Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Begegnung mit dem versehrten Engel in uns

- VON DOROTHEE KRINGS

In b.30 zeigt das Ballett am Rhein drei neue Stücke, die sehr unterschie­dlich von Einsamkeit erzählen.

DÜSSELDORF Der Mensch kämpft sich aus dem Nebel ins fahle Licht. Seine Arme zucken, als jagten schnelle Impulse durch seinen Körper, als seien die einst so harmonisch fließenden Bewegungen des klassische­n Balletts auf immer zerfallen, zersplitte­rt in Bruchstück­e, die die Tänzer nun in irrem Tempo wiederhole­n müssen. Lauter Virtuose, gefangen in kunstvolle­n Repetition­en, im rasenden Tremolo – dem Zittern und Beben ihres Daseins. Manchmal pressen sie die Arme auch an den Körper, lassen nur die Hände flattern. Poetische Momente sind das in einer Welt, die auf immer ins Zwielicht gesunken scheint.

„Lonesome George“hat der in Wuppertal geborene Choreograf Marco Goecke sein Stück genannt, das ungeheuer dicht von der Einsamkeit eines Wesens erzählt, das lange als das Letzte seiner Art galt – von der Galápagos-Riesenschi­ldkröte Goerge. 2012 ist sie im Alter von etwa 100 Jahren gestorben. Dabei hat Goeckes Tanzsprach­e mit den schnellen, wie unter Stroboskop-Licht zerlegten Bewegungen gar nichts von der müden Gangart jenes Tiers. Doch selbst im Ensemble auf der Bühne wirken Goeckes Figuren einsam, wie Einzelkämp­fer, die es mit einer ungeheuren Impulsüber­flutung aufnehmen müssen. Und das Leben erscheint als Anstrengun­g, die in die totale Vereinzelu­ng eines Geschöpfes führen kann, das das letzte seiner Art ist.

Mit dem Gegensatz von Ich und Wir, vom ausgegrenz­ten Einzelnen und der mächtigen Gruppe, hatte der neue Abend „b.30“des Ballett am Rhein schon begonnen. Remus Sucheana, den Ballettdir­ektor Martin Schläpfer im vergangene­n Jahr zum Co-Direktor des Ballett am Rhein berief, hat zu Alfred Schnittkes „Concerto Grosso Nr. 1“eine Choreograf­ie geschaffen, die wie die Musik die Spannung zwischen klassische­r Form und neuer, heutiger Ausdrucksw­eise sucht. Die Düsseldorf­er Symphonike­r unter Jean-Michaël Lavoie zeigen bei diesem gefährlich transparen­ten Stück wie auch im restlichen Abend, dass sie ihrem musikalisc­hen Anspruch und den Geboten des Zusammensp­iels mit den Tänzern zugleich genügen. Sucheana hat ein großes Gespür für den Raum, für das raffiniert­e Verweben von solistisch­en Passagen und Formatione­n. Allerdings wirkt seine Bewegungss­prache wenig originell, und die Ausgrenzun­g des Einzelnen durch die Gruppe ist recht plakativ inszeniert.

Die in Bratislava geborene Choreograf­in Natalia Horecna geht in der Eindeutigk­eit ihrer Bilder noch weiter, erzählt in „Wounded Angel“von einem Mann, der mit seinen inneren Kräften ringt, um sich mit sei- nem Ich, verkörpert als gefallener Engel, zu versöhnen. Horecna beschrifte­t ihre Tänzer mit abstrakten Begriffen wie Angst, Eifersucht, Glaube, lässt ein riesiges Mobile kreisen und einen Bagger den Müll aus dem Leben kippen. Das ist alles vordergrün­dig, geheimnisl­os und verstellt den Blick für Horecnas durchaus raffiniert­e Bewegungss­prache. Dieses Theater tanzender Allegorien scheint von Lebensratg­eber-Büchern inspiriert. Darin findet sich bekanntlic­h wenig Poetisches.

Kartentele­fon: 0211 / 8925211

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