Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Der Zweikampf ums deutsche Handballtor
ROUEN (cze) Verrückt, so lautet oft die Antwort, wenn man das Treiben von Handballtorhütern beurteilt. Ganz dicht könne ja wohl niemand sein, der sich freiwillig in das zwei Meter hohe und drei Meter breite Tor stellt und versucht, einen von Muskelbergen mit Tempo 100 und mehr geworfenen Ball abzuwehren. Zwei „Verrückte“sind auch mit der deutschen Nationalmannschaft bei der WM in Frankreich unterwegs. Und glaubt man den Fachleuten, dann gehören Andreas Wolff und Silvio Heinevetter zu den besten Toreverhinderern.
Handballtorhüter stehen viel häufiger als ihre Kollegen vom Fußball im Fokus. Ihr Vorteil: Sie können Fehler im Verlauf einer Partie besser ausbügeln. Heinevetter und Wolff sind Teamkollegen, aber auch Rivalen. Jeder will spielen.
Beim 27:23-Sieg gegen Ungarn war es Heinevetter, der sich in einen Rausch spielte und mit zahlreichen Paraden zum Sieggarant wurde. Für Wolff, den Helden der EM 2016 und Aufsteiger des vergangenen Jahres, blieb überraschend nur der Platz auf der Bank, da Bundestrainer Dagur Sigurdsson den Berliner durch- spielen ließ. „Wir sind hier, um Weltmeister zu werden. Wir haben das erste Spiel gewonnen, haben zwei Punkte geholt, insofern ist die Welt in Ordnung“, sagte Wolff. Es war dem 25-Jährigen aber anzumerken, dass er das Dasein als Bankdrücker nicht unbedingt häufiger erleben möchte. Gestern war der Kieler an der Reihe und zeigte gegen die Chilenen, dass er ebenfalls in Form ist. Aber es war kein Spiel, in dem der Torhüter den Unterschied macht.
Als gut und professionell bezeichnet Wolff die Zusammenarbeit. Während des Spiels ab und zu auf- munternd zunicken, dem an die Seitenlinie gekommenen Kollegen die Trinkflasche anreichen oder mit den Händen abklatschen, das ist normal. Für Eitelkeiten ist kein Raum. Für Frust natürlich schon, doch der darf nicht so ausgelebt werden, dass die Stimmung im Team leidet und damit letztlich auch der sportliche Erfolg. „Es ist ja nicht eine Entscheidung wie im Fußball. Bei uns müssen alle jederzeit bereit sein, auf den Platz zu gehen und Leistung zu bringen. Jeder neue Tag wird zu einem neuen Test. Ich entscheide nach Gefühl, wer uns in diesem Moment besser helfen kann“, betonte Sigurdsson.
Der Isländer ist froh, zwei Schlussleute der Extraklasse im Team zu haben. Wolff, vom Ehrgeiz getrieben, wird mit seinen 1,98 Meter und 105 Kilogramm oft zum unüberwindbaren Hindernis. Heinevetter ist unberechenbarer, verwirrt die Angreifer mit akrobatischen Aktionen, bei denen er mit einer Hand zuweilen fast den Boden und mit einem Bein die Torlatte berührt. „So eine WM ist lang. Und ich bin mir sicher, dass wir beide Torhüter noch brauchen werden. Jedes Spiel bringt neue Helden“, betonte Bob Hanning. Der beim Deutschen Handballbund (DHB) für den Leistungssport zuständige Funktionär ist zugleich Manager des Bundesligisten Füchse Berlin. Dort spielt Heinevetter, der den EM-Triumph aus der Ferne miterleben musste. Sigurdsson hatte sich für Carsten Lichtlein und Wolff entschieden. In Rio war Heinevetter dann wieder dabei.
Ob es verrückt sei, was er da mache, wurde Heinevetter unlängst gefragt. „Wieso? Ist doch super. Ich muss ja viel weniger laufen als die anderen.“Auch eine Sicht.