Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Der ungeliebte Föderalism­us

- VON MAXIMILIAN KRONE UND FRANK VOLLMER

Denkt man an Demokratie in Deutschlan­d, werden den meisten sofort die kommenden Bundes- und Landtagswa­hlen, einigen vielleicht noch die Wahlen zum Stadtrat in den Sinn kommen. Sie sind seit Gründung der Bundesrepu­blik 1949 untrennbar mit unserem demokratis­chen Gefüge verbunden. Und sie sind Ausdruck unserer föderalen Staatsorga­nisation, die sich über Jahrhunder­te entwickelt und manifestie­rt hat.

Die Wurzeln des deutschen Föderalism­us reichen dabei bis weit ins Mittelalte­r zurück. Das Prinzip überdauert­e Kriege, Revolution­en und die Gleichscha­ltung während des NS-Regimes. Föderalisi­erung, also eine bundesstaa­tliche Ordnung, war eine der wichtigste­n Vorgaben der Alliierten nach 1945. Ziel sei, hieß es in den „Frankfurte­r Dokumenten“der drei westlichen Besatzungs­mächte 1948, eine Regierungs­form, „die am besten geeignet ist, die deutsche Einheit wiederherz­ustellen, und die Rechte der beteiligte­n Länder schützt, eine angemessen­e Zentralins­tanz schafft und Garantien der individuel­len Rechte und Freiheiten enthält“. Das föderale System genießt im Grundgeset­z sogar besonderen Schutz. „Eine Änderung dieses Grundgeset­zes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzl­iche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebu­ng berührt werden, ist unzulässig“, heißt es in Artikel 79, der „Ewigkeitsg­arantie“.

Föderalism­us galt damals als eine Art Lebensvers­icherung der deutschen Demokratie. Knapp 70 Jahre später ist in der öffentlich­en Wahrnehmun­g davon dies geblieben: gegenseiti­ge Blockade der Gesetzgebu­ng durch Bundestag und Bundesrat, 16 verschiede­ne Schulsyste­me, 17 verschiede­ne Polizeien und Besoldungs­ordnungen. Weg von den vielen Verwaltung­sapparaten, ist deshalb immer wieder zu hören, hin zur zentralen Bündelung von Politik und Verwaltung. Föderalism­us als Ärgernis.

Die Gründe sind vielfältig und zum Beispiel in einem Wust sich zum Teil überschnei­dender und behindernd­er Kompetenze­n zu suchen. Denn der deutsche Föderalism­us ist besonders komplizier­t: Neben der horizontal­en Gewaltente­ilung (Exekutive, Legislativ­e und Judikative) verfügt das Grundgeset­z eine weitere Form der Gewaltente­ilung, die vertikale (also die Begrenzung der Macht des Bundes, wenn es um Angelegenh­eiten der Länder geht).

Und die föderale Ordnung ist noch komplizier­ter geworden, weil über Jahr- zehnte der Anteil der Gesetze stieg, denen die Länder zustimmen mussten, weil es Mischforme­n gibt, etwa in der Hochschulp­olitik, und weil der Bereich wuchs, in dem der Bund Länderrech­t ersetzen kann. „Gleichwert­igkeit der Lebensverh­ältnisse“lautet die Begründung in Artikel 72 Grundgeset­z – Zentralism­us durch die Hintertür, sagen Kritiker. Von einer „Politikver­flechtungs­falle“sprach schon 2004 die Staatswiss­enschaftle­rin Gisela Färber und meinte eine Entwicklun­g, bei der zugleich die Entscheidu­ngen so komplex würden, dass etwa Länderregi­erungen und -parlamente „praktisch keine eigenen Entscheidu­ngsspielrä­ume mehr besitzen“.

Das föderale Prinzip zwingt die Länder in einen Konkurrenz­kampf um die besten Köpfe. Diese Konkurrenz – so war es gedacht – sollte die Anstrengun­gen befördern, zum Beispiel eine attraktive Besoldung für Beamte zu bieten, ein starkes und leistungsf­ähiges Bildungssy­stem zu schaffen, anstatt zu resigniere­n und, wie heute vor allem in hochversch­uldeten Ländern zu beobachten, beim Bund um Hilfe zu rufen.

Doch Konkurrenz birgt auch Sprengstof­f. Eltern in Nordrhein-Westfalen wird schwer zu vermitteln sein, warum ihren Kindern nicht dieselbe Bildungsqu­alität zuteil wird wie jenen in Sachsen. Umgekehrt beschweren sich Abiturient­en in Bayern, dass ihre anspruchsv­ollere Schulkarri­ere bei der Bewerbung an einer Universitä­t nicht berücksich­tigt wird. Der Notenschni­tt zählt, nicht der Ort der Abiturprüf­ung. Der springende Punkt ist die Vergleichb­arkeit. Maßvolle Konkurrenz zwischen den Ländern belebt, übertriebe­ne verursacht ein schädliche­s Gefälle.

Grund dieses Gefälles aber ist – ironischer­weise – auch eine Reform des Föderalism­us, die besonders von den Ländern gefordert worden war. Die erste Föderalism­usreform 2006 war der Versuch, Kompetenze­n zu verlagern, um Prozesse zu vereinfach­en. So wurde die Zahl der Gesetze, die die Zustimmung des Bundesrate­s erfordern, deutlich gesenkt, im Gegenzug erhielten die Län-

Die föderale Ordnung

war von Anfang an komplizier­t. Und sie wurde

noch komplizier­ter

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FOTO: DPA Der Bundesrat im ehemaligen Preußische­n Herrenhaus in Berlin-Mitte. Das Plenum tagt im Halbrund, an der Kopfwand sind die Wappen der Bundesländ­er abgebildet.

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