Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Montecristo
Jonas, heißt das alles nicht auch, dass du den Film jetzt doch machen kannst?“Sein Herz machte einen Sprung. „Genau! Nur vielleicht in Bali statt in Thailand.“Wieder standen sie eng umschlungen mit gesenktem Schirm im Schneegestöber.
Max nahm die Nachricht wie zu erwarten weniger euphorisch auf. Jonas hatte ihn im Schönacker vor einer Schweinshaxe angetroffen, einer der Spezialitäten des Hauses.
Er hatte ihm von der Begegnung mit Cress erzählt, Gantmann hatte ihm mit vollen Backen skeptisch zugehört.
Die kurze Zeit, die Jonas für die Geschichte brauchte, hatte Max genügt, um die ganze Haxe wegzuputzen. Jetzt wischte er den Teller mit einem Stück Brot sauber und hinterließ ihn mit einer für ihn ungewohnten Ordnungsliebe.
„Und jetzt“, mampfte er, „findest du, du kannst reinen Gewissens den Film machen und die Contini-Sache sausenlassen.“
„Und du findest das natürlich nicht.“
Max fischte einen Zahnstocher aus der Menage und begann, in seinem Mund herumzustochern. „Mir würde die Erklärung von Serge Cress nicht genügen. Er hat zwar nicht gesagt, dass die GCBS den Betrag finanziert hat, aber er hat es auch nicht bestritten. Und er hat“– er hielt nun die freie Hand pfleglich über den offenen Mund – „zwar gesagt, dass die Geldgeber kein Mitspracherecht besäßen, aber er hat auch nicht gesagt, wie die Entscheidung zustande gekommen ist. Außer, dass es nicht durch die Mehrheit geschah.“
„Wie und von wem auch immer die Entscheidung zustande kam“, entgegnete Jonas, „sie diente nicht dazu, mich von der Contini-Sache abzubringen. In der habe ich erst zu recherchieren begonnen, als die Förderung schon beschlossen war.“
Gantmann schluckte die Ausbeute seines Gestochers hinunter und nahm einen langen Zug aus seinem Glas Dunkelbier. Er atmete tief aus und sagte: „Aber die Banknotensache war schon vorher.“
„Die Banknotensache war ein Flop, das weißt du.“
„Mir ist sie noch immer nicht ganz geheuer. Vielleicht hat die GCBS sie zum Flop gemacht.“
„Selbst wenn, was hat sie mit Contini zu tun?“
„Ich weiß es nicht. Noch nicht. Aber ich habe so ein Gefühl. Wenn das Loch von Contini wirklich so gewaltig ist, wie ich vermute – und es ist gewaltig –, dann könnten die Banknoten Teil der Vorkehrungen gewesen sein, die die Bank zum Selbstschutz ergriffen hat.“„Das verstehe ich nicht.“„Ich verstehe es auch noch nicht. Aber ich werde noch draufkommen. Ich spüre, dass ich nahe dran bin.“Er trank sein Bier aus und winkte mit dem leeren Glas. „Wenn du aufgibst und dich der Kunst zuwendest, erlaubst du mir wenigstens, dass ich dranbleibe?“„Klar. Gerne.“„Überlässt du mir das Material, das du bis jetzt beisammenhast?“„Gerne.“„Das ganze? Auch das zu den Banknoten?“„Das ganze.“Die Blauwiesenstraße 122 lag im Seefeldquartier, gar nicht weit von Brands Wohnung an der Rofflerstraße. Es war ein gelbes Backsteingebäude aus den zwanziger Jahren, dessen große Fenster von ockerfarbenen Ziegeln eingefasst waren. Die Nembus Productions befand sich im Erdgeschoss.
Es war ein erhebender Moment, als Rebstyns Assistentin ihn zu einer Tür führte, auf deren Schild „Montecristo“stand. Sie schloss sie auf und überreichte Jonas den Schlüssel. Er betrat einen großen, hohen, hellen Raum, dessen Fenster auf den Hinterhof gingen. Es gab vier Schreibtische, einen Besprechungstisch, Schränke, Gestelle und Korpusse. Etwas abseits beim Fenster war ein größerer Schreibtisch mit einem Besucherstuhl gegenüber dem Bürosessel. Ein Flachbildschirm stand darauf, ein Keyboard und eine Computermaus. „Das ist dein Platz“, erklärte die Assistentin. Sie hatte schon bei der Begrüßung gesagt: „Wir duzen uns hier alle, und du gehörst ja jetzt dazu.“Jonas setzte sich probeweise auf den Sessel, machte eine halbe Drehung in beide Richtungen, passte die Sitzhöhe seiner Statur an und öffnete die Schubladen. Sie waren leer bis auf einen verschrumpelten Apfel, der ihm von zuhinterst in der Schublade entgegenrollte, als er sie zu heftig herauszog. „Entschuldige“, sagte die Assistentin und wollte den Apfel nehmen. „Nein, lass ihn mir, Schiller dienten faule Äpfel zur Inspiration. Vielleicht hilft es mir auch.“Sie wünschte ihm gute Inspiration und erinnerte ihn an die erste Produktionssitzung mit Jeff, hier, in einer guten Stunde. Jonas packte seinen Laptop aus, stellte ihn neben das Keyboard und setzte sich davor. Das war jetzt also sein Arbeitsplatz für die nächsten Monate. Nach und nach würden seine Mitarbeiter dazustoßen. Die Produktionsassistentin, der Produktionsleiter, der Location Scout und alle anderen. Jetzt erst sah er die Klappe, die auf dem Fenstersims an die Scheibe gelehnt war. „Montecristo“stand groß auf der Titelzeile. In die Rubrik „Produktion“hatte jemand in schöner Schrift mit wasserfestem Filzstift „Nembus“geschrieben. Bei „Regie“stand „Jonas Brand“. Bei „Kamera“fehlte der Name noch. An der Wand hing eine weiße Kunststofftafel mit dem Titel „Produktionsablauf Montecristo“. Oben links stand „Wann“, daneben „Was“, dann „Wer“, dann „Bemerkungen“. Bei „Wann“hatte jemand das heutige Datum geschrieben. Bei „Wer“stand „Brand/Rebstyn“. Jonas ballte die Fäuste und stieß einen unhörbaren Freudenschrei aus. Auf dem Balkon des Drachenhauses lag Schnee. Am Nachmittag war noch mehr gefallen, bestimmt zwanzig Zentimeter schmückten die Sandsteinbrüstung. Es war dunkel, die Lichter der Stadt spiegelten sich in der Limmat. William Just stand in der Balkontür und rauchte. Er wollte vermeiden, dass seine gut eingetragenen englischen Maßschuhe nass wurden, sie hatten Ledersohlen. Dazu kam, dass er bei der Kälte froh war um die behagliche Wärme des Zimmers in seinem Rücken. In der Scheibe des offenen Türflügels sah er sein Spiegelbild vor dem Hintergrund des sogenannten Herrenzimmers. Die braune Hand mit dem blauen Siegelring, mit der er die Zigarette hielt, hob sich von der weißen Manschette ab und der gebräunte Teint vom Weiß seines Kragens. Er hatte zwischen Weihnachten und Neujahr ein paarmal die Gstaader Sonne zu Gesicht bekommen und danach die Bräune auf der Sonnenbank seines Home GYM ein wenig nachhaltiger gemacht.
(Fortsetzung folgt)