Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Samba im Spreewald
Fußball-Profi zu werden, ist der Traum vieler junger Brasilianer. Einige davon jagen diesem Ziel in der deutschen Kreisklasse hinterher.
COTTBUS Ein Pole im deutschen Amateurfußball ist keine Seltenheit. Ein Brasilianer schon eher. Nicht aber in der deutschen Lausitz: Mehr als eine Handvoll Südamerikaner tritt derzeit in Orten gegen den Ball, die schon wenige Kilometer weiter niemand mehr kennt: Burg, Lübbenau und Guben. Die Jungs vom Zuckerhut haben ihre Heimat verlassen, um in der ostdeutschen Provinz ihren Traum zu leben: Sie wollen Fußball-Profi werden. Manche von ihnen müssen dafür einen Umweg durch die Kreisliga nehmen.
Bruno und Pedro sind seit November in Deutschland. Sie spielen für die SG Burg. Das Erste, was sie kennenlernten, waren nicht etwa Kartoffelsalat, deutsches Bier oder deutsche Musik. Die beiden jungen Männer mussten Bekanntschaft mit der Bürokratie machen. Bis die Papiere, die sie zu einer Art Austauschpraktikanten machen und finanziell absichern sollten, vom Landessportbund Brandenburg unterzeichnet waren, verging eine halbe Fußballsaison. Hätte Waltraud, die Casino-Betreiberin im Burger Vereinsheim, nicht so viel Mitgefühl gezeigt und ihnen nach dem Training ab und an ein Bauernfrühstück aufgetischt, hätte es mit warmen Mahlzeiten wohl nicht allzu gut ausgesehen. Der Weg für die Sportler, die mit großer Hoffnung nach Deutschland gekommen sind, ist beschwerlich – und ob er jemals bis an das große Ziel führt, ist mehr als fraglich.
Die Geschichte von Bruno Rodrigues Costa (21) und Pedro Belini Fagan (22), wie die Sportler mit vollem Namen heißen, steht stellvertretend für die vieler ihrer Landsmänner, die jedes Jahr ihr Glück in der Lausitz suchen. Ob Caio Henrique Rodrigues (21) bei der TSG Lübbenau oder Marcus Picciarelli (24) beim BSV Guben Nord, sie alle eint die Hoffnung auf ein besseres Leben. Und dafür lassen sie fast alles zurück: Familie, Freunde, Heimat und die brasilianische Sonne.
Über eine Agentur, die sich „Fußballakademie Brasilien“nennt, sind Bruno und Pedro nach Deutschland gekommen. Ein brasilianischer Kontaktmann in Berlin hat das Geschäft eingefädelt. Den Brasilianern werden dabei nicht selten große Versprechungen gemacht; die Realität steht damit aber nicht immer in Einklang. Manch einer spricht sogar von Menschenhandel.
Die Flüge haben die Familien selbst bezahlt. One way. Geld für einen Rückflug haben die Jungs nicht. Mit der Aussicht auf Profiverträge sind sie um die halbe Welt geflogen. Doch was die neue Heimat tatsächlich für sie bereithält, ist zunächst nicht mehr als ein Zimmer in einem Feuerwehr-Gebäude. Abend für Abend sind Bruno und Pedro dort die ersten Wochen allein. Ohne Sprachkenntnisse. In der kalten Dunkelheit des Novembers. Der zwielichtige Kontaktmann, der sich eigentlich um die Junges hätte kümmern
sollen, schert sich nicht weiter um die beiden. Die Tage sind lang.
Zum Glück der beiden engagiert sich ein anderer an der Stelle der Männer mit den großen Versprechen. Der ehemalige Bundesligaprofi vom FC Energie Cottbus, Vragel da Silva, selber ein Brasilianer, kümmert sich neben seinem Job als U23-Trainer des FC Energie um Bruno, Pedro & Co. „Ich bin jetzt gerade der Papa für die Jungs“, sagt der 41Jährige. „Ich will nichts davon wissen, was jemand versprochen oder nicht eingehalten hat. Mich interessieren nur die Jungs.“
Da Silva kennt die Leiden seiner Landsleute. Er weiß, dass die jungen Burschen mit anderen Vorstellungen hierher gekommen sind. Pedro ist in Brasilien in der 3. Liga aufgelaufen, die dem Niveau der deutschen Oberliga entspricht. Unter professionellen Bedingungen hat er dort zweimal am Tag trainiert. In Burg steht er jetzt nur noch zweimal in der Woche auf dem Übungsplatz und spielt in der 7. Liga. Caios spielt sogar nur in der 10. Liga. „Natürlich ist ihr Anspruch ein anderer“, sagt da Silva, der den Umständen mit Zweckoptimismus begegnet – wohl auch, um seine Landsleute nicht zu entmutigen. „Vielleicht ist es gar nicht so schlecht, wenn sie erstmal die deutsche Kultur kennenlernen und sich akklimatisieren“, sagt er. „Denn wenn sie Erfolg haben wollen, müssen sie den brasilianischen Fußball vergessen.“
Aber die jungen Sportler, auf denen oft die Hoffnungen einer ganzen Familie ruhen, haben keine Zeit. Ihre Visa und die Verträge mit dem Sportbund laufen nur ein Jahr. Wenn sie es bis dahin nicht geschafft haben, sich in den Notizblock zahlungsfähiger Klubs zu spielen, ist ihre Aufenthaltsgenehmigung abgelaufen – und sie müssen wieder zurück. Der Grat ist schmal. „Wir Brasilianer definieren uns über den Fußball und verlassen unsere Familien schon mit 13, 14 Jahren, um uns unseren Traum vom Profifußball zu erfüllen“, sagt Pedro. „Und selbst, wenn es nicht klappt, haben die Jungs durch ihre Erfahrungen in Europa ein ganz anderes Standing in Brasilien. Deutschland steht für Ordnung und ein gutes Leben“, entgegnet da Silva. Seine Worte klingen, als wolle er jeder Enttäuschung vorbeugen.
Mittlerweile wohnen Bruno und Pedro in einer Wohngemeinschaft; die der Verein zahlt. Die Mutter eines Mitspielers gibt ihnen DeutschUnterricht und kocht. Sie nennen sie „Mama“. Pedro schwärmt: „Sie macht alles für uns. Das ist optimal.“Das trifft auf seine sportliche Entwicklung noch nicht zu. Hoffnung verbreitet wieder da Silva, diesmal allerdings nicht durch Worte, sondern seinen eigenen Werdegang. Da Silva hat es geschafft, sich zu etablieren, wenngleich er selber nicht erst in der Kreisliga startete.
Im Jahr 2000 kam er mit 24 nach Deutschland, hatte zuvor bei Bröndby Kopenhagen in Dänemark gespielt und war in der Champions League gegen Manchester United aufgelaufen. Joachim Löw lotste den Verteidiger nach Karlsruhe, über Ulm führte sein Weg schließlich nach Cottbus, wo er zum Bundesliga-Spieler wurde. „Natürlich spreche ich mit den Jungs über meine Erlebnisse. Die ersten drei Monate in einem fremden Land. Du schaltest den Fernseher ein und verstehst nichts, da drehst du durch.“
Bruno und Pedro verstehen mittlerweile erste Brocken Deutsch und flachsen mit ihren Teamkollegen herum. Er und Bruno aber sind nicht nach Deutschland gekommen, um Freunde zu finden. Sie wollen Fußball spielen. Und Geld verdienen.