Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Karl Marx der Lindenstra­ße – Harry Rowohlt ist tot

- VON DOROTHEE KRINGS

Der Übersetzer, Autor und Schauspiel­er ist im Alter von 70 Jahren an einer schweren Nervenkran­kheit gestorben.

DÜSSELDORF Man muss schon schwer vom Schicksal geschlagen sein, um als Penner auf der Lindenstra­ße zu enden. Oder ein Genie im räudigen Gewand, wie Harry Rowohlt. Mit bissiger Freude gab der brillante Übersetzer, Autor, Vorleser, Whiskey- und Sprachlieb­haber in der Vorabendse­rie den grummelnde­n Trinker mit Rauschebar­t. Den Karl Marx im Mutter-BeimerUniv­ersum. Bei Panaiotis an der Theke improvisie­rte er spöttische Weisheiten in sein Bierglas. Böse Sottisen, die so gar nicht in die bieder-korrekte Dauer-Serie passen wollten. „Ich bin kein Vegetarier, ich mag nur kein Fleisch. Und was ich noch weniger mag als Fleisch, sind Vegetarier“, maulte er dann. Er hatte eben einen Sinn für das Absurde. Und die nötige gedanklich­e Schärfe. Das ist selten in Deutschlan­d.

Wahrschein­lich hatte diese Lust am Irrwitz damit zu tun, dass Harry Rowohlt die Scheinheil­igkeiten der Erwachsene­nwelt früh durchschau­te. Als Sohn der Schauspiel­erin Maria Pierenkämp­er und des Verlegers Ernst Rowohlt wurde er am Kriegsende 1945 in Hamburg geboren. Seine Mutter war damals noch mit dem Maler Max Rupp verheirate­t, die Familienve­rhältnisse wurden später geklärt, fortan hieß Harry Rowohlt. Aufgewachs­en sei er als „alleinerzi­ehendes Kind“, hat er mal gesagt. Er war ein Stubenhock­er, Büchernarr, übersetzte zum Spaß Ovid. Und ließ sich in keine Rolle drängen. Er war ja klüger als die anderen, darum bestimmte er selbstbewu­sst, auf welche Konvention­en er pfiff, trug seinen Hippie-Bart, trat das Erbe seines Verleger-Vaters nicht an, den er „alt, krank und mäkelig“nannte. Harry Rowohlt wollte nicht Geschäftsm­ann werden, lieber der Literatur treu bleiben, übersetzen und lesen.

Das tat er gern vor Publikum. Und immer dauerte es Stunden. Rowohlt nannte seine Lesungen „Schausaufe­n mit Betonung“– und das waren sie auch. In seinen Ein-MannShows trug er aus seinen Übersetzun­gen vor oder las eigene Texte, aus seinen Kolumnen „Pooh’s corner“etwa, die er in eigenwilli­gen Abständen für die „Zeit“schrieb. Doch eigentlich ließ er sich von der Literatur ins Anekdotisc­he tragen – und vom Alkohol, denn auf der Bühne trank er Whiskey. Und er trug so lange vor, bis die Leute erschöpft den Saal verließen. Natürlich war er Irland-Fan und Schottland-Kenner. Und hatte nach seiner Buchhändle­rlehre bei Suhrkamp und einem enttäusche­nden Abstecher zu Rowohlt auch in New York gelebt. Er war ein Freigeist angelsächs­ischer Prägung. Ein Linker mit Vermögen. Ein Privatier mit Lust am öffentlich­en Auftritt. Er pflegte einen rauen Snobismus und gefiel sich darin.

Seine Ansprüche waren hoch. Vor allem an sich selbst. Ob er perfekt Englisch spreche, wurde er mal gefragt, und gab zur Antwort: „Nur so perfekt wie Deutsch.“Es gab da etwas Absolutes, das seinen Maßstab ins Unendliche verlängert­e und es schwermach­te, zu genügen. Dabei war er nicht nur ein schöpferis­cher Übersetzer und Vorleser, ein „Pu der Bär“, den man auf immer im Ohr hat. Rowohlt besaß auch verlegeris­chen Instinkt. Das erste Buch, das er übersetzte, war ein Kinderbuch des Pädagogen Alexander Sutherland Neill, Gründer der Demokratis­chen Schule Summerhill. Rowohlt arbeitete auf eigenes Risiko und bescherte dem Rowohlt Verlag einen Riesenerfo­lg. Das Jugendbuch „Die grüne Wolke“schaffte es 1970 sogar auf die Spiegel-Bestseller­liste.

2007 gab Rowohlt bekannt, dass er an der unheilbare­n Nervenkran­k-

 ?? FOTO: IMAGO ?? Harry Rowohlt in einer Berliner Galerie auf einer Bierkiste.
FOTO: IMAGO Harry Rowohlt in einer Berliner Galerie auf einer Bierkiste.

Newspapers in German

Newspapers from Germany