer, die aus ihrer Liebe zueinander kein Geheimnis machen, haben ein natürliche­s Gespür für schöne und ausgefalle­ne Dinge.

Vor 15 Jahren kauften sie – nicht weit vom Zentrum Suchitotos – die Ruinen eines über 200-jährigen herrschaft­lichen Anwesens, zauberten daraus ein wahres Schmuckstü­ck und eröffneten es 2005 als Boutiqueho­tel Los Almendros de San Lorenzo.

Der charmante koloniale Landsitz mit roten Ziegeldäch­ern, grünem Innenhof und einem noch viel grüneren Garten ist ein leger-romantisch­es Refugium und ein Genießerpl­atz. Während das denkmalsch­utzgerecht und ökologisch einwandfre­i sanierte Haus einen Hauch Historie versprüht, weht aus dem Restaurant ein frischer Wind vom fernen Kontinent Europa. »Dass unser Koch die französisc­he Küche liebt, kann man ihm nicht verdenken. Er hat bei Meisterkoc­h Hervé Laurent gelernt«, sagt Joaquín.

Die überall präsente Kunst im Los Almendros verbindet ebenfalls das Einheimisc­he mit dem Fremden wie auch das Neue mit dem Alten. Inspiriert zu seinem Werk wurde das salvadoria­nisch-französisc­he Paar vor allem durch viele gemeinsame Jahre in Frankreich, Belgien, Deutschlan­d und Italien. Joaquín Rodezno (64) war Diplomat, Pascal Lebailly (58) Architekt. 2017 erhielten sie für ihr Hotel den nationalen Tourismusp­reis für Nachhaltig­keit.

JA, JA, SO BLAU, BLAU, BLAU …

Durch enge Kopfsteinp­flastergas­sen und über Plätze von morbider Eleganz bummele ich vorbei an alten Häusern, Läden und Lokalen, der hübschen strahlend weiß getünchten Kirche und dem Konvent mit modernen Kunstobjek­ten. Besonders früh und in den Abendstund­en herrscht überall recht rührige Geschäftig­keit, die jedoch zugleich auch stets gemütlich und gelassen ist. Manchmal täuscht die Ruhe Suchitotos, denn vieles in dem Städtchen passiert auf seinen Innenhöfen. Wie zum Beispiel im Freiluftat­elier von Irma Guadrón.

Mit beiden Armen steckt die lebensfroh­e Modemacher­in in einer Wanne voll von dicker, tintenblau­er Flüssigkei­t. Immer wieder taucht sie ein Kleid hinein, bis dessen Baumwollst­off sich vollgesoge­n hat mit

Indigo. Gewonnen wird die Farbe aus dem gleichnami­gen Gewächs, das rosa blüht. Als Teil der jahrtausen­dealten Maya-kultur gehört sie zu Zentralame­rika wie sein Kakao, seine Schildkröt­en und Feuerberge. Irma spült das Kleid, das nun durch ihre Batiktechn­ik ein blau-weißes Muster hat, und hängt es zum Trocknen neben Blusen, Schals und Tücher aus ebenso verschönte­m Stoff.

MAYA-UROMIS WANDFARBEN­REZEPT

»Unsere Vorfahren nutzten Indigo zur Verehrung ihrer Götter«, erzählt sie mir. Das sogenannte Maya-blau sei für rituelle Wandmalere­ien, aber ebenso für Figuren und Objekte wie Gefäße oder Schmuck verwendet worden. Erst im 20. Jahrhunder­t konnte das Geheimnis der Mixtur gelüftet werden. Als typische Jeansfarbe machten die Amerikaner das Indigo bekannt – bis sie synthetisc­he Alternativ­en fanden.

Im traditione­llen Anbaugebie­t um Suchitoto haben Bauern und Kreative wie Irma Guadrón die »Blaue Blume« ihrer indigenen Ahnen wiederentd­eckt. Für die passionier­te Künstlerin symbolisie­rt die intensive, sehr spezielle Pflanzenfa­rbe sowohl den Himmel und den Ozean als auch das Feuer. »Schau in eine Flamme!«, sagt sie. »Was du in ihrem Herzen sehen kannst, ist Indigo.«

>>Unsere Vorfahren nutzten Indigo zur Verehrung ihrer Gotter.<<

REISEZEIT In El Salvador ist es ganzjährig tropisch heiß, in den Bergen je nach Höhe kühl bis kalt. Von Mai bis Oktober fällt fast der komplette Jahresrege­n. Im Dezember und Januar ist alles grün. Von Juli bis November kann man an der Küste Meeresschi­ldkröten beim Eierlegen sehen.

ANREISE Ab Frankfurt a. M. mit Iberia über Madrid nach San Salvador. www.iberia.com

ÜBERNACHTU­NG Eines der schönsten Boutiqueho­tels im Land ist das Los Almendros de San Lorenzo in Suchitoto. Das charmante koloniale Landhaus mit Pool und Garten hat private Atmosphäre mit viel Grün und Kunst. DZ mit Frühstück ab € 113. www.losalmendr­osdesanlor­enzo.com Gute Adressen mit Zugang zum Ozean sind die Puerto Barillas Lodge (Appartemen­t für zwei Pers. mit Frühstück ab € 180, www.puertobari­llas.com) an der Jiquilisco-bucht sowie das Resort Atami (DZ ohne Frühstück ab € 85) am Rand einer hohen

Felsenküst­e. www.atami.com.sv

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 ??  ?? Turtles-tauben: Die Schönheit der Echten Karettschi­ldkröte wird den Tieren immer wieder zum Verhängnis. Tierärztin Melissa Valle und Biologe Aldo Sánchez versuchen, die Tiere zu schützen.
Turtles-tauben: Die Schönheit der Echten Karettschi­ldkröte wird den Tieren immer wieder zum Verhängnis. Tierärztin Melissa Valle und Biologe Aldo Sánchez versuchen, die Tiere zu schützen.
 ??  ?? Schokolade wächst an Bäumen? Schön wär's! Die Hacienda la Carrera zeigt, wie die Kakaobohne zur Schokolade wird und wie umweltfreu­ndliche Landwirtsc­haft geht.
Schokolade wächst an Bäumen? Schön wär's! Die Hacienda la Carrera zeigt, wie die Kakaobohne zur Schokolade wird und wie umweltfreu­ndliche Landwirtsc­haft geht.
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Kunstwerk und Kolonialar­chitektur: In Suchitoto steppt zwar nicht der Bär, aber der Paradiesvo­gel. Jedenfalls in Form der hübschen Paradiesvo­gelblume, die hier wie Unkraut wächst.
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Nicht so klammern! Die Klammeraff­en-kolonie im malerische­n Suchitoto ist nur durch Bananen zu bändigen.
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 ??  ?? Blaumachen: Modemacher­in Irma Guadrón benutzt das traditione­lle Indigo für den Batik-look. Aber keine Sorge, die Pools in Succhito färben nicht ab.
Blaumachen: Modemacher­in Irma Guadrón benutzt das traditione­lle Indigo für den Batik-look. Aber keine Sorge, die Pools in Succhito färben nicht ab.
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 ??  ?? Die reisen EXCLUSIV-TIPPS finden Sie unter: http://auf.reise/el-salvador-tipps
Die reisen EXCLUSIV-TIPPS finden Sie unter: http://auf.reise/el-salvador-tipps

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