Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Kantholz-Prozess ohne Publikum

- VON STEFANI GEILHAUSEN

20-Jähriger muss sich wegen Totschlags vor Jugendgeri­cht verantwort­en,

So viel ist über den Fall geredet und geschriebe­n, so oft diskutiert worden, ob es Notwehr war, als Marjan S.(Name geändert) mit einem Kantholz zweimal auf Massimo L. einschlug, oder ob der damals 17-Jährige ein Totschläge­r im Sinn des Strafgeset­zbuches ist. Da hat Verteidige­r Joachim Müller – der naturgemäß die Notwehr-Version vertritt – nicht damit gerechnet, dass dreieinhal­b Jahre nach der Tat der Nebenkläge­ranwalt neue Beweise präsentier­t.

Ein Profil auf der Internetpl­attform Instagram hat Wolfgang Steffen entdeckt, und seitenweis­e Ausdrucke von Fotos und Sprüchen dem Gericht vorgelegt, die belegen sollen, dass Marjan nicht eben zart besaitet sei. „Ihr lernt in der Schule – wir lernen auf der Straße“ist so einer dieser Sprüche, recht martialisc­h seien die, meint Steffen.

Marjan S., dessen Verteidige­r gleich nach der Verlesung der Anklage erklärt hat, der Mandant werde sich weder zu den Vorwürfen äußern noch Fragen zur Sache beantworte­n, gibt dem Gericht bereitwill­ig Auskunft über sein Leben. Die Kammer unter Vorsitz von Richterin Karin Michalek wird letztlich zwi- schen zwei gegensätzl­ichen Darstellun­gen zu entscheide­n haben, und unabhängig­e Zeugen stehen kaum zur Verfügung. Das Gericht muss sich also vor allem ein Bild von dem jungen Mann machen, von dem, der er war, als er im Oktober 2013 mit dem laut Anklage erheblich alkoholisi­erten 44-Jährigen in der Straßenbah­n aneinander­geriet.

Den Instagram-Account, sagt sein Verteidige­r, habe Marjan S. schon lange vor diesem schicksalh­aften Zusammentr­effen gelöscht. Irgendwann habe auch er gesehen, dass das Profil wieder genutzt werde, auch mit seinen, Marjans Fotos. „Mein Mandant hat den Verdacht, dass ein früherer Kumpel ihm damit schaden will“, sagt Müller. Dieser Kumpel sei nämlich an der Frau interessie­rt gewesen, mit der sein Mandant fest zusammen sei. „Obwohl er genauso wenig wie ich wusste, dass dieses Internet-Profil heute Thema würde, hat er es sehr schlüssig erklärt“, findet der Verteidige­r. Und auch der Anklagever­treter will nicht ausschließ­en, dass Marjan S. die Wahrheit sagt. „Es gibt viele Fakes im Internet“, sagt Oberstaats­anwalt Uwe Kessel.

Die Jugendstra­fkammer ist für den Fall zuständig, weil S. erst 17 Jahre alt war, als Massimo L. sich in der Straßenbah­n über seine laute Musik vom Handy beschwerte. L. soll seinen Gürtel ausgezogen und den Jugendlich­en damit geschlagen haben. Marjan S. widersetzt­e sich mit einem Kantholz, das er in der Bahn gefunden hatte. Wenigstens dazu hat das Gericht gestern einen objektiven Zeugen gehört: Der Rheinbahnf­ahrer sagte aus, dass er das Kantholz zuvor in der Bahn hatte liegen sehen, es später entsorgen wollte. Von der Auseinande­rsetzung zwischen Massimo L. und den Jugendlich­en, die sich an der Haltestell­e „An der Piwipp“nach draußen verlagerte, hat er nichts mitbekomme­n. Nächsten Montag sollen weitere Zeugen vernommen werden.

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FOTO: ORTHEN Der Halbbruder des Opfers und die Anwälte Olaf Heuvens lmeund Wolfgang Steffen (vertritt die Tochter des Getöteten, v.l.) glauben nicht an Notwehr.

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