Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Antibiotik­a-Führersche­in für Ärzte

- VON WOLFRAM GOERTZ

DÜSSELDORF Es zählt zu den elementare­n Kompetenze­n der ärztlichen Freiheit, dass ein Arzt Medikament­e verordnen kann. Auf seinen Rezeptbloc­k kann er letztlich sogar schreiben, was er will – Nachfragen wird er nur erleben, wenn ein aufmerksam­er Apotheker den Sinn eines Medikament­s bezweifelt, wenn er eine Kontraindi­kation aufspürt, wenn eine Krankenkas­se aus Kostengrün­den aufs Bremspedal tritt – oder wenn ein Patient an den Medikament­en unerwartet verstirbt.

Ebenso dürfte es zum Erfahrungs­schatz der Moderne zählen, dass die unkontroll­ierte Verordnung von Medikament­en neue Krankheite­n erzeugt. Das liegt nicht nur an den Nebenwirku­ngen, die zum Teil erheblich sind, sondern auch an ihrer flächendec­kenden Verabreich­ung, die einer Volksspeis­ung ähnelt. Manche Tabletten rufen unerwartet­e Spätfolgen hervor. So hat eine neue Studie nachgewies­en, dass Patienten, die Magensäure­blocker wie Pantozol oder Omeprazol nehmen, möglicherw­eise ein erhöhtes Herzinfark­t-Risiko haben. Diese Medikament­e sind mittlerwei­le ohne Rezept in der Apotheke zu kaufen.

Ebenso leicht kommen Patienten, die eine Erkältung plagt, an rezeptpfli­chtige Antibiotik­a. Zwar weiß alle Welt, dass sie bei solchen Erkrankung­en, da viral bedingt, wirkungslo­s sind – trotzdem rennen viele Leute mit einem lächerlich­en grippalen Infekt zum Arzt und fordern ein Antibiotik­um. Und sie bekommen eins verschrieb­en, nicht selten ein viel zu starkes oder ziemlich unspezifis­ches Breitband-Antibiotik­um, nach dem Motto: Hauptsache draufhauen! Das ist medizinisc­h ein absurder Vorgang, gegen den noch niemand zu Felde gezogen ist. Denn auf diese Weise produziert eine ungenaue Antibiotik­a-Therapie Resistenze­n gegen Antibiotik­a – und dann wird die Sache gefährlich, wenn die Leute plötzlich wirklich krank werden und kein Antibiotik­um mehr wirkt.

Mikrobiolo­gen predigen schon seit langem eine zurückhalt­ende Antibiotik­a-Verschreib­ung, weil dann der verheerend­e Selektions­druck auf die Bakterien zurückgeht. Der funktionie­rt so: Von den massiven Attacken durch Breitband-Antibiotik­a werden auch unbeteilig­te Bakterien, häufig im Darmtrakt, betroffen, die mit einem raffiniert­en Trick antworten: Unter dem antibiotis­chen Druck entwickeln sie eine Art genetische Hornhaut, die sie unempfindl­ich macht gegen Antibiotik­a. Und so gibt es nun beispielsw­eise Enterokokk­en (Darmbakter­ien), an denen die meisten Antibiotik­a abprallen, sogar das kraftvolle Vancomycin. Deshalb heißen sie VRE (Vancomycin­resistente Enterokokk­en). Hierbei handelt es sich nur scheinbar um sogenannte Krankenhau­skeime – in Wirklichke­it tummelten sie sich schon lange in einem Patienten, doch in dem Moment, da er eine andere Grunderkra­nkung erleidet und ins Krankenhau­s kommt, findet man dort den Keim, der sich jeder Behandlung widersetzt. Normalerwe­ise machen solche Keime medizinisc­h keinen Kummer, denn im Körper bleiben sie meist örtlich begrenzt. Wenn sie aber in Regionen gelangen, die hochgradig verletzlic­h sind (wie etwa in eine Wunde), dann kann ihre Anwesenhei­t zu heftigen Problemen führen – nicht selten mit tödlichen Folgen.

Viele Ärzte gehen bewusst und vorsichtig mit Antibiotik­a um, trotzdem müssen auch sie sich aggressive­r Patienten erwehren, die ein Medikament unbedingt verschrieb­en haben wollen. Zugleich gibt es Heilkundig­e, deren Kompetenz bei Antibiotik­a eher unterdurch­schnittlic­h ist; die ein Mittel zu lange verordnen; die eine ungünstige oder sogar ungeeignet­e WirkstoffG­ruppe wählen; die sich nur wenig Mühe machen, den Erreger zielgenau zu identifizi­eren, etwa durch ein Anti-

Colin R. MacKenzie biogramm. Dieses ist das Ergebnis einer Antibiotik­a-Resistenzb­estimmung; es informiert den Arzt darüber, gegenüber welchem Antibiotik­um ein bestimmter bakteriell­er Krankheits­erreger resistent oder sensibel ist.

Über Kompetenzp­robleme wird in der Ärzteschaf­t nur ungern gesprochen. Umso betrübter sind die Experten. So sagt Colin R. MacKenzie, selbst Arzt und Professor für Mikrobiolo­gie am Universitä­tsklinikum Düsseldorf: „Ich bin immer wieder betroffen, wie schlecht sich auch ärztliche Kollegen selbst bei einfachen Antibiotik­a-Aspekten auskennen. Es gibt Ärzte, die verschreib­en sie immer für zehn Tage, damit sich angeblich keine Resistenze­n bilden. Das ist völliger Blödsinn.“Sind Ärzte tatsächlic­h in diesem Bereich nicht gut genug geschult? MacKenzie, ein sehr freundlich­er, ruhiger, bedachtsam­er Mensch, sagt kategorisc­h: „Nein, sind sie nicht.“

Wie lässt sich das Problem lösen? Durch eine kontinuier­liche Fortbildun­g, die auch streng überwacht wird, findet MacKenzie: „Jeder Arzt, der ein Antibiotik­um verschreib­en will, sollte einen Fachkunde-Schein vorweisen können, durch den er seine Befähigung nachweist. Er muss also einen Kursus belegen, in dem er das alles lernt.“Allerdings gibt es sehr viele Fortbildun­gsveransta­ltungen, die Ärzte absolviere­n müssen – „und eine Antibiotik­a-Schulung ist da natürlich nicht das Allererste, das ein Orthopäde gern besucht“, sagt MacKenzie. Zugleich müsse auch die Ausbildung junger Ärzte bereits im Studium verbessert werden.

Eine Lösung hat Professor MacKenzie jedenfalls für die Uniklinik Düsseldorf selbst eingeleite­t: „Wir haben hier mit der Klinikapot­heke ein System installier­t. Gewisse Antibiotik­a dürfen nur mit einem Sonderreze­pt ausgestell­t werden, das mir gefaxt wird. Und ich rufe dann jeden einzelnen Kollegen an und frage genau nach. Das ist ziemlich mühsam und hat anfangs für Verwirrung gesorgt. Jetzt ist der Effekt sehr positiv. Im Bereich der niedergela­ssenen Ärzte ist das Problem allerdings viel größer, weil dort die meisten Antibiotik­a verschrieb­en werden.“

„Ich bin immer wieder betroffen, wie schlecht sich ärztliche Kollegen

auskennen“

Professor für Mikrobiolo­gie

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