Dieses Jahr ganz nach oben auf die Liste der sehenswerten Ziele gewählt worden: Manitoba! Hier gibt es mehr zu sehen als Eisbären.
Manitoba ist flach und größtenteils bedeckt von Tundra oder Ackerland. Nur im Westen, da zeigt sich die kanadische Provinz von ihrer idyllischen Seite. Denn dort trifft dicht bewaldete Hügellandschaft auf unzählige große und kleine glasklare Seen. Und inmitten dieses Idylls tummeln sich scheue Tiere wie Bären, Wölfe und Elche. Willkommen im Riding Mountain Nationalpark!
Mit quietschenden Reifen kommt mein Mietwagen nur Pfotenlängen vor dem kleinen Fellknäuel zum Stehen. Den Bruchteil einer Sekunde starren wir uns zu Tode erschrocken an, dann huscht das kleine Schwarzbär-baby davon und verschwindet im dichten Wald zu meiner Rechten. Ich kann mein Glück kaum fassen! Reglos sitze ich da, beide Hände am Lenkrad, den Blick noch auf die Stelle geheftet, an dem der schwarze Flauschbär Sekunden zuvor verschwunden ist. Keine Menschenseele ist weit und breit zu sehen. Ich kann einen kleinen Freudenschrei nicht unterdrücken – auch wenn ich den Schock noch verdauen muss, dass meine erste Bärensichtung fast in einem Desaster geendet wäre. Puh.
Dabei hatte ich die Hoffnung schon fast aufgegeben, in dem 1929 gegründeten Nationalpark und Unesco-biosphärenreservat im Westen Manitobas eines der eindrucksvollen Tiere zu sehen. Obwohl sich in dem knapp 3.000 Quadratkilometer großen hügeligen Naturschutzgebiet viele Schwarzbären herumtreiben. Auch Elche mit gigantischen Geweihen und Wölfe leben hier. Im Riding Mountain Nationalpark fühlen sie sich wohl. Im Gegensatz zur sonst flachen und als Ackerfläche genutzten Prärieprovinz sind sie im dichten Wald des Parks mit seinen vielen Seen nämlich besonders geschützt. Aber sie sind scheu; besonders frühmorgens oder abends hat man die besten Chancen, Tiere zu sichten. Und heute Mittag ist es heiß, ein schöner spätsommerlicher Tag in Manitoba, die Sonne ist kurz vor ihrem höchsten Punkt ange
FÜR DAS BISON-SCHAUSPIEL UNTERBRECHE ICH GERNE MEIN FRÜHSTÜCK.
kommen. Aber Natur ist eben unberechenbar – und deswegen habe ich entgegen aller Prognosen ein Schwarzbär-baby gesehen. Zugegeben, fast überfahren.
Moment mal, ein Schwarzbär-baby. Dann muss hier hoffentlich irgendwo auch die Schwarzbär-mutter herumstreifen. Ich wende auf dem breiten, immer noch leeren Highway 10 und fahre zurück in die Richtung, aus der ich gekommen bin. Kurz vor der Abbiegung zum Highway 19 biege ich scharf links in eine kleine Seitenstraße ab, dem Wasagaming Drive. Er verläuft parallel zum Highway am Clear Lake entlang, dem größten See des Parks. Wenn das Bärenbaby seinen Kurs hält, müsste es auch diese Straße, hoffentlich unfallfrei, überqueren.
Die Straße ist mir vertraut. Ich kenne sie von gestern, als ich zum östlichen Ende des Parks aufgebrochen bin. Eine Stunde dauert die Fahrt dorthin, durch dichten Wald und an blumengesäumten Bächen vorbei. Ganz in der Nähe des historischen hölzernen Eingangstores von 1933, das kurz nach der Eröffnung des Parks gebaut wurde, beginnt nämlich die Reeves-ravine-wanderung. Der etwa 15 Kilometer lange Wanderweg durchs Dickicht auf einen kahlen Berg mit Aussicht ist einer von vielen Wanderwegen im Park, über die das Besucherzentrum gerne informiert. Für alle Wander- und Radwege halten sie Faltblättchen für die Besucher bereit. Dort, abseits des Highways und des Trubels von Wasagaming, hatte ich gestern auf ein paar Tierbegegnungen gehofft. Aber nichts. Die Natur ist eben unberechenbar.
Den Riding Mountain Nationalpark bewohnt noch ein anderes Tier der Prärie. Und bei dieser Tierbeobachtung ist ein wenig Berechnung von Vorteil. Deswegen bin ich heute früh aufgebrochen, um vor der
Mittagshitze im grasüberwucherten Flachland im Norden des Parks zu sein. Denn: Hier lebt eine Bisonherde. Die etwa 40 mächtigen Büffel grasen gemächlich direkt am Highway, als ich gegen halb zehn im Lake Audy Bison Enclosure ankomme. Auf einer eingeschlossenen Fläche von 500 Hektar wurden die Prärie-rinder Nordamerikas wieder angesiedelt. Direkt neben meinem Wagen liegt ein gigantischer Bulle faul mitten auf der staubigen Straße; hin und wieder verscheucht er mit seinem Schwanz lässig ein paar Fliegen. Während ich genüsslich meine Pancakes mit reichlich Ahornsirup aus meiner To-go-box verzehre, setzt sich plötzlich die Herde in Bewegung. Glück gehabt, gerade noch rechtzeitig eingetroffen. Für das Schauspiel unterbreche ich gerne mein Frühstück. Nach und nach erheben die Bisons ihre massigen Körper und staksen auf ihren dünnen, wackelig scheinenden Beinchen am Auto vorbei in Richtung Wald. Mittags wird es ihnen zu heiß auf der freien Fläche, erst am Abend werden sie pünktlich vor Sonnenuntergang wieder hierher zurückkehren und weitergrasen. Und weil es heute besonders heiß wird, habe ich mir eine Kanutour auf dem Clear Lake für den Nachmittag vorgenommen.
Doch der Plan muss warten, bis er Umsetzung findet. Kann ja keiner ahnen, dass beinahe ein Bärenbaby in mein Auto rennt. Denn die Hoffnung, den kleinen flauschigen Knirps noch einmal anzutreffen, habe ich noch nicht aufgegeben. Ich fahre nun die Straße lang, die der Schwarzbär-knirps meiner Berechnung nach hätte als Nächstes überqueren müssen. Ganz langsam und aufmerksam. Und vergrößere nach und nach meinen Radius. Aber die Natur lässt sich eben nicht immer berechnen. Nach einer halben Stunde gebe ich auf – auch lockt mich das
DIE NATUR LÄSST SICH EBEN NICHT IMMER BERECHNEN.
Wasser des Clear Lakes, der immer wieder zwischen den hohen Birken hervorglitzert. Ein letztes Mal wende ich und fahre die wenigen Kilometer am Südufer des Sees nach Wasagaming.
Es ist ein Sommertag wie aus dem Bilderbuch. Am kleinen Strand am Seeufer baut eine Gruppe kleiner Jungs in Badehosen konzentriert an einer Sandburg. Ein paar Teenager spielen Volleyball. Ich parke meinen Mietwagen an der kleinen Hauptstraße des Ferienorts. Wasagaming, was in der Sprache der Anishinaabe nichts anderes bedeutet als »Klarer See«, besteht aus zwei Häuserblocks, gesäumt mit Holzhütten, in denen Unterkünfte, Restaurants, ein paar Souvenirshops und Cafès, das Besucherzentrum, ein Kino und ein Supermarkt den Urlaubern eine entspannte Zeit versprechen. So strömen Erholung Suchenden in das Städtchen, sitzen bei einem Ginger Ale beisammen, kühlen sich im See ab, paddeln auf Tretbooten, großen Ausflugsdampfern oder Kajaks den See hinaus, planen Wandertouren und suchen nach Bären.
Ich entscheide mich für eine Tour mit einem Ein-mann-kanu – schließlich ließ sich schon die First Nation vor vielen Jahrtausenden auf diese Art auf dem Clear Lake treiben, auch wenn das längliche Boot damals aus Birkenholz gefertigt war und bestimmt nicht aus giftgrünem Plastik. In der Gegend um den Clear Lake wurden die ältesten Artefakte der Provinz gefunden, man schätzt ihr Alter auf über 11.000 Jahre.
Ich steuere den rechten Arm des Sees an – vermutlich in der Hoffnung, doch noch das Bärenbaby zu sichten, das sich in der Zwischenzeit ja durchaus bis zum Seeufer hat durchschlagen können. Das bewaldete Ufer zieht an mir vorbei, schnell komme ich in einen meditativen Rhythmus, wenn mein Paddel in die glatte und ruhige Wasseroberfläche sticht. Dem Ufer nahe, kann ich bis auf den mit teils dicken Stämmen übersäten Grund blicken – der Name des Sees kommt nicht von ungefähr.
Stunden später kehre ich mit meinem Plastikkanu wieder zum Steg zurück. Das Bärenbaby habe ich nicht gefunden, mir dafür aber einen gewaltigen Sonnenbrand auf der Nase eingefangen. Vom aufregenden Tag geschafft, beobachte ich Beine baumelnd vom Steg aus, wie eine junge Familie kleine Krebse angelt, um sie dann unter lautem Geschrei wieder ins Wasser zu werfen. Hinter ihnen nähert sich die Sonne allmählich den Baumwipfeln. Während die letzten Kanufahrer am Steg eintreffen, schwimmt eine dunkle Gestalt im letzten Licht der Sonne an mir vorbei – ein Biber! Die Natur ist eben unberechenbar. Unberechenbar schön.
ANREISE Von Winnipeg braucht man mit dem Mietwagen gute drei Stunden zum Nationalpark. In Neepawa lädt die Farmery Estate Brewery auf eine Erfrischung oder Brauerei-tour zum Päuschenmachen ein.
UNTERKUNFT Das Lake House bietet rustikale, stilvolle Zimmer direkt im Örtchen Wasagaming.
128 Wasagaming Drive. www.staylakehouse.ca
ESSEN Gleich nebenan serviert das Foxtail Café frische Pizza und Paninis aus dem Steinofen.
Unter www.travelmanitoba.de gibt es weitere Infos zum Nationalpark und Manitoba. Mehr Infos zu Kanada unter www.kanadastisch.de