Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Ist Gentechnik vielleicht doch Natur?
Experten diskutierten in Berlin über die Genomchirurgie und das neue Verfahren Crispr/Cas, mit dem Wissenschaftler sehr feine Veränderungen in der DNA jeglicher Lebewesen vornehmen können. Manche Ängste scheinen unbegründet.
BERLIN Vor langer Zeit war die Beziehung zwischen Mensch und Natur einfacher. Trotz aller Widrigkeiten lebte man miteinander. Und es funktionierte gut genug, dass die meisten Menschen mit Natur und „natürlich“noch immer etwas Positives verbinden. Heutzutage schleicht die Technik in unser Leben. Höchste Zeit, über eine der Grundfragen unseres Selbstverständnisses nachzudenken – nämlich darüber, was wir mit dem Begriff „natürlich“verbinden und welche Rolle er zukünftig spielen darf – oder spielen soll. Derzeit drehen Naturwissenschaftler weiter an der Schraube. Sie wollen erklären, dass auch die Gentechnik etwas Natürliches ist. Der Streit dreht sich um eine prinzipielle Frage: Kann durch den Einsatz moderner Biotechnologie ein Produkt entstehen, zu dem das Attribut „natürlich“passt?
Deutschlands wissenschaftliche Elite hatte in Berlin zu einer Expertentagung gebeten: Deutsche Forschungsgemeinschaft, die Akademie der Wissenschaften und der Deutsche Ethikrat diskutierten über die Genomchirurgie, das neue Verfahren Crispr/Cas, mit dem Wissenschaftler sehr feine Veränderungen in der DNA jeglicher Lebewesen vornehmen können. Einzelne Gene lassen sich damit ein- oder ausschalten. Die Forscher können kleine Stellen im Erbgut verändern oder zusätzliche DNA-Fragmente einschleusen. Das klingt nach etwas Künstlichem, weit weg von Natur.
Doch so einfach ist es nicht. Denn Biologen verweisen darauf, dass die Natur während der Evolution nichts anderes macht. Umwelteinflüsse oder der pure Zufall erzeugen täglich kleine Veränderungen im Erbgut von Menschen, Tieren und Pflanzen, die teilweise von der Natur konserviert werden. Der kleine genetische Unterschied vererbt sich auf die Nachkommen – manchmal, aber nicht immer, profitiert die Nachfolgegeneration von der veränderten Eigenschaft.
Natur und Cripsr/Cas ähneln sich zumindest. Die Züchter wollen deshalb die Genschere nutzen, um neue Eigenschaften bei Pflanzen und Tiere zu entwickeln. Von ihrem Werkzeug bleibt nach dem Einsatz nichts zurück. Die Wissenschaftler können auch mit modernen Analysemethoden nicht mehr unterscheiden, woher die Veränderung im Erbgut stammt: War es die Natur oder doch die Biotechnologie? Käme es zu einem Prozess, so könnten die Richter die Herkunft nicht unterscheiden. Am Ende dieses Plädoyers steht die Einschätzung, dass eine Einschränkung der Genomchirurgie durch das Gentechnikgesetz nicht zu rechtfertigen sei.
Der Begriff „natürlich“steht längst unter Stress. Der Pfad, was in amtlichen Vorschriften noch als natürlich bezeichnet werden darf, ist breitgetreten. Eine Lebensmittelzutat geht noch als „natürliches Aroma“durch, wenn die Substanz aus pflanzlichen oder tierischen Ausgangsstoffen gewonnen wurde, selbst wenn diese keine Lebensmit- tel sind. Durch diese Definition dürfen auch Mikroorganismen wie Schimmelpilze oder gentechnisch veränderte Bakterien die begehrten Aromen produzieren. Auch hier gilt: Original und Industrieprodukt lassen sich nicht unterscheiden. Mit dem Blick auf das Produkt verschwimmen die Grenzen zwischen Natur und Technik bis zur Unkenntlichkeit.
Der Wissenschaftler Jakob Schweizer widerspricht dieser Argumentation. „Wir können die Natur nicht durch Gesetze bändigen“, er- klärt der Forscher am Max-PlanckInstitut für Dynamik komplexer technischer Systeme. Doch nur, weil Gesetze für die Natur nicht gelten, könne man daraus nicht ableiten, dass Gesetze auch für menschliches Tun nicht gelten sollen, sagt der Magdeburger, „auch wenn das künstliche Ergebnis nicht vom ‚natürlichen’ zu unterscheiden ist.“Vielleicht lässt sich Natürlichkeit besser über den Herstellungsprozess als über das Produkt beschreiben – so wie bei Öko-Strom und konventioneller Energie.
Doch viele Menschen nähern sich dem Begriff „Natur“ganz anders. „Sie können den Natürlichkeitsbegriff verwenden im Sinne des Vertrauten, des Unverfälschten, des Stimmigen, als etwas Harmonisches, als etwas Vorgegebenes, das zu akzeptieren ist“, erklärt Peter Dabrock, Vorsitzender des Deutschen Ethikrates. Das gehe einher mit der Angst, dass dieser Form des Naturverständnisses nicht genügend Achtung entgegengebracht werde. Die pauschale Ablehnung der Gentechnik vergleicht der Theologe mit einem „kulturellen Unbehagen“. „So etwas kann nicht einfach verboten werden“, sagt Dabrock mit Blick auf den Diskurs. Andererseits trage derjenige, der Vorsicht vor Risiken als Leitsatz predige, die Beweislast, dass ein echtes Risiko besteht.
Die Frage, was wir akzeptieren sollen, spaltet sogar die Bio-Bauern. Ausgerechnet der Direktor des Forschungsinstituts für biologischen Landbau in der Schweiz ist Befürworter der Genomchirurgie. Urs Niggli warnt, dass die Belastungsgrenze des Planeten Erde erreicht sei und mehr für die Ernährung der Weltbevölkerung getan werden müsse. Nicht alle Probleme der konventionellen Landwirtschaft ließen sich durch mehr Vielfalt auf dem Acker lösen. Niggli will eine gezielte Verwilderung der Pflanzen und Resistenzen gegen Schädlinge oder Trockenheit, die einzelne Wildformen besitzen, für Ackerpflanzen der gleichen Art ausnutzen.
Ökologisch orientierte Züchter hätten das bereits versucht, erzählt Niggli. Oft allerdings ohne Erfolg: So hat eine neue Apfelzüchtung nicht nur die Resistenz gegen einen Schädling von einer Wildsorte übernommen, sondern auch Teile ihres schlechten Geschmacks. Die Äpfel setzten sich auf dem Markt nicht durch. Urs Niggli meint inzwischen, dass sich das Resistenz-Gen mit Genomchirurgie besser auf Äpfel übertragen lässt.