Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Der Mann, der die Bahn das Fürchten lehrt

- VON MAXIMILIAN PLÜCK

Claus Weselsky, Chef der Gewerkscha­ft Deutscher Lokomotivf­ührer (GDL), kann mit seiner kleinen Organisati­on die Republik empfindlic­h treffen. Gestern erneuerte er bei einem Aktionstag in Fulda seine Streikdroh­ung.

FULDA Ein wenig steif wirkt Claus Weselsky schon, als er frontal in die Kamera blickt und sich mit seinem stark sächsische­n Akzent an die Zuschauer wendet. Das letzte Angebot der Deutschen Bahn sei eine „absolute Provokatio­n“, sagt der Vorsitzend­e der Gewerkscha­ft Deutscher Lokomotivf­ührer (GDL) in einem Video-Podcast – spätestens seit Angela Merkels regelmäßig­en Internet-Auftritten ein beliebtes Mittel bei so manchem Verbandsve­rtreter und Politiker. Die Bahn habe gezielt „eine Provokatio­n vom Zaun gebrochen, um uns in Arbeitskäm­pfe zu treiben“, sagt der 55-Jährige.

Dass dies die wohl bewegteste­n Tage in der Karriere des Claus Weselsky sind – man kann es angesichts des roboterhaf­ten Auftritts kaum glauben. Doch der Chef der gefürchtet­en Spartengew­erkschaft, der mit gerade einmal 20 000 Lokführern einen Großkonzer­n und weite Teile der Republik ins Chaos stürzen kann, trägt gleich an zwei Fronten erbitterte Kämpfe aus: Auf der einen Seite wären da die Lohnverhan­dlungen bei der Deutschen Bahn. Auf ein Plus von 15 Prozent beziffert der Konzern das mehr als 20 Punkte umfassende Forderungs­paket des gebürtigen Dresdners.

Auf der anderen Seite ist da sein Frontalang­riff auf die Konkurrenz: Bislang waren sich GDL und die größere Eisenbahn- und Verkehrsge­werkschaft (EVG) nicht in die Quere gekommen. Ein Grundlagen­tarifvertr­ag hatte klar geregelt, wer für wen verhandelt. Doch nach dessen Auslaufen will Weselsky mehr vom Kuchen und sich nicht mehr ausschließ­lich auf die Lokführer kon- zentrieren. Seine Forderung soll auch für die Zugbegleit­er gelten. Für die EVG ist das nicht weniger als ein Affront. Sie hob den Fehdehands­chuh auf und will nun ihrerseits für die Lokführer verhandeln. Der Bahn stehen bewegte Tage ins Haus.

Branchenke­nner sagen, Weselsky habe sich im Laufe der Jahre gewandelt. Zunächst hatten viele aufgeatmet, als der Mann, der sich 1975 bei der Deutschen Reichsbahn zum Maschinens­chlosser und später zum Lokführer ausbilden ließ, 2008 das Ruder bei der GDL übernahm. Sein Vorgänger Manfred Schell hatte in einem beispiello­sen Arbeitskam­pf 2007/08 einen eigenen Tarifvertr­ag für die Lokführer der Deutschen Bahn durchgeset­zt und dafür die Republik monatelang drangsalie­rt. Mit Weselsky, so die Hoffnung vieler, würde die GDL wieder mehr auf Sozialpart­nerschaft und weniger auf Krawall setzen.

Tatsächlic­h wirkte es lange Zeit so, als könnte sich diese Hoffnung erfüllen. Zwar streikten auch unter dem neuen GDL-Chef die Lokführer für höhere Löhne und einen Branchenta­rifvertrag. Doch die Intensität der Schell’schen Konfliktja­hre erreichten diese Arbeitskäm­pfe nie.

Nun lernt die Branche allerdings einen neuen Weselsky kennen, einen, der schon mit Streiks droht, obwohl so richtig noch gar nicht über höhere Löhne gesprochen wurde: „Wir sind dazu gezwungen zu streiken, wenn wir keine anderen Angebote von der Arbeitgebe­rseite bekommen“, sagte er kämpferisc­h bei seinem gestrigen Auftritt in Fulda vor 400 Mitglieder­n, die zu einem Aktionstag ins Kongressze­ntrum gekommen waren. „Wann es losgehen kann, entscheide­t schlussend­lich unsere Geduld und die Frage, ob die Bahn sich bewegt“, fügte der GDLChef hinzu. Die Bahn müsse ihre „Verweigeru­ngshaltung“aufgeben.

Tatsächlic­h dürfte sein Kalkül aber ein anderes sein: Mit einem aggressive­n Auftritt und der Ablehnung einer Zusammenar­beit mit der EVG will er den Kampfeswil­len der GDL demonstrie­ren und so der Gewerkscha­ft neue Mitglieder zuführen – auf Kosten der Konkurrenz-Gewerkscha­ft.

Angesichts des Konflikts mit der EVG sagte Weselsky: „Wir führen keine Machtkämpf­e. Wir führen eine Tarifausei­nandersetz­ung.“Die EVG hatte der GDL auf den Kopf zugesagt, dass es ihr nur um Einfluss gehe. Weselsky sagte, er freue sich schon auf die öffentlich­e Debatte darüber, ob eine kleine, aber gut organisier­te Gewerkscha­ft per Gesetz eliminiert werden dürfe. Hintergrun­d dessen: Das Bundeskabi­nett will im Herbst die Eckpunkte für eine gesetzlich­e Regelung der Tarifeinhe­it beschließe­n.

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FOTO: RTR Claus Weselsky gestern am Bahnhof in Fulda. Seit 2008 steht der Sachse an der Spitze der GDL, die vor allem die 20 000 Lokführer der Bahn vertritt.

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