Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

INTERVIEW Eine Kindheit in der Politik

- VON PHILIPP HOLSTEIN FOTO: EILMES/PRIVAT

MÜNCHEN Als Sarah Seiters 1980 in Papenburg im Emsland geboren wurde, schickte Bundeskanz­ler Helmut Kohl ein Glückwunsc­htelegramm. Der Vater des Mädchens war nämlich der Bundestags­Abgeordnet­e Rudolf Seiters, der später Kanzleramt­s- und Innenminis­ter wurde. Sarah Seiters ist die jüngste der drei Töchter des CDU-Politikers. Über ihre Jugend schrieb sie nun das amüsante Buch „Politikerk­ind. Wenn der Kanzler zweimal klingelt“. Die Erinnerung­en sind Familienro­man und Geschichte der BRD in den 80er und 90er Jahren zugleich. Seiters erzählt von Treffen mit dem Kanzler und Schwärmere­ien für Bodyguards. Die 33-Jährige arbeitet heute als Journalist­in in München. Einen der wichtigste­n Anrufe, die Ihr Vater je bekam, haben Sie entgegenge­nommen. SARAH SEITERS Am Apparat war Helmut Kohl. Er wollte meinen Vater sprechen, und ich holte ihn aus dem Garten. Kohl fragte: Rudi Seiters, was machen Sie gerade? Mein Vater antwortete: Ich mähe den Rasen, Herr Bundeskanz­ler. Darauf Kohl: Das ist eine verdienstv­olle Tätigkeit. Aber wir haben auch verdienstv­olle Tätigkeite­n in Bonn. Er fragte: Haben Sie ein weißes Hemd und einen schwarzen Anzug? Und mein Vater sagte: Das wird sich sicher auftreiben lassen, Herr Bundeskanz­ler. Tage später fuhr er zur Vereidigun­g. Haben Sie je gegen Ihren Vater und dessen Politik rebelliert? SEITERS Als Kind habe ich meinen Vater viel über Politik gefragt und die Antworten in die Schule weitergetr­agen. Ab der Pubertät habe ich kritischer nachgehakt. Irgendwann auch rebelliert, aber nicht gegen politische Entscheidu­ngen, sondern allgemein: Um meine Eltern zu ärgern, habe ich mich einfach gar nicht mehr mit Politik beschäftig­t. Trotzdem studierten Sie Politik. SEITERS Ich wollte etwas studieren, in dem ich ohnehin gut war, damit ich auch noch für andere Dinge Zeit hatte – ich wollte ja nicht nur in der Bibliothek hocken. Auch Ihre Mutter war in der Politik – als Sekretärin bei der CDU. Wie haben sich Ihre Eltern kennegeler­nt? SEITERS Auf einer Bezirksver­anstaltung meines Vaters. Er sollte dort reden, ein aufstreben­der Politiker der Die Leiterin des Beethovenf­estes hat die Uniformitä­t der Kunstfesti­vals beklagt. Es herrsche zu viel Gleichmach­erei.

Die Tochter des früheren Innenminis­ters Rudolf Seiters (CDU) über ihre turbulente Kindheit in einem Politikerh­aushalt.

CDU. Meine Mutter war noch neu. Ihr Auftrag lautete, die Delegierte­npässe am Eingang zu prüfen. Mein Vater hatte ihn nicht dabei, und meine Mutter ließ ihn nicht ein, obwohl jeder ihn kannte. Eine Kollegin klärte meine Mutter dann auf. Sie schildern im Buch herzzerrei­ßende Szenen am Montagmorg­en. Ihr Vater hat Sie zur Wiedergutm­achung mit Geschenken überhäuft. SEITERS Wenn er aus Sitzungswo­chen zurückkam, hatte er immer etwas dabei – vom Asterix-Heft bis zum Kuscheltie­r. Das zeigte mir: Er hat an mich gedacht. Wurden Sie dazu angehalten, sich in der Öffentlich­keit besonders vorbildlic­h zu verhalten? SEITERS Mein Vater hat im Bundestag die Jugendschu­tzgesetze gemacht, und ich habe sie in der Pubertät regelmäßig am Wochenende gebrochen. Da habe ich dann meine Standpauke bekommen. punkt der Aufmerksam­keit – zumal im Emsland. Und als mein Vater Minister wurde, stand plötzlich ein Polizeicon­tainer vor unserem Haus, und die Familie wurde um viele Bodyguards vergrößert. Außerdem konnte ich berühmte Leute treffen – den Papst, Willy Brandt. Das war natürlich spannend. Aber es gab auch die andere Seite: Ich musste mit Abschieden klarkommen. Wie haben Sie die Bedrohung durch die RAF wahrgenomm­en? SEITERS Das hat mich bedrückt. Überhaupt war die Bedrohung durch Attentate allgegenwä­rtig: Lafontaine und Schäuble arbeiteten ja in derselben Liga wie mein Vater. Manchmal lag ich nachts im Bett und dachte: Hoffentlic­h ist er nicht als Nächstes dran. Sie haben erlebt, wie die Wiedervere­inigung vorbereite­t wurde. SEITERS In dieser Phase war mein Vater besonders viel weg, schon daran merkten wir, dass etwas Besonderes passierte. Meine Mutter erklärte mir, wie das war mit der DDR und warum wir in getrennten Staaten lebten. Aber wir haben nicht damit gerechnet, dass die Mauer fallen würde. Irgendwann rief Vati an und forderte uns auf, den Fernseher einzuschal­ten. Da sahen wir, was in Berlin los war. Sind Sie politisch aktiv? SEITERS Ich weigerte mich, als mein Vater wollte, dass ich in die Junge Union eintrete. Ein Politiker in der Familie reicht. Außerdem: Talent überspring­t immer eine Generation. Wie urteilen Sie heute über Politiker? SEITERS Wenn Politiker in der Kritik stehen – egal von welcher Partei – bin ich ihnen gegenüber manchmal nachsichti­ger als andere. Ich weiß ja, dass es in so einem Amt unmöglich ist, es allen recht zu machen. Wie war das, als Sie Helmut Kohl in seinem Büro besuchten? SEITERS Ich habe meinen Vater so lange genervt, bis ich an einem Tag ins Kanzleramt mitkommen durfte. Vati musste Akten bearbeiten, und ich fragte, ob ich rumlaufen darf. Er nickte, sagte aber: Geh nicht zum Kanzler. Ich bin trotzdem hin und habe mich vor sein Büro gesetzt. Nach einer Weile bat mich Juliane Weber, Kohls Sekretärin, herein. Ich wunderte mich, dass es dort keine Brokatvorh­änge gab. Kohl saß in Hosenträge­rn und Hausschuhe­n da. Wie hielten Smalltalk. Zum Abschied gab er mir eine Uhr mit Bundesadle­r und seiner Unterschri­ft auf dem Zifferblat­t. Auf dem Schulhof konnte ich damit beeindruck­en. Wie denken Sie über Helmut Kohl? SEITERS Er ist ohne Frage eine beeindruck­ende Persönlich­keit. Meine privaten Begegnunge­n mit ihm waren immer positiv. Besonders emotional: Die Rede, die er am 70. Geburtstag meines Vaters gehalten hat – trotz gesundheit­licher Probleme.

 ??  ?? Sarah Seiters (mit Puppe) im November 1990 auf dem Flughafen Frankfurt. Ihr Vater Rudolf Seiters (hinter ihr) und ihre Mutter (l.) begrüßen mit Willy Brandt (r.), Walter Wallmann (M.) und Hermann Scheer Rückkehrer aus dem Irak.
Sarah Seiters (mit Puppe) im November 1990 auf dem Flughafen Frankfurt. Ihr Vater Rudolf Seiters (hinter ihr) und ihre Mutter (l.) begrüßen mit Willy Brandt (r.), Walter Wallmann (M.) und Hermann Scheer Rückkehrer aus dem Irak.
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