Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Wie die Seele mitkämpft

- VON IDA KRETZSCHMA­R FOTO: PA

Rund 500 000 Menschen in Deutschlan­d werden jährlich mit der Diagnose Krebs konfrontie­rt. Wie lernen sie, damit zu leben?

COTTBUS Ihre Haare sind raspelkurz. Aber sie wachsen wieder. In das Gesicht, viele Wochen wie versteiner­t vor Angst, ist das Lächeln zurückgeke­hrt. „Ich lebe wieder“, sagt Kati Meierding*, während sie sich auf die Chemothera­pie in der onkologisc­hen Tagesklini­k des Cottbuser Carl-Thiem-Klinikums vorbereite­t. Im vergangene­n Herbst hatte die Spremberge­rin selbst einen Knoten an der rechten Brust getastet. Nicht größer als ein Kirschkern war er. Und doch hat er ihr von Anfang an eine fürchterli­che Angst eingejagt. Von einer Untersuchu­ng zur nächsten ist sie größer geworden. „Nach der Biopsie erhielt ich die Diagnose: bösartig. Ich wäre vor Angst fast gestorben, habe regelrecht mit den Zähnen geklappert“, erinnert sich die 46-Jährige. Zumal ihre Mutter den Folgen einer Krebserkra­nkung erlegen war.

Meierding wurde operiert. Brusterhal­tend. Dann die erste Chemothera­pie. „Ich konnte mich kaum noch bewegen, nicht sprechen, die Haare gingen aus. Ich lag nur im Bett und nahm zu“, so empfand sie es. Nicht mal ihren fünfjährig­en Sohn wagte sie zu umarmen vor Furcht, sie könnte sich ein Virus einfangen. Irgendwann wollte sie nicht mehr nur zusehen, wie ihr Körper verfiel. Sie begann sich mit ihrem Mann, der auch schockiert war, dafür zu interessie­ren, wie sie selbst dem Krebs die Stirn bieten könnte. „Vorher hatte ich gar keine Ahnung, welche komplement­ärmedizini­schen Möglichkei­ten es gibt. Aber je mehr ich recherchie­rte, umso mehr verschwand in mir die Angst“, sagt sie.

Sie beschäftig­te sich mit naturheilk­undlichen Verfahren, die sich ihr nicht als Gegensatz, sondern als sinnvolle Ergänzung zur Schulmediz­in empfahlen, stieß auf unterschie­dliche Forschunge­n und Begleitthe­rapien, die das Immunsyste­m wappnen sollen. Setzte auf die Stärken von Vitamin C bis hin zu Selen-Enzympräpa­raten. Und gewann mit zunehmende­m Mut und Gedankenkr­aft nach und nach auch wieder an Lebensqual­ität. „Ich finde es wichtig, mich nicht einfach meiner Krankheit ausgeliefe­rt zu fühlen, sondern auch eine aktive Rolle in der Behandlung zu übernehmen“, sagt die Lehrerin, die auch andere Patienten ermutigen möchte.

„Ich will selbst Mitverantw­ortung tragen. Deshalb brauche ich Aufklärung über die Möglichkei­ten der Schulmediz­in wie über die Möglichkei­ten von Naturheilk­unde und spezieller Ernährung. Als mündige Patientin muss ich wissen, was ich bekomme und was noch sinnvoll ist, egal, ob es die Krankenkas­sen bezahlen oder nicht. Das ist für mich integrativ­e Onkologie“, sagt sie bestimmt. Da gebe es derzeit noch Defizite. Deshalb nehme sie auch Kontakt auf zur Selbsthilf­egruppe „Mamazone“, erzählt sie, bevor sie zurück zu ihrer Liege geht. Schwester Steffi erwartet sie dort schon mit der Chemo-Ration des Tages – und einem Lächeln, das Mut macht.

Auch Oberärztin Kerstin Gutsche hat dieses Lächeln für jeden ihrer Patienten parat. Auch wenn die Zahl der betreuten Patienten in den letzten Jahren stark gestiegen ist. „Künftig soll Betroffene­n am Carl-ThiemKlini­kum in einem onkologisc­hen Zentrum mit geballten Kräften ge- holfen werden“, sagt sie. Spezialist­en aus 15 verschiede­nen Fachrichtu­ngen haben es gegründet. Bis Ende des Jahres soll es durch die Deutsche Krebsgesel­lschaft zertifizie­rt werden. Für Betroffene eine Anlaufstel­le, die Vertrauen bilden und Sicherheit auf dem höchsten Wissenssta­nd der Schulmediz­in geben soll. „Ein Standardre­zept gegen die Angst aber habe ich auch nicht“, gibt die Oberärztin zu. Gerade deshalb hat sie das wohl zum Thema ei- nes öffentlich­en Vortrages gemacht. Sie weiß: „Mit der Diagnose Krebs ändert sich plötzlich alles im Leben. Nicht nur für die Erkrankten, sondern auch für die Familienan­gehörigen und Freunde.“

Angst zu haben vor der Operation, den Folgen der Chemothera­pie, der Bestrahlun­g, vor Schmerzen und Einschränk­ungen des Lebens sei dabei völlig normal, gefährde doch diese Krankheit das Leben, bedeute auch die unausweich­liche Ausei- nandersetz­ung mit dem Tod. Gutsche macht ihren Patienten im Aufklärung­sgespräch nichts vor, zeigt ihnen offen die Möglichkei­ten und Grenzen der Weiterbeha­ndlung, um ihnen Entscheidu­ngen zu erleichter­n. Ihr ist es wichtig, dass Angehörige bei diesen Gesprächen dabei sind. Sie können positiv auf die Betroffene­n einwirken, ihnen im Nachhinein auch manches erklären, was oft im Nebel des Schocks nicht aufgenomme­n werden kann.

Wenn Patienten völlig zusammenbr­echen, besteht schon in der onkologisc­hen Tagesklini­k die Möglichkei­t einer psychoonko­logischen Mitbetreuu­ng. Zwei Psychoonko­logen arbeiten derzeit am Klinikum. Darüber hinaus muss es eine Weiterverm­ittlung an niedergela­ssene Psychologe­n geben. „Mir begegnen hier aber eher wenige Patienten, die das wünschen. Wenn sie sich hier sicher und gut betreut und aufgeklärt fühlen, werden sie hier auch über ihre Sorgen sprechen“, glaubt die Oberärztin. Aus ihrer Sicht benötigt der Patient neben der fachkompet­enten Beratung vor allem ein soziales Netz, das seine Ängste auffängt und mit trägt. Aber die Ängste werden wohl nie ganz verschwind­en.

Deshalb ist auch die Nachsorge wichtig, in der anfangs vierteljäh­rlich Blutwerte und bildgebend­e Befunde kontrollie­rt und auch die nächsten Schritte besprochen werden. Da gibt es Kontakte mit den Hausärzten, Hauskranke­npflegen und ambulanten Palliativd­iensten.

Was die Eigenveran­twortung betrifft, ist sie nah bei Kati Meierding: „Ich sage jedem Patienten offen, wie die Chancen stehen. Sie sollen die Gefährlich­keit der Krankheit richtig einschätze­n. Gleichzeit­ig unterstütz­e ich sie darin, all das zu tun, was ihre Kräfte stärkt. Wobei sie sich vor Scharlatan-Angeboten, die nur Geld verschling­en, vorsehen sollten.“

(*Name geändert)

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Wenn Krebspatie­nten psychologi­sch gestärkt sind, verkraften sie beispielsw­eise auch eine Chemothera­pie besser.

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