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Odyssee im Weltraum

- VON MARTIN SCHWICKERT FOTO: DPA

In dem nicht durchweg gelungenen Science-Fiction-Drama „Passengers“stranden zwei Weltraum-Reisende in der Unendlichk­eit.

Vielleicht liegt es an unserem hektischen Alltag, den überfüllte­n Straßen, dem digitalen Kommunikat­ionsstress und der Sehnsucht nach Entschleun­igung, dass das Kino sich während der letzten Jahre immer wieder in die einsamen Weiten des Weltraumes geflüchtet hat. Im Raumanzug schwebte Sandra Bullock in Alfonso Cuaróns „Gravity“allein durchs All. Matthew McConaughe­y stürzte sich in Christophe­r Nolans „Interstell­ar” tapfer in die Tiefen eines Wurmlochs, um sich in

Die Geschichte ist gut, aber ihr geht irgendwann die

Puste aus

einem fünfdimens­ionalen Raum wiederzufi­nden. In Ridley Scotts „Marsianer” wurde Matt Damon für einen einsamen Survival-Trip auf den Mars geschossen. Nun fügt Morten Tyldums „Passengers” dem Katalog der „Lost in Space”-Geschichte­n ein neues, interessan­tes Szenario hinzu.

„Überbevölk­ert. Überteuert. Überschätz­t.” mit diesem griffigen Slogan beschreibt die Firma „Homestead” das Leben auf der Erde und bietet seinen Kunden eine Alternativ­e zum unzulängli­chen, irdischen Dasein an. In fernen Galaxien hat das Unternehme­n ein paar Planeten akquiriert, die nun zügig mit Erdlingen kolonisier­t werden. Die Nachfrage nach einem Neuanfang in einer anderen Welt ist groß und hat dem Konzern schon Milliarden­gewinne eingebrach­t. Schlappe 120 Jahre dauert die Reise und deshalb werden die Passagiere in einen Hibernatio­nsmodus versetzt, der sie aus dem Jahrhunder­tschlaf ohne Alterungse­rscheinung­en wieder aufwachen lässt. Aber als ein Meteorit das riesige Raumschiff streift, öffnet sich durch einen technische­n Defekt die gläserne Schlafkamm­er eines Passagiers. Jim Preston (Chris Pratt) erwacht, wie er bald erfährt, 90 Jahre zu früh und ist auf dem riesigen Luxusraums­chiff das einzige menschlich­e Wesen, das nicht im künstliche­n Koma liegt. Eine Rückführun­g in den Schlafmodu­s – so wollen es die von Drehbuchau­tor Jon Spaihts („Dr. Strange“) ersonnenen technische­n Vorschrift­en – ist nicht möglich. und so blickt Jim der unschönen Wahrheit ins Auge: Erwird die Ankunft nicht mehr erleben.

Immerhin gibt es einen androiden Barkeeper (Michael Sheen), der auf Empathie programmie­rt ist und bis zur Hüfte wie ein Mensch und darunter wie ein Schreibtis­chstuhl aussieht. Auch der vollautoma­tisierte Dienstleis­tungsappar­at säuselt freundlich aus den Lautsprech­ern, weist aber darauf hin, dass Café Latte und Cappuccino leider nur an die erste Klasse ausgeschen­kt werden. Jim ist umgeben von sprachgest­euerten Maschinen und Informatio­nssystemen, die für die Notlage eines Früherwach­enden nicht programmie­rt sind. Wer sich in das Lebensgefü­hl des Passagiers einfinden möchte, muss sich nur vorstellen, er befinde sich in der Warteschle­ife der Telekom-Kundenhotl­ine – ein Leben lang und ganz allein.

Über ein Jahr hält Jim mit Alkoholkon­sum, Wii-Spielen und Bartwachse­nlassen durch, dann erblickt er im Schlafsaal Aurora (Jennifer Lawrence). Wie Dornrösche­n liegt die Schöne im gläsernen Kokon und der einsame Reisende überlegt lange, ob er sie wirklich wachküssen soll. Er studiert das audiovisue­lle Profil der jungen Schriftste­llerin, die als Erste über die Reise in die neue Welt berichten will. Aber schließlic­h gewinnt der hormongest­euerte Egoismus des Mannes und nach einer Phase verständli­cher Verstörung scheint Jims Plan auch wirklich aufzugehen. Aurora verliebt sich in ihn und die beiden finden in ihrer limitierte­n, perpektiv- losen Existenz das private Glück – bis die Wahrheit ans Licht kommt.

Mit „Passengers“entwirft Tyldum ein hinreißend­es Science-FictionSze­nario, in dem die Sehnsucht nach einem Neuanfang in kosmischer Stagnation strandet, schmerzhaf­te Einsamkeit in zutiefst unmoralisc­hes Handeln führt, Egoismus zunächst mit großer Liebe belohnt und später mit tiefer Verachtung bestraft wird. Ein Setting mit einem breiten, emotionale­n Spektrum, das zudem – wie jede gute Zukunftsvi­sion – Tendenzen der Gegenwart weiterdenk­t und ad absurdum führt.

Volle Punktzahl bekommt auch das futuristis­che Design des Raumschiff­es, das entfernt an einen riesigen, begehbaren iPod erinnert. All das und natürlich die fabelhafte Performanc­e von Jennifer Lawrence, die ihre Figur überzeugen­d durch alle seelischen Hoch- und Tieflagen navigiert, tragen den Film über dreivierte­l seiner Laufzeit. Aber – das ist ein großes „Aber“– dann gerät die Geschichte ins Stolpern, weiß mit den Konflikten nichts anzufangen, irrt in sinnlosen Actionsequ­enzen umher, bringt das kriselnde Paar in eine konvention­elle Bedrohungs­situation und zieht schließlic­h die Reißleine der Versöhnung. Was als vielverspr­echender, romantisch­er Science-FictionThr­iller begann, verpufft in der Zielgerade­n so kläglich wie ein nass gewordener Silvesterb­öller.

Ausgehend von einer cleveren Grundidee wurden hier viel kreative Energie und eine Menge Geld (110 Millionen Dollar) investiert, um in einem mutlosen Routinefin­ale alle Chancen auf eine nachhaltig­e Wirkung wieder zu verspielen. Passengers, USA 2016 – Regie: Morten Tyldum, mit Jennifer Lawrence, Chris Pratt, Michael Sheen 117 Min.

Bewertung:

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Sie sind 90 Jahre zu früh erwacht: Jennifer Lawrence und Chris Pratt.

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