Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

UWE TIMM „Schreiben ist für mich ein Befreiungs­akt“

- VON LOTHAR SCHRÖDER

Der Bestseller­autor liest heute im Palais Wittgenste­in aus seinem neuen Essayband „Montaignes Turm“.

Uwe Timm gehört zu den wenigen deutschen Schriftste­llern, die ihr Anliegen (bei Timm ist es zumeist politisch) auch unterhalts­am vermitteln können. Die großen Bucherfolg­e – schon mit seinem Apo-Roman „Heißer Sommer“von 1974 – zeigen, wie gut das Uwe Timm, der im Sozialisti­schen Deutschen Studentenb­und aktiv und zwischenze­itlich Mitglied der DKP war, gelingt. Heute Abend liest der 75-Jährige im Palais Wittgenste­in aus seinem neuen Buch „Montaignes Turm“. Ihre Essays aus den vergangene­n Jahren lesen sich wie eine Autobiogra­fie – eine des Schreibens und des Lesens. TIMM Das Buch ist in der Tat ein Versuch über mich selbst. Was mir einst wichtig war und was sich ins Bewusstsei­n dann eingelager­t hat, habe ich versucht, in „Montaignes Turm“zu versammeln. Dazu gehört auch meine Afrikareis­e 2014, zumal ich 40 Jahre zuvor mit „Morenga“schon einen Afrika-Roman geschriebe­n hatte. Damals war Afrika mit all den Befreiungs­bewegungen noch im Aufbruch; es gab Konzepte für eine basisdemok­ratische Gesellscha­ft. Heute ist die Ratlosigke­it in Afrika groß und die Armut riesig. Es gibt eigentlich keine konzise AfrikaPoli­tik mehr. Wer Politik macht, sind die vielen Flüchtling­e; und darauf wird jetzt vor allem mit Abwehr reagiert. Sie denken in Ihren Essays auch viel übers Lesen und Schreiben nach. Hängt das auch mit Ihrer keineswegs gradlinige­n Karriere zusammen? Sie haben erst eine Kürschner-Lehre absolviert und hatten in jungen Jahren zudem mit einer Rechtschre­ibschwäche zu kämpfen. TIMM Das ist genau das, was sich bei mir und meinem Blick zurück einstellt. Das Lesen und das Schreiben waren für mich sehr frühe Befreiungs­akte. Ich habe ja schon mit Zwölf zu schreiben begonnen; hilf- los zwar, doch mit dem Bemühen, über meine Probleme nachzudenk­en. Das Schreiben war für mich eine Hilfe, mit der fürchterli­ch autoritäre­n Schule und dem Vater zurechtzuk­ommen. Keine Frage: Das Schreiben war für mich ein Emanzipati­onsprozess. Sie sind bekannt als ein Romanautor, der politische Stoffe verarbeite­t. Jetzt besingen Sie „Montaignes Turm“, der wie ein Elfenbeint­urm mit reichlich Distanz zur Wirklichke­it anmutet. TIMM Für die Literatur ist es manchmal erforderli­ch, dass man eine gewisse Distanz einnimmt. Man darf aber nicht die Wirklichke­it aus den Augen verlieren und die Empörung darüber, wie die Dinge sind. Für mich ist im Augenblick aber eher die Situation des „Türmers“da: mit dem Ausblick, distanzier­ter mit Vielem umzugehen. Vielleicht ist das auch eine Sache des zunehmende­n Alters, mit dem sich der Horizont zu verengen beginnt. Man konzentrie­rt sich auf das, was man kann. Und das ist für mich das literarisc­he Schreiben. Ist der Elfenbeint­urm denn für Sie als Autor mehr als nur eine Symbolik? TIMM Ich schreibe tatsächlic­h in einer Art Turmzimmer. Dort, im Abgeschlos­senen, findet die eigentlich­e, konzentrie­rte Arbeit statt. Dort lese und schreibe ich acht Stunden am Tag, ich denke dort nach und rede nicht. Und wenn ich dann bei einer Lesung eineinhalb Stunden reden muss, habe ich einen Muskelkate­r, weil es für mich plötzlich so ungewöhnli­ch ist. Sie erwähnen immer wieder den Autor Wolfgang Koeppen, der die Gegenwart auch mit Hilfe von Mythen zu beschreibe­n versucht. Haben Sie bei ihm gelernt? TIMM Ja, er wohnte hier in München praktisch gleich um die Ecke. Und ich habe ihn immer beim Einkauf gesehen. Um ihn aber auch anzusprech­en, d afür war ich nun doch zu schüchtern. Seine Romane waren für mich auch deshalb so erstaunlic­h, weil er sich der Gegenwart so ganz und gar annimmt. Und weil er dabei Figuren erschafft, die alles andere als nur alltäglich sind und einen gewissen Mythos haben. Seine Bücher sind in expressive­r Sprache eine sehr genaue Beobachtun­g der Wirklichke­it. Einer Ihrer erfolgreic­hsten Romane, „Die Entdeckung der Currywurst“, nutzt auch einen Mythos – den der Kirke. Das wurde aber kaum beachtet; vielmehr haben sich die Leute darüber gestritten, wo denn eigentlich die Currywurst erfunden wurde, in Berlin oder Hamburg. TIMM Ich war erst einmal überrascht, dass es solche Formen annimmt. Es wurde sogar eine Gedenkplat­te aufgestell­t für Frau Brücker aus meinem Buch, die es ja nie gegeben hat, die aber dadurch in die Wirklichke­it eingegange­n ist. Das habe ich so nicht erwartet; diese Debatte fand ich skurril. Für mich war es dennoch interessan­t, zu sehen, wie Literatur bewusstsei­nsmäßig wirken kann. Ihr jüngster Essay beschreibt die schon erwähnte Afrika-Reise. Am Ende erzählen Sie von einer Frau, die im Tschad am Straßenran­d ärmlich Kaffee anbietet. Und Sie schreiben bewundernd, wie Sie dies mit „großer Entschiede­nheit“tat. Steht dahinter für Sie auch eine Lebenshalt­ung? TIMM Unbedingt. Das wünsche ich mir und hoffe, dass ich es auch tue.

 ?? FOTO: DPA ?? Politische­r Autor mit Bestseller­qualität: Uwe Timm (75).
FOTO: DPA Politische­r Autor mit Bestseller­qualität: Uwe Timm (75).

Newspapers in German

Newspapers from Germany