Hallo Helsinki!
Helsinki mag auf den ersten Blick nicht die angesagteste europäische Metropole sein, aber die finnische Hauptstadt im Süden des Landes entpuppt sich schnell als schmuckes Juwel an der Ostsee und als sehr viel hipper als so manch gehypte Stadt. Der Grund liegt auf der Hand: Sie legt es eben nicht darauf an.
OOhne Kaffee in den Tag starten, ist in Helsinki unmöglich. Die Finnen trinken so viel Kaffee wie keine andere Nation. Doch während die hippen Hauptstädte noch auf Latte-art und Frappuccino schwören, ist in Helsinki schon längst die sogenannte »Third wave of coffee« angekommen. Hier trinkt man wieder Filterkaffee. Oder haben die hippen Finnen nie aufgehört, auf althergebrachte Art zu brauen? Wie auch immer: Der fruchtig-aromatische Duft der Bohne beim Frühstück weckt meine Entdeckerfreude. Am Vorabend bin ich angereist und habe noch nichts von der Stadt gesehen.
Helsinki ist eine überschaubare Hafenstadt am finnischen Meerbusen der Ostsee. Gerade etwas mehr als eine Million Menschen haben sich in der Metropolregion angesiedelt. Leer wirkt Helsinki dennoch nicht auf mich, als ich durch die Straßen schlendere. Das alltägliche geschäftige Treiben füllt langsam die Innenstadt. Dessen ungeachtet hat die Stadt schon bei den ersten Schritten eine entschleunigende Wirkung auf mich. Über mir kreisen die schreienden Möwen auf der Suche nach ein paar Bissen, der Duft des Meeres hängt in der Luft. Helsinki ist für mich der perfekte Ort, um runterzukommen. Ein Ort
der Ruhe. Hier kann ich meine Seele baumeln lassen. In den zahlreichen Parks der Stadt oder direkt am Wasser finde ich immer wieder Fleckchen zum Ausruhen. Orte, an denen meine Gedanken ungehindert wandern können. Helsinki wird schon nach wenigen Stunden der Inbegriff von innerer Ruhe. Meditativ.
WALPURGISNACHT AUF FINNISCH
Dabei ist Helsinki auf keinen Fall langweilig! Vor allem abends blüht das Nachtleben. Jung und Alt verabreden sich unter der Uhr, die das alteingesessene Kaufhaus Stockmann ziert, um die umliegenden Straßen mit ihren Restaurants und Bars, wie das A21 im Stadtteil Kamppi, zu bevölkern. Auch tagsüber ist die Uhr ein beliebter Treffpunkt.
Von dort aus bin ich nach wenigen Schritten auch schnell an der Esplanadi, der großen Prachtstraße. Es ist der 1. Mai, und die Esplanadi ist der zentrale Ausgangspunkt für das Vappu-fest, das ich mir nicht entgehen lassen möchte. Es ist das Fest, das den Frühling einläutet. Zwei Tage vorher hat es noch geschneit, doch pünktlich zu Vappu erstrahlt die finnische Hauptstadt im warmen Sonnenschein, und kein Wölkchen kann den blauen Himmel trüben. Ich mische mich unter die Studenten, die gerade auf dem Weg Richtung Südhafen sind.
Das Fest hat eine große Bedeutung für Studenten. Ein wenig Walpurgisnacht auf Finnisch. Seit dem Mittelalter feiern die Finnen Vappu, doch erst im 19. Jahrhundert wandelt es sich zum Fest für alle Studenten oder all jene, die es noch werden wollen, und Ehemalige. Dabei wird auch nicht vor den Statuen auf der Esplanadi Halt gemacht! Die Statue Havis Amanda und auch andere werden am Vorabend von Vappu gewaschen und bekommen ebenfalls eine der typischen weißen Studentenmützen mit dem blau-schwarzen Saum aufgesetzt. Die ausgelassene Stimmung setzt sich am eigentlichen Vappu-tag fort, und ich spüre sie an jeder Straßenecke. Überall in der Stadt werden Partys gefeiert. Doch das Highlight ist sicherlich das große Vappu-picknick im Kaivopuisto-park, bei dem die Menschen sich in ihren weiß-blauen Studentenoveralls (Haalarit) zum Essen und Feiern treffen. Dabei darf Sima, eine Art Met mit geringem Alkoholgehalt, sowie das Spritzge
HELSINKI IST SCHON LÄNGST AUF DER THIRD WAVE DER KAFFEEKULTUR ANGEKOMMEN.
bäck Tippaleipä und Krapfen nicht fehlen. Als herzhafte Alternative zu Krapfen und Tippaleipä wird Kartoffelsalat mit Würstchen gereicht. Ein wenig erinnert mich das an Karneval, nur dass alle gleich verkleidet sind und das Wetter schöner ist als im Februar im Rheinland.
SCHLEMMERBUMMEL ÜBER DIE MÄRKTE DER STADT
Die beste Adresse für alle, um noch etwas für das perfekte Picknick an diesem 1. Mai zu besorgen: der Kauppatori-markt. Ein wenig fremd fühle ich mich in dem Moment schon, denn als ich über den Markt schlendere, bin ich doch eine der wenigen ohne traditionelle Vappu-mütze. Als Nichtfinnin falle ich heute besonders ins Auge. Trotzdem genieße ich das Schauspiel gerade als Außenstehende. Vieles kommt mir im ersten Moment fremd vor, aber Krapfen und Verkleidung fühlen sich doch wunderbar vertraut an.
Dennoch verabschiede ich mich schnell vom Markt, um die unweit gelegene Vanha Kauppahalli am Südhafen von Helsinki aufzusuchen. Zahlreiche Händler bieten in den holzgeschnitzten Ständen ihre lokalen Waren an. Natürlich darf auch hier der Kaffee nicht fehlen. Schon am Eingang kommt mir der unnachahmliche Geruch des Heißgetränks entgegen. Helsinkis älteste Markthalle ist ein beliebter Treffpunkt. Finnische Delikatessen und zahlreiche weitere Essensstände haben darin Einzug gehalten. Alteingesessene Bewohner von Helsinki, die ihren Wocheneinkauf erledigen, treffe ich hier an, ebenso wie ein paar Touristen. Für ein kurzes Schwätzchen über den Tresen beim Käsekauf scheint dabei immer Zeit zu sein. Alle sind auch an diesem Tag entspannt und lassen keine Eile verspüren.
Wer jetzt noch ein passendes Outfit für eine der Partys benötigt, ist rund um die Esplanadi genau richtig. Mir fällt dazu spontan Marimekko ein. Die schlichte Eleganz von gestreiften Shirts oder großflächig bedruckten Blumenkleidern, die schon Jackie Kennedy begeisterte, sind unverkennbar für das finnische Label. Doch auch andere etablierte und junge aufstrebende Designer aus den verschiedensten Designbereichen haben sich zwischen dem Boulevard und dem hoch über dem Viertel thronenden Dom von Helsinki angesiedelt. Wer finnische Designklassiker wie den Stool 60 oder die geschwungenen Savoy-vasen des finnischen Pioniers Alvar Aalto sucht, hat die besten Chancen, sich seinen Designtraum zu erfüllen.
»DON’T FORGET TO PLAY« – ALVAR AALTO
Denn die finnischen Designikonen Artek (Inneneinrichtung) und iittala (Haushaltsgegenstände) befinden sich ebenfalls seit wenigen Jahren in unmittelbarer Nähe. Sie sind die wohl berühmtesten Adressen des Design Districts Helsinki. Das Kreativzentrum erstreckt sich über viele Stadtteile in der Innenstadt. Die Stadt gibt dazu sogar eine eigene Karte heraus, um die über 200 sorgsam ausgesuchten Boutiquen, Galerien und Ateliers der Stadt erkunden zu können. Mittendrin: das Designmuseum. Der perfekte Ausgangspunkt, um mehr über die Geschichte des finnischen Designs zu lernen.
Ein Streifzug durch die Viertel lohnt auf jeden Fall. Denn das Design District erstreckt sich über einige der schönsten Viertel der finnischen Hauptstadt, gesäumt von Jugendstilhäusern, in denen die Kreativen eingezogen sind. Auch ich lasse mich am nächsten Tag rund um die Johanneksenkirkko (Johanniskirche) treiben. Mein Lieblingsladen ist schnell gefunden: Common. Als ich den Laden zum ersten Mal betrete, bin ich mir für einen Augenblick unsicher, ob ich im richtigen Geschäft gelandet bin. Denn der japanische Designladen könnte auf den ersten Blick auch als finnisch durchgehen. Taschen, Einrichtungsgegenstände, Badaccessoires sind von einer schlichten Eleganz, die auch in Finnland zu finden ist. Doch besonders haben es mir die Notizbücher angetan, von denen ich nie genug haben kann. Wehmütig bleibt mein Blick beim Verlassen des Ladens noch an einem Teeservice hängen, das nicht in mein Gepäck passt, und ich schlendere weiter durch die Viertel Punavuori, Kaartinkaupunki sowie Ullanlinna.
ARCHITEKTURSCHÖNHEITEN UND DAS ERBE RUSSLANDS
Auch architektonisch zeigt Helsinki, dass es zu Recht die Welthauptstadt des Designs ist. Neu geschaffene Gebäude wie die Kapelle der Stille im Viertel Kamppi oder die Bibliothek der Universität Helsinki zeugen davon, dass Design hier zu jeder Jahreszeit zelebriert wird und den Finnen in Fleisch und Blut übergegangen ist. Die modernen Gebäude bilden für mich keinen Widerspruch zu den klassischen Gebäuden wie den weißen, über alles strahlenden Dom. Im Gegenteil. Helsinki schafft es, mir das Gefühl einer perfekten Harmonie zwischen Alt und Neu zu vermitteln, ohne die Geschichte der langjährigen russischen Besetzung zu verleugnen. Die Finnen haben es geschafft, den Blick nach vorn zu richten, ohne das Alte auszulöschen.