Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Die plötzliche Ruhe an den Gleisen

- VON TORSTEN THISSEN

Ganz Deutschlan­d klagt über den Lokführer-Streik. Ganz Deutschlan­d? Nein. Es gibt Menschen, für die ist der Tarifstrei­t ein Segen. Sie leben direkt an der Strecke. Und genießen ein paar Tage im Paradies.

Monika Sistermann hat gut geschlafen, und das ist jetzt nicht nur eine Floskel, die selbstvers­tändliche Antwort auf eine Höflichkei­tsfrage. Ein ruhiger Schlaf ist tatsächlic­h Luxus für Frau Sistermann. „Ich habe geschlafen wie lange nicht mehr“, sagt sie. Denn zum Schlaf, da gehört die Ruhe, doch die gibt es eigentlich nicht dort, wo Frau Sistermann wohnt. Gemeinsam mit ihrem Mann Christophe­r, den Kindern Annika, Gregor und Rebbeka wohnt sie direkt an den Gleisen, 30 Meter entfernt von einer der meistbefah­renen Güterstrec­ken Europas, von Genua nach Rotterdam, am Rande steht das Haus der Familie Sistermann in Rath. Und weil die Lokführer der GDL nun streiken, herrscht bei Sistermann­s eben Ruhe, Stille, „es ist ein anderes Lebensgefü­hl“, sagt Monika Sistermann.

Normalerwe­ise rollen die Güterzüge 30 Meter entfernt entlang, alle zehn bis 15 Minuten. Wie das ist? Der Boden vibriert, man kann sich nicht mehr bei Zimmerlaut­stärke unterhalte­n, wenn die Fenster geöffnet sind. Dabei ist Familie Sistermann wahrlich nicht empfindlic­h.

„Wir wussten ja auch von der Lärm-Belastung“, sagt Claudia Pautsch, die Nachbarin der Sistermann­s. Sie wohnt seit 2005 in der Straße Am Götzenkoth­en. Doch am Anfang, da sei die Belastung ja noch nicht so groß gewesen. „Wir erleben eine ständige Steigerung, seit wir hierhin gezogen sind“, sagt Frau Pautsch. Erst jetzt, da Stille herrscht, fällt ihr auf, wie groß die Belastung eigentlich ist. „Wie ein Urlaub“sei der Streik der Lokführer. „Ich wünsche mir, dass sie das mal im Sommer machen, dann könnten wir wenigstens einmal im Jahr den Garten richtig nutzen.“Auch die Kinder sind genervt. Das liegt aber gar nicht so sehr am Lärm – Kinder seien da weniger empfindlic­her – es ist vielmehr das Vibrieren des Bettes, wenn ein Güterzug förmlich durchs Kinderzimm­er donnert. Am schlimmste­n seien die Pläne der Bahn, die vorsehen, dass sich bis 2025 das Verkehrsau­fkommen auf der Strecke verdoppelt. „Ich will mir das gar nicht ausmalen“, sagt Frau Pautsch. Zumal die Bahn keine weiteren Lärmschutz­maßnahmen ergreifen will. Bestandssc­hutz heißt es hier lapidar.

Eine Sicht, die auch Dieter Kappel auf die Palme bringt. Er wohnt am Beverweg, ebenfalls direkt an den Gleisen. Heute Nacht hat er bei offenem Fenster geschlafen, durchgesch­lafen, wie er sagt. Vor 30 Jahren hat er sein Haus gebaut, damals hatte man am Wochenende Ruhe, in der Nacht fuhren eh keine Züge, und wenn am Tag welche fuhren, waren die halb so lang und leiser. „Heute hingegen haben Sie nie Ihre Ruhe.“Er fordert Lärmschutz­maßnahmen, Geschwindi­gkeitsbegr­enzungen für Güterzüge, leisere Bremsen – im weitesten Sinne will er Schutz. Ge- meinsam mit seinem Nachbarn Kaspar Michels hat er 4000 Unterschri­ften gesammelt. Ob es etwas nützt? Kappel weiß es nicht. Aber immerhin habe Thomas Geisel versproche­n, mit der Bahn zu reden, etwas zu machen. „Damals allerdings war Wahlkampf“, sagt Kappel.

Er und seine Frau Anni werden heute viel im Garten sein. Es ist zwar kalt zurzeit, aber die Ruhe, die müsse man ja einmal ausnutzen. Bis der Alltag wiederkomm­t.

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RP-FOTO: ANDREAS ENDERMANN Sie hören, dass Sie nichts hören. Der vom Bahnlärm geplagte Dieter Kappel genießt die Ruhe. Wegen des Streiks der Lokführer fährt kein Güterzug vor seinem Haus.

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