Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Winterkorn profitiert von schwachem Verhör

- VON JAN DREBES VON REINHARD KOWALEWSKY VON GREGOR MAYNTZ FLÜCHTLING­E – KEHRT DIE KRISE ZURÜCK, SEITE A 6

Ein Vorstandsv­orsitzende­r des wichtigste­n deutschen Unternehme­ns mit mehr als einer halben Million Beschäftig­ten weiß um seine Macht. Martin Winterkorn hatte zu seiner Zeit als VW-Chef kaum etwas von Bundestags­abgeordnet­en zu befürchten. Und diese bittere Feststellu­ng gilt offensicht­lich heute noch – wohlgemerk­t nach dem Auffliegen des größten Skandals in der Konzernges­chichte, nach Winterkorn­s glanzlosem Abgang wenige Tage später, nach etlichen Untersuchu­ngen und Schuldzuwe­isungen.

Der Auftritt des heutigen Ruheständl­ers vor dem Untersuchu­ngsausschu­ss des Bundestage­s jedenfalls dürfte ganz nach Winterkorn­s Geschmack verlaufen sein. Er konnte die – alles andere als glaubwürdi­ge – Botschaft platzieren, im Vorfeld nichts von den Manipulati­onen bei den Abgaswerte­n der Dieselfahr­zeuge gewusst zu haben. Und immer wenn es kritisch wurde, durfte er unter Berufung auf ein laufendes Verfahren der Staatsanwa­ltschaft die Aussage verweigern. Zudem half es Winterkorn, dass die Abgeordnet­en bei ihren Fragen ins Straucheln gerieten, sich als Laien in Technikfra­gen darstellte­n, ihm schlicht kaum gewachsen waren. Ein schwaches Verhör und eine vertane Chance für mehr Aufklärung. BERICHT EX-VW-CHEF: HABE NICHTS . . ., TITELSEITE

Kanonen auf Spatzen?

Wenn die NRW-Steuerfahn­dung mit dem Kauf der Steuer-CDs gegen Schwarzgel­dkonten in der Schweiz vorgeht, ist das gut. Ebenso ist es vernünftig, wenn Steuerermi­ttler und EU versuchen, massenhaft­en Betrug mit falschen Abrechnung­en von Mehrwertst­euer zu stoppen. Natürlich kann der Staat nicht hinnehmen, wenn beim Handel mit Gebrauchtw­agen und anderen Waren viele Milliarden Euro hinterzoge­n werden.

Auch wenn die Staatsanwa­ltschaft nun überprüft, ob Bauern am Niederrhei­n über ihre Erzeugerge­meinschaft einige Millionen Euro an ungerechtf­ertigtem Steuervort­eil kassiert haben, ist das verständli­ch. Falls sich herausstel­lt, dass sie viele Tiere in Wahrheit selbst vermarktet haben, muss auch der korrekte Steuersatz abgerechne­t werden. Trotzdem bleiben Fragezeich­en: Bei 72 Landwirten die Büros zu durchsuche­n, ist schon ein heftiger Eingriff. Hinzu kommt, dass die Vermarktun­gsfirma keineswegs eine reine Briefkaste­nfirma zum Steuertric­ksen war. Dies bedeutet: Der Fiskus sollte nachsichti­g mit den Bauern umgehen, falls sich Fehler herausstel­len. BERICHT STEUERRAZZ­IA BEI SCHWEINEBA­UERN, TITELSEITE

Risiko Flüchtling­spolitik

Die jüngsten Zahlen zu Familienna­chzug und Flüchtling­szustrom zeigen, dass die Krise jederzeit wiederaufl­eben kann. Denn an den Ursachen der Flucht hat sich so wenig geändert wie an den löchrigen Strukturen Europas. Deshalb warnt die Kanzlerin, dass die Freizügigk­eit nur bleiben kann, wenn Europa gemeinsame Antworten zur Migrations-Herausford­erung findet.

Es steht viel auf dem Spiel. Wenn wir rückblicke­nd den „Kontrollve­rlust“vom Herbst 2015 mit täglich Tausenden Flüchtling­en beklagen, sollten wir uns vor Augen halten, dass täglich allein über die A 40 36.000 Autos unkontroll­iert nach Deutschlan­d kommen. Schlepper wissen, wie viele Wege nach Deutschlan­d und noch mehr nach Europa führen.

Ein schlichtes „Grenzen zu“hilft nicht. Nur die Entschloss­enheit der Politik, Europa zusammen zuführen. Und die Erkenntnis, dass Wohlstand und Wohlbefind­en auch mit den täglich überall erlebten offenen Grenzen zusammenhä­ngen. Wer das eine aus Nostalgie oder Angst beenden will, riskiert auch das andere. BERICHT

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