Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
CDU streitet über Umgang mit Schulz
Offensive oder Defensive? Persönlicher Angriff oder inhaltliche Botschaften? Die Union ringt noch um ihre Wahlkampfstrategie.
BERLIN Während CDU und CSU ihre öffentlichen Auseinandersetzungen eingestellt haben, droht nun bei der CDU interner Knatsch. Die Wahlkampfstrategie gegen die plötzlich erstarkte SPD ist noch nicht klar. Offensive oder Defensive? Dem SPDKanzlerkandidaten Martin Schulz lautstark Paroli bieten oder sein Feuerwerk erst einmal verpuffen lassen?
Kanzlerin Angela Merkel gehört – nicht überraschend – zu denen, die die direkte Konfrontation mit Schulz und seinen Leuten meidet. Auch Generalsekretär Peter Tauber und Unionsfraktionschef Volker Kauder liegen auf dieser Linie. Derweil scharren die Offensivkräfte der Partei wie Finanzstaatssekretär Jens Spahn und Parteivize Julia Klöckner mit den Hufen. Sie genießen Unterstützung mit Autorität: Finanzminister Wolfgang Schäuble.
Der Streit um die Frage, wie mit Schulz umzugehen sei, entzündete sich zuletzt an dem Vorgehen des CDU-Europapolitikers Herbert Reul. Er hatte kurz nach der Nominierung von Schulz in Berlin Papiere lanciert, mit denen der SPDKanzlerkandidat desavouiert werden sollte. Im Adenauer-Haus kam der Alleingang Reuls nicht gut an. Dort will man keinen schmutzigen Wahlkampf, wohl wissend, dass persönliche Kampagnen gegen den Kandidaten der anderen Seite sehr schnell zum Bumerang werden können. Vielmehr lautet die Devise dort: Wir müssen Schulz inhaltlich stellen.
Schäuble hingegen hatte sich in Parteirunden wohlwollend zu dem Reul-Dossier geäußert und betont,
Es gehört zum Lebensgefühl der Moderne, dass der Einzelne sich ausgeliefert fühlt an die großen, globalisierten Zusammenhänge, an Mechanismen, die außerhalb seiner Wirkungsmacht liegen. Wirtschaftskrisen kommen und gehen, Unternehmen werden aufgekauft und zerschlagen, Anforderungsprofile ändern sich, Rollenbilder auch – der Wandel reicht bis in den Kern der Gesellschaft, bis hinein in die Familien. Und der Einzelne kann immer nur reagieren, kann versuchen, sich auf veränderte Bedingungen einzustellen, um nicht unter die Räder zu kommen. Oft ist darum vom „System“die Rede, von den großen ökonomischen und wirtschaftlichen Strukturen, die bestimmen, wie wir leben, und doch weitgehend unempfänglich sind für unser Wollen.
Diese Ohnmachtsgefühle sind nicht von der Hand zu weisen. Doch zugleich gerät damit ein Prinzip un- es werde Zeit, dass man sich nicht mehr mit sich selbst, sondern mit dem politischen Gegner beschäftige. Nun legte Reul mit seinem Hinweis, Schulz sei ein „selbstverliebter Egomane“, noch einmal nach.
Das Adenauer-Haus hingegen setzt mit seiner Strategie nicht nur auf die Betonung politischer Inhalte, sondern auch auf den Faktor Zeit. Für Schulz wird es schwierig, das Maß an Aufmerksamkeit und Zuspruch, das er im Moment erhält, bis zum September zu konservieren – so die Hoffnung. Doch bis dahin sind noch drei Landtagswahlen zu bestreiten. Die Spitzenkandidaten der Union in den Ländern, NRWCDU-Chef Armin Laschet, Saarlands Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer und der wenig bekannte Schleswig-Holsteiner Daniel Günther, könnten Opfer dieser Strategie werden. Der Schulz-Effekt ter Druck, das absolut notwendig ist, damit Zusammenleben gelingen kann: Verantwortung.
Es ist leicht geworden, alles auf die Verhältnisse zu schieben, auf Sparziele, bürokratische Zwänge. Es gehört schon fast zum guten Ton. Wer etwaimGesundheitswesennegative Erfahrungen macht, wird häufig mit Hinweisen auf die Budgetierung abgespeist. Patienten seien heute eben nur noch Fallpauschalen, leider, leider, da bleibe wenig Spielraum für Zuwendung und Menschlichkeit.
Natürlich gibt es gute Gründe, die Ökonomisierung sensibler Lebensbereiche wie des Gesundheitssystems zu kritisieren. Oft bieten die Strukturen aber auch willkommene Gelegenheit, Verantwortung abzuschieben. Am Ende der Kette sind es einzelne Menschen, die Entscheidungen treffen, die einen bestimmten Ton anschlagen, die aus innerer Motivation handeln oder sich dem Zynismus ergeben. schlägt sich nämlich auch in der Stimmung in den Ländern nieder.
In München, wo ohnehin die Abteilung Attacke der Union sitzt, denkt man über die Frage, wann der beste Zeitpunkt für Offensive ist, nicht nach, sondern handelt. So ging CSU-Chef Horst Seehofer gestern gegen die Pläne der SPD zur Korrektur der Agenda 2010 an die Öffentlichkeit. „Das wäre ein Rückfall in die Zeit, die wir Gott sei Dank
In Zeiten erweiterter ökonomischer wie technologischer Räume erscheint es seltsam hilflos, auf die Integrität des Einzelnen zu bauen und ihn weiter auf Nächstenliebe zu verpflichten. Der Philosoph Hans Jonas hat darüber nachgedacht und in seinem Buch „Das Prinzip Verantwortung“gefordert, die ethischen Imperative an den erweiterten Handlungsspielraum des Menschen anzupassen, etwa von einer Nächsten- zur Fernstenliebe zu gelangen. Solche Gedanken sind heute wieder aktuell.
Doch das alles entlässt den Einzelnen nicht aus der Pflicht, Verantwortung zu übernehmen. Es ist tragisch, wenn dieses Bewusstsein schwindet, wenn niemand sich mehr zuständig fühlt für die kleinen Entscheidungen, die er täglich trifft. Sie machen das Leben aus. Ihre Meinung? Schreiben Sie unserer Autorin: kolumne@rheinische-post.de hinter uns gelassen haben, die Zeit der Massenarbeitslosigkeit“, sagte er.
Auch der Chef des CDU-Arbeitnehmerflügels, Karl-Josef Laumann, wies die Pläne von Schulz zurück. Er warf ihm Unkenntnis vor: „Herr Schulz hat ein paar politische Entwicklungen nicht auf dem Schirm“, sagte Laumann unserer Redaktion. „Wir haben bereits 2008 das Arbeitslosengeld I für Ältere ver- längert. Ab 58 Jahren kann es 24 Monate gezahlt werden.“Das Eigenheim und die Lebensversicherung blieben unangetastet, wenn jemand nach einem langen Arbeitsleben dennoch auf Hartz IV angewiesen sei. Mit der Abkehr von der Agenda 2010 werde die SPD keine Pluspunkte beim Wähler sammeln, zeigte sich Laumann überzeugt.
In der Frage, wie die Agenda zu bewerten ist, sind sich der Sozialund der Wirtschaftsflügel der Partei einig. Der Vorsitzende der Wirtschafts- und Mittelstandsvereinigung der CDU/CSU, Carsten Linnemann, sieht die Mittelschicht als Verlierer der sozialdemokratischen Agenda-Kehrtwende: „Wenn Schulz den Sozialstaat wirklich so üppig ausweiten will, werden dies die von ihm so oft zitierten hart arbeitenden Menschen bezahlen müssen“, sagte Linnemann. Er verwies auch darauf, dass die große Koalition in dieser Wahlperiode zusätzlich Milliarden von Euro in den Sozialstaat investiert habe.
Wie kontrovers und persönlich der Wahlkampf zwischen Union und SPD wird, hängt davon ab, welches Lager sich in der Union bei der Strategie durchsetzt. Inhaltlich kontrovers wird es in jedem Fall zur Sache gehen. Während sich die CDU in Berlin in ihrer Wahlkampfstrategie noch sortieren muss, freut man sich in München, dass Union und SPD nun wieder unterscheidbar sind. Das mache den Wahlkampf leichter, hieß es gestern in München.
Auch Arbeitgeber und Gewerkschaften sortieren sich entlang der alten Gräben. Die Arbeitgeber bei der Union: Die Gewerkschaften bei der SPD.
Das Prinzip Verantwortungsflucht