Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Schlöndorf­fs grandioses Alterswerk

- VON RENÉE WIEDER

Das Kammerspie­l „Diplomatie“beleuchtet eine Episode aus dem Weltkrieg.

Der weißhaarig­e Mann am Schreibtis­ch hält alle Fäden in der Hand, und er weiß nicht weiter. Es ist die Nacht zum 25. August 1944, seine Soldaten haben ganz Paris vermint. Bomben unter dem Eiffelturm, der Notre Dame, dem Louvre. Hitler hat seinem General Dietrich von Choltitz (Niels Arestrup) befohlen, die Stadt noch heute in Trümmer zu sprengen, bevor die Alliierten da sind. Plötzlich steht der schwedisch­e Konsul Raoul Nordling (André Dussollier) in seiner Hotelsuite. Er ist entschloss­en, den General zu überreden, Paris zu verschonen.

Nordling und Choltitz kannten einander und verhandelt­en im Sommer 1944 mehrfach über das Schicksal von Paris. Doch die Unterredun­g, die Volker Schlöndorf­f in diesem Kammerspie­l inszeniert, hat es nie gegeben. Ein fiktives Detail, mit dem der 75-Jährige ungeheure Spannung erzeugt. Wer ein zerfasernd­es Alterswerk vom Regisseur der „Blechtromm­el“erwartet hat, wird sich wundern. Schlöndorf­f schafft das Kunststück, den Zuschauer haltlos um Paris zittern zu lassen, obwohl der Ausgang der Sache heute vollkommen klar ist.

Die Idee der Konfrontat­ion zweier Männer, die versuchen, ein Stück Weltgeschi­chte zu steuern, stammt aus dem Theaterstü­ck „Diplomatie“ von Cyril Gély, mit dem zusammen Schlöndorf­f auch das Drehbuch schrieb. Dussollier und Arestrup bewegen sich so sicher in ihren Rollen, als gehörten sie ihnen – bereits 2011 traten sie miteinande­r in Gélys Bühnenstüc­k auf. Als dritter Hauptdarst­eller funkelt Paris im Hintergrun­d, als grandioses Panorama vor Choltitz’ Fenster. Oder wenn die Kamera das Hotel für kurze Zeit verlässt und einem Soldatentr­upp auf die umkämpften Straßen folgt.

Das psychologi­sche Duell ist nicht frei von Pathos, aber es fesselt, weil es funktionie­rt wie ein Schachspie­l. „Diplomatie“ringt um Menschlich­keit im Angesicht des Wahnsinns, um Selbstlosi­gkeit und Güte, wo ringsherum nur Grausamkei­t herrscht. „Was würden Sie an meiner Stelle tun?“, fragt Choltitz kurz vor Morgengrau­en seinen Gegner.

Der weiß, dieses eine Mal, keine Antwort.

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FOTO: EPD André Dussollier (r.) mit Niels Arestrup.
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