Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
„Der Merkel-Malus belastet die CDU“
Der FDP-Vorsitzende über die Flüchtlingspolitik der Bundeskanzlerin, die innere Sicherheit, den Wechsel in Washington und seine Anzüge.
DÜSSELDORF Christian Lindner (38), Vorsitzender der FDP in NRW und im Bund, setzt darauf, dass seine Partei bei der Landtagswahl im Mai ein gutes Ergebnis erzielt und im Herbst in den Bundestag zurückkehrt. Im Gespräch mit unserer Redaktion mahnt der gebürtige Wuppertaler zur Besonnenheit gegenüber dem neuen US-Präsidenten. Herr Lindner, CDU-Generalsekretär Peter Tauber wirft Ihnen überteuerte Maßanzüge vor. Was kostet denn so ein Maßanzug? LINDNER (zeigt auf sein blaues Sakko) Das ist kein Maßanzug. Dennoch bin ich empört über diesen Angriff … (kurze Kunstpause, Lindner lacht) . . auf die deutschen Schneider. Ehrliche Handwerksarbeit wäre nicht überteuert. Ist die Wahl Donald Trumps zum USPräsidenten der Anfang vom Ende der transatlantischen Beziehungen? LINDNER Der Atlantik darf nicht breiter werden. Die aktuelle Irritation über Herrn Trump darf nicht dazu führen, dass der ohnehin vorhandene Antiamerikanismus noch stärker wird. Ich erwarte daher, dass Angela Merkel schon nächste Woche nach Washington reist, um mit Herrn Trump einen persönlichen Kontakt aufzubauen. Wie beurteilen Sie Donald Trump? LINDNER Ich habe kein abschließendes Bild. Wenn ich mich an das teils große Verständnis für Herrn Putin erinnere, wundere ich mich über die scharfe Kritik an Herrn Trump. Beide versuchen, die Interessen ihrer Länder durchzusetzen. Das muss man verstehen und sich dann positionieren. An der transatlantischen Partnerschaft haben wir in sicherheitspolitischer Hinsicht genauso ein Interesse wie am Handel. Es ist die dringlichste Aufgabe der Kanzlerin, einen neuen Deal zu erreichen, wie Herr Trump das nennen würde. Er schätzt sie ja offenbar als wichtigste Führungskraft in Europa. Das muss man nutzen. Trump ärgert sich darüber, dass hier kaum Chevrolets zu sehen sind ... LINDNER ... deshalb müssen wir ihn daran erinnern, dass wir dafür Google, Apple und Amazon haben, die enorme Gewinne erzielen, ohne sich angemessen an der Finanzierung des Gemeinwesens zu beteiligen. Das geht nicht. Müssten wir mit Sanktionen im Handel reagieren, wenn Trump mit Strafzöllen für Autos droht? LINDNER Auf Drohungen reagiert man am besten gar nicht. Europa muss ihn neu überzeugen, dass freier Handel auch in seinem Interesse ist. Die Steuervermeidung von USGroßkonzernen kann gleich mit auf den Verhandlungstisch. Meinen Sie, dass Trump die Briten gegen Europa ausspielen könnte? LINDNER Spekulieren hilft nicht. Großbritannien will zwar den Binnenmarkt, nicht aber die Gemeinschaft der G 20-Staaten verlassen. Und für die gelten klare Regeln gegen Steuerdumping. Ich rate auch hier, kühlen Kopf zu bewahren. Vor allem Deutschland muss dafür sorgen, dass in Europa bestimmte Regeln eingehalten werden. Die FDP jedenfalls wird im Bundestag der Verletzung europäischer Regeln nicht mehr zustimmen. Was meinen Sie genau? LINDNER Beispielsweise beim Euro, bei der Griechenland-Hilfe oder bei der Rettung maroder Banken mit dem Geld der Steuerzahler wie jetzt in Italien. Schauen wir auf NRW: Warum fordern Sie den Rücktritt von Innenminister Ralf Jäger? LINDNER Das Maß ist voll. Er hat unser Vertrauen verloren. Wer den Eindruck erweckt, der Rechtsstaat sei machtlos gegenüber Gefährdern, der kann nicht länger Innenminister sein. Im Fall Amri hätte Jäger handeln können. Auf welcher Grundlage? LINDNER Etwa auf der Basis des Aufenthaltsgesetzes hätte man Amri in Haft nehmen können. Gefährder zu inhaftieren, ist offenbar nicht so einfach. LINDNER Das sagt Herr Jäger. Aber das ist falsch. Die rechtlichen Grundlagen bestehen. Amri, dessen Asylantrag abgelehnt worden war, bewegte sich im salafistischen Umfeld, beging Sozialmissbrauch, hantierte mit 14 Identitäten und war als Krimineller bekannt. So einer hätte bis zur Ausweisung festgesetzt werden können. Jäger bestreitet das ... LINDNER Diese Aussage ist falsch. Wir werden dazu auch in Kürze ein Gutachten vorlegen. Wenn jemand vorsätzlich die Abschiebung verhindert, kann man ihn aus dem Verkehr ziehen. Alles andere wäre absurd. Herr Jäger persönlich hätte handeln und eine Abschiebungsanordnung erlassen können. Hat sich Ihr Verhältnis zur Sicherheitsdebatte durch die zunehmende Terrorgefahr geändert? LINDNER Nein. Die FDP hat in den 70er Jahren gezeigt, dass sie angesichts des RAF-Terrorismus zu kühler Entschlossenheit fähig ist. Es waren liberale Innenminister, die das Bundeskriminalamt schlagkräftig gemacht und die GSG 9 gegründet haben, ohne dass Bürgerrechte eingeschränkt wurden. Eine Fußfessel ist eine Einschränkung der Bürgerrechte. LINDNER Aber vor dem Hintergrund eines konkreten Anlasses. Also sollen Gefährder anders behandelt werden als normale Bürger. Auf welcher Rechtsgrundlage wird man zum Gefährder? LINDNER Das ist eine polizeiliche Einschätzung. Aber keine richterliche. Was hat das mit Rechtsstaat zu tun? LINDNER Die Leute werden als Gefährder eingestuft. Mit polizeilichen, aber vor allem auch nachrichtendienstlichen Mitteln kann dann eine Überwachung erfolgen. Ohne dass sie sich rechtsstaatlich dagegen wehren können? LINDNER Sie können auch in den Fokus der Sicherheitskräfte geraten, wenn sie eine salafistische Moschee besuchen. Das Entscheidende ist: Gegen jede polizeiliche Maßnahme, die die Freiheit einschränkt, stehen den Bürgern die rechtsstaatlichen Wege offen. Was soll mit den Steuerüberschüssen im Bund passieren? LINDNER Wir sollten den Haushaltsüberschuss von sechs Milliarden Euro nutzen, um den Solidaritätszuschlag abzuschmelzen. Das kann der Bundestag alleine, ohne Zustimmung der Länder, beschließen. Dazu sollte die Freigrenze beim Solidaritätszuschlag spürbar erhöht werden. Was wären Ihre Bedingungen für eine Jamaika-Koalition in NRW? LINDNER Unser Ziel bleibt eine Generalrevision der grünen Schulpolitik in NRW. Aus der guten Idee Inklusion wurde ein ideologischer Scherbenhaufen, das Gymnasium wurde vernachlässigt, es gibt keine Initiative für mehr Leistungsfreude und mehr Freiheit in der einzelnen Schule, für moderne digitale Ausstattung, gegen den Unterrichtsausfall. Das wollen wir ändern. Ist Angela Merkel zum Problem für die CDU geworden? LINDNER Es gibt schon so was wie einen Merkel-Malus, der die CDU belastet. Denn auch bei vielen bürgerlichen Wählern, die zur CDU neigen, ist das Unverständnis über die Flüchtlingspolitik enorm. Es wird nicht verstanden, dass es noch kein Einwanderungsgesetz gibt. Merkels Flüchtlingspolitik war falsch und in Teilen chaotisch. Auch die CDU spricht nur noch über das Verteilen, aber nicht mehr das Erwirtschaften unseres Wohlstands. Die CDU wird immer verwechselbarer nicht mit der alten SPD, sondern mit den Grünen. Und wer Kritik daran übt, wird in die rechte Ecke gerückt.