Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Frauen erobern Männerberufe – langsam
In manchen Berufen gibt es einen extremen Frauen- oder Männeranteil. Veraltete Vorstellungen tragen dazu bei. Doch es gibt auch ganz banale Hindernisse.
Ein Hamster spielte für die Berufswahl von Laura Kästner eine wichtige Rolle. Sie musste dafür sorgen, dass der Nager sein Futter findet. Stopp! Was ist nun der erste Gedanke beim Lesen? Vielleicht, dass Kästner Tierärztin geworden ist. Das würde ja passen: Mädchen kümmern sich doch gerne um Tiere. Oder? Doch Kästners Weg ging anders weiter.
Die kleinen Nager, die das Mädchen in der neunten Klasse umsorgte, erinnerten kaum an echte Hamster. Es waren kleine Hamsterköpfe auf einem Bildschirm. Mit Programmierbefehlen musste Kästner sie durch ein Labyrinth zu ihren Futterkörnern führen. Hamstersimulator hieß das Programm, das Anfänger ins Programmieren einführte. Kästner war fasziniert, ihr Interesse geweckt. „Da stand für mich fest, dass ich in die technische Richtung gehen will.“Heute ist die 21-Jährige im dritten Lehrjahr. Sie macht im Bosch-Werk Homburg eine Ausbildung zur Elektronikerin für Automatisierungstechnik.
Was ist daran so ungewöhnlich? Eigentlich nicht viel. Andererseits doch eine Menge. Denn Kästner wird in ihrem Beruf in der Minderheit sein. Sie ist die einzige Frau in ihrem Lehrjahr. Auch in der Berufsschule sitzen neben ihr nur Männer im Klassenraum. Von mehr als 6500 Auszubildenden in diesem Beruf waren 2015 nur knapp 600 weiblich. Das sind etwa neun Prozent.
In anderen Berufen ist das Bild noch eindeutiger. Angehende Anlagenmechaniker für (bü) HomeofficeArbeitnehmer haben es nicht hinzunehmen, wenn sie ihr Homeoffice aufgeben sollen. Das gelte zumindest dann, so das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz, wenn der Arbeitgeber nicht darlegen kann, dass ein Verzicht des Angestellten auf den Arbeitsplatz zu Hause für die Firma notwendig sei. In dem konkreten Fall ging es um einen Mitarbeiter, der jahrelang mehrere zeitlich aufeinanderfolgende Arbeitsverträge hatte. Als das Unternehmen den Standort aufgab, an dem er arbeitete, verlegte er seine Arbeit nach Hause. Anlässlich eines Teamwechsels unterzeichnete er einen neuen Anstellungsvertrag. Arbeitgeber und Mitarbeiter stritten dann über die Frage, ob der Mann am Betriebssitz des Unternehmens arbeiten müsse oder weiterhin von daheim aus arbeiten dürfe. Der Arbeitnehmer setzte sich durch. Zwar könne grundsätzlich der Arbeitgeber den Ort der Arbeitsleistung festlegen. Er müsse aber nachweisen, dass der Mitarbeiter seine Tätigkeit nur direkt im Unternehmen ausüben könne und er für eine Tätigkeit am Betriebssitz umziehen, eine Zweitwohnung mieten oder täglich 300 Kilometer von seinem Wohnort zur Arbeit und zurück pendeln müsse. (LAG RheinlandPfalz, 4 Sa 404/14) Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik sind zu 99 Prozent Männer. Das bedeutet: Auf hundert Mechaniker-Azubis kommt eine weibliche Auszubildende. Eine Kfz-Mechatronikerin steht jeweils 25 KfzMechatronikern gegenüber (vier Prozent Anteil).
Viele technische Berufe sind männlich dominiert. Typische Frauenberufe finden sich dagegen eher im Dienstleistungsund Handelsbereich. Friseur gehört dazu (87 Prozent weibliche Azubis). Bei Zahnmedizinischen und Medizinischen Fachangestellten ist fast jede Auszubildende weiblich (rund 99 beziehungsweise 98 Prozent). Hier sind männliche Weiterbildung Das Finanzgericht Münster hat entschieden, dass Kosten für die Weiterbildung von Arbeitnehmern, die der Arbeitgeber übernimmt, keinen steuerpflichtigen Lohn darstellen. Begründung: Die Arbeitnehmer (hier Beschäftigte in einem Unternehmen für Schwer- und Spezialtransporte) hätten zwar den Vorteil von den Fortbildungsmaßnahmen, doch ihr Arbeitgeber habe „ein ganz überwiegendes eigenbetriebliches Interesse“an der Teilnahme seiner Belegschaft – zumal ihm diese Maßnahmen gesetzlich vorgeschrieben seien. (FG Münster, 13 K 3218/13) Schwangerschaft Schließt eine Arbeitnehmerin mit einem Arbeitgeber zu einem in der Zukunft liegenden Zeitpunkt einen Arbeitsvertrag, wird sie aber in der Zwischenzeit schwanger und verordnet ihr ein Arzt zum Beginn der Tätigkeit ein Beschäftigungsverbot, das sie vor schädlichen Einwirkungen schützen soll, so hat der Arbeitgeber vom ersten Tag des Arbeitsverhältnisses an Lohn oder Gehalt zu zahlen. Er kann nicht argumentieren, dass er noch keine Minute ihre Arbeitskraft habe nutzen können. Die Gesundheit von Mutter und Kind gehe vor, so das Gericht. (LAG Berlin-Brandenburg, 9 Sa 917/16) Lehrlinge in der deutlichen Minderheit.
Von Männer- oder Frauenberufen ist die Rede, wenn ein Beruf zu mindestens 80 Prozent von Männern oder Frauen ergriffen wird. Fachleute hören die Begriffe aber nur ungern. „Die sind leider geläufig, aber eigentlich total veraltet“, sagt Angelika Puhlmann vom Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB). „Sie suggerieren, dass die Geschlechter ein natürliches Kennzeichen dieser Berufe sind.“Beim BIBB formuliert man anders: Berufe sind hier „mehrheitlich von Frauen oder Männern besetzt“.
Die Gründe für die klaren Unterschiede haben viel mit Image und tradierten Vorstellungen zu tun: in Betrieben, in der Familie, zum Teil auch in Schulen. Manchmal scheitert es schon an Kleinigkeiten. Bei manch kleineren Handwerksbetrieben fehle zum Beispiel eine Frauen-Toilette, erzählt Florian Haggenmiller, Bundesjugendsekretär des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB). „Wahnsinn, dass das ein Hindernis für die Ausbildung von jungen Frauen sein soll.“
Doch es liegt nicht nur an den Unternehmen. Auch im Umfeld und der Familie können junge Menschen viele Vorbehalte zu hören bekommen, wenn sie eine Ausbildung wählen, die nicht gängigen Vorstel- lungen entspricht. Am Ende machen sie dann einen Rückzieher. Oder eine Ausbildung landet gar nicht erst als Möglichkeit auf ihrem Radar.
Ihre Eltern waren überrascht, dass sie beruflich an Maschinen schrauben und programmieren will, erzählt Kästner. Doch danach unterstützten sie ihre Tochter. Dass sie das einzige Mädchen in ihrem Lehrjahr ist, verwundert sie. Vielleicht, so mutmaßt sie, denken Mädchen, dass ihr Beruf nur etwas für Nerds sei, die zu Hause schon immer am Rechner saßen. „Aber man lernt ja alles neu und braucht keine Vorkenntnisse“, ermuntert sie junge Frauen.
Männerberuf? Frauenberuf? Wer Interesse an einem Beruf hat, sollte sich von solchen Schubladen nicht irritieren lassen. Ausprobieren heißt stattdessen die Devise. Ein Praktikum zeigt, was der Beruf für einen bereithält: inhaltlich, aber auch persönlich. Wer einen Betrieb ins Auge fasst, kann dortige Azubis ein bisschen ausquetschen. „Damit kann man das Klima im Unternehmen checken“, sagt Haggenmiller. Er rät dazu, auch eine Potenzialanalyse bei der Arbeitsagentur zu machen. So erfährt man von Berufen, an die man nie gedacht hat.
Vielleicht ist auch etwas Gelassenheit angebracht. „Man kann nicht erwarten, dass immer alle Berufe gleichermaßen von Männern und Frauen angestrebt werden“, sagt Puhlmann. Doch unabhängig davon sei es wichtig, dass die Voraussetzungen für alle gleich sind. Zugänge zu Berufen müssten verbessert, Vorurteile abgebaut und Kompetenzprofile gefördert werden.
Recht & Arbeit