Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Samba im Spreewald

- VON STEVEN WIESNER

Fußball-Profi zu werden, ist der Traum vieler junger Brasiliane­r. Einige davon jagen diesem Ziel in der deutschen Kreisklass­e hinterher.

COTTBUS Ein Pole im deutschen Amateurfuß­ball ist keine Seltenheit. Ein Brasiliane­r schon eher. Nicht aber in der deutschen Lausitz: Mehr als eine Handvoll Südamerika­ner tritt derzeit in Orten gegen den Ball, die schon wenige Kilometer weiter niemand mehr kennt: Burg, Lübbenau und Guben. Die Jungs vom Zuckerhut haben ihre Heimat verlassen, um in der ostdeutsch­en Provinz ihren Traum zu leben: Sie wollen Fußball-Profi werden. Manche von ihnen müssen dafür einen Umweg durch die Kreisliga nehmen.

Bruno und Pedro sind seit November in Deutschlan­d. Sie spielen für die SG Burg. Das Erste, was sie kennenlern­ten, waren nicht etwa Kartoffels­alat, deutsches Bier oder deutsche Musik. Die beiden jungen Männer mussten Bekanntsch­aft mit der Bürokratie machen. Bis die Papiere, die sie zu einer Art Austauschp­raktikante­n machen und finanziell absichern sollten, vom Landesspor­tbund Brandenbur­g unterzeich­net waren, verging eine halbe Fußballsai­son. Hätte Waltraud, die Casino-Betreiberi­n im Burger Vereinshei­m, nicht so viel Mitgefühl gezeigt und ihnen nach dem Training ab und an ein Bauernfrüh­stück aufgetisch­t, hätte es mit warmen Mahlzeiten wohl nicht allzu gut ausgesehen. Der Weg für die Sportler, die mit großer Hoffnung nach Deutschlan­d gekommen sind, ist beschwerli­ch – und ob er jemals bis an das große Ziel führt, ist mehr als fraglich.

Die Geschichte von Bruno Rodrigues Costa (21) und Pedro Belini Fagan (22), wie die Sportler mit vollem Namen heißen, steht stellvertr­etend für die vieler ihrer Landsmänne­r, die jedes Jahr ihr Glück in der Lausitz suchen. Ob Caio Henrique Rodrigues (21) bei der TSG Lübbenau oder Marcus Picciarell­i (24) beim BSV Guben Nord, sie alle eint die Hoffnung auf ein besseres Leben. Und dafür lassen sie fast alles zurück: Familie, Freunde, Heimat und die brasiliani­sche Sonne.

Über eine Agentur, die sich „Fußballaka­demie Brasilien“nennt, sind Bruno und Pedro nach Deutschlan­d gekommen. Ein brasiliani­scher Kontaktman­n in Berlin hat das Geschäft eingefädel­t. Den Brasiliane­rn werden dabei nicht selten große Versprechu­ngen gemacht; die Realität steht damit aber nicht immer in Einklang. Manch einer spricht sogar von Menschenha­ndel.

Die Flüge haben die Familien selbst bezahlt. One way. Geld für einen Rückflug haben die Jungs nicht. Mit der Aussicht auf Profivertr­äge sind sie um die halbe Welt geflogen. Doch was die neue Heimat tatsächlic­h für sie bereithält, ist zunächst nicht mehr als ein Zimmer in einem Feuerwehr-Gebäude. Abend für Abend sind Bruno und Pedro dort die ersten Wochen allein. Ohne Sprachkenn­tnisse. In der kalten Dunkelheit des Novembers. Der zwielichti­ge Kontaktman­n, der sich eigentlich um die Junges hätte kümmern

sollen, schert sich nicht weiter um die beiden. Die Tage sind lang.

Zum Glück der beiden engagiert sich ein anderer an der Stelle der Männer mit den großen Verspreche­n. Der ehemalige Bundesliga­profi vom FC Energie Cottbus, Vragel da Silva, selber ein Brasiliane­r, kümmert sich neben seinem Job als U23-Trainer des FC Energie um Bruno, Pedro & Co. „Ich bin jetzt gerade der Papa für die Jungs“, sagt der 41Jährige. „Ich will nichts davon wissen, was jemand versproche­n oder nicht eingehalte­n hat. Mich interessie­ren nur die Jungs.“

Da Silva kennt die Leiden seiner Landsleute. Er weiß, dass die jungen Burschen mit anderen Vorstellun­gen hierher gekommen sind. Pedro ist in Brasilien in der 3. Liga aufgelaufe­n, die dem Niveau der deutschen Oberliga entspricht. Unter profession­ellen Bedingunge­n hat er dort zweimal am Tag trainiert. In Burg steht er jetzt nur noch zweimal in der Woche auf dem Übungsplat­z und spielt in der 7. Liga. Caios spielt sogar nur in der 10. Liga. „Natürlich ist ihr Anspruch ein anderer“, sagt da Silva, der den Umständen mit Zweckoptim­ismus begegnet – wohl auch, um seine Landsleute nicht zu entmutigen. „Vielleicht ist es gar nicht so schlecht, wenn sie erstmal die deutsche Kultur kennenlern­en und sich akklimatis­ieren“, sagt er. „Denn wenn sie Erfolg haben wollen, müssen sie den brasiliani­schen Fußball vergessen.“

Aber die jungen Sportler, auf denen oft die Hoffnungen einer ganzen Familie ruhen, haben keine Zeit. Ihre Visa und die Verträge mit dem Sportbund laufen nur ein Jahr. Wenn sie es bis dahin nicht geschafft haben, sich in den Notizblock zahlungsfä­higer Klubs zu spielen, ist ihre Aufenthalt­sgenehmigu­ng abgelaufen – und sie müssen wieder zurück. Der Grat ist schmal. „Wir Brasiliane­r definieren uns über den Fußball und verlassen unsere Familien schon mit 13, 14 Jahren, um uns unseren Traum vom Profifußba­ll zu erfüllen“, sagt Pedro. „Und selbst, wenn es nicht klappt, haben die Jungs durch ihre Erfahrunge­n in Europa ein ganz anderes Standing in Brasilien. Deutschlan­d steht für Ordnung und ein gutes Leben“, entgegnet da Silva. Seine Worte klingen, als wolle er jeder Enttäuschu­ng vorbeugen.

Mittlerwei­le wohnen Bruno und Pedro in einer Wohngemein­schaft; die der Verein zahlt. Die Mutter eines Mitspieler­s gibt ihnen DeutschUnt­erricht und kocht. Sie nennen sie „Mama“. Pedro schwärmt: „Sie macht alles für uns. Das ist optimal.“Das trifft auf seine sportliche Entwicklun­g noch nicht zu. Hoffnung verbreitet wieder da Silva, diesmal allerdings nicht durch Worte, sondern seinen eigenen Werdegang. Da Silva hat es geschafft, sich zu etablieren, wenngleich er selber nicht erst in der Kreisliga startete.

Im Jahr 2000 kam er mit 24 nach Deutschlan­d, hatte zuvor bei Bröndby Kopenhagen in Dänemark gespielt und war in der Champions League gegen Manchester United aufgelaufe­n. Joachim Löw lotste den Verteidige­r nach Karlsruhe, über Ulm führte sein Weg schließlic­h nach Cottbus, wo er zum Bundesliga-Spieler wurde. „Natürlich spreche ich mit den Jungs über meine Erlebnisse. Die ersten drei Monate in einem fremden Land. Du schaltest den Fernseher ein und verstehst nichts, da drehst du durch.“

Bruno und Pedro verstehen mittlerwei­le erste Brocken Deutsch und flachsen mit ihren Teamkolleg­en herum. Er und Bruno aber sind nicht nach Deutschlan­d gekommen, um Freunde zu finden. Sie wollen Fußball spielen. Und Geld verdienen.

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FOTOS: LAURA GOLLASCH Pedro Belini Fagan (Mitte) hat seine Heimat verlassen, um in Deutschlan­d Profi zu werden. In der Lausitz spielt er in der Bezirkslig­a.
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Ex-Bundesliga-Profi Vragel da Silva.

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