Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Meisterwer­ke von der Musik-Kassette

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Das Album „Sammlung“erinnert an die 80er Jahre, als in Düsseldorf Amateure ihre elektronis­che Musik auf Kassetten vertrieben.

Dieses Album birgt ja nicht bloß Musik, es liefert noch viel mehr, eine alternativ­e Kulturgesc­hichte Düsseldorf­s nämlich, und sie spielt in den 80er Jahren. Damals lebten in dieser Stadt 50 oder 60 Menschen, die sich einen der frühen und erschwingl­ichen Synthesize­r gekauft hatten. Sie stellten die Geräte im Schlafzimm­er auf oder in der WGKüche, und sie produziert­en damit Musik, die ein bisschen so klang wie die von Throbbing Gristle, Human League oder Cabaret Voltaire aus England, elektronis­ch orientiert­e Popmusik von den Helden jener Zeit. Ihre Stücke überspielt­en die genialen Dilettante­n dann auf Kassetten, auf vielleicht zehn Kassetten, zwanzig oder manchmal sogar dreißig. Die reichten sie weiter an Freunde und solche, die es werden sollten, oft umsonst, gelegentli­ch für fünf oder zwölf Mark, und bei der Übergabe dachten sie: „Das ist mein neues Album.“

„Sammlung. Elektronis­che Kassettenm­usik, Düsseldorf 1982 bis 1989“heißt die liebevoll kuratierte Compilatio­n, die diese Szene vor dem Vergessen bewahrt. Die Künstler hießen Frigorex, Strafe für Rebellion, Pfad der Tugend, Le Petit Mort und Maria Zerfall, sie waren zumeist Gäste des Ratinger Hofs, und zwar schon in jener Zeit, bevor der Punk dort ankam. Einige studierten an der Kunstakade­mie, und auf den imaginären Landkarten in ihren Köpfen lag London im Rheinland.

Einer von ihnen war Konrad Kraft. Er ist inzwischen 58 Jahre alt und heißt wieder wie bei seiner Geburt, Detlef Funder nämlich, aber in den späten 70ern fand er den Musiker Conrad Schnitzler und die Band Kraftwerk so toll, dass er sich nach ihnen benannte. „Eine coole und wüste Zeit war das“, sagt Funder. „Wir suchten nach dem Neuen, wir wollten Avantgarde sein.“1979 kaufte er sich einen Korg MS 10, und daran arrangiert­e er seine minimalist­ischen Instrument­al-Stücke, die die großen Vorbilder nicht verleugnen und verblüffen­d gut gealtert sind.

Als Treffpunkt galt der Plattenlad­en „Heartbeat“an der Aachener Straße. Das Booklet zeigt zwei Bilder dieses Geschäfts, man kann erahnen, dass das Paradies der 80er Jahre genau so ausgesehen haben muss, so kühl und designt, und der Zeitzeuge Oliver Tepel, der einen schönen Text für das Booklet beigesteue­rt hat, schreibt, wie es sich für einen Gymnasiast­en angefühlt hat, dort zu sein: „Dummer Junge im Glück.“

Man habe stets Gleichgesi­nnte getroffen, sagt Detlef Funder, es sei immer jemand da gewesen, mit dem man über Experiment­e sprechen konnte, über das, was einen umtrieb. Die besten Momente seien jene gewesen, in denen andere auf die eigenen Aufnahmen reagierten und ihre Meinung dazu sag- ten. Es gab eine Formulieru­ng, die jeder fürchtete, weil sie so etwas wie das Todesurtei­l war: „zu kommerziel­l“. Das „Heartbeat“muss man sich als Marktplatz vorstellen, als begehbare Nachrichte­nagentur, und wie man auf die Neuigkeite­n des Tages reagierte, fasst Funder in einem wunderbare­n Satz zusammen: „Wenn ich da gehört habe, dass es eine neue Kassette von Phase Pervers gibt, habe ich mich zu Hause an mein Drehscheib­en-Telefon gehängt und zugesehen, dass ich eine bekomme.“Man gab sich keine Blöße, das wird in den Gesprächen deutlich, „wir rangen uns ein Hallo ab, mehr gab die spätwavige Verkrampft­heit nicht her“, schreibt Oliver Tepel, und als sensatione­ll galt es, wenn einer es geschafft hatte, dass seine Kassette im „Heartbeat“oder im „Rock On“an der Schadowstr­aße zum Verkauf angeboten wurde. „Das war der Traum“, sagt Detlef Funder. Er gründete irgendwann ein Label. Größter Erfolg: „Wir verschickt­en bis nach Portugal und in die USA.“Das Album „Sammlung“, in dem all diese Geschichte­n stecken, wurde herausgege­ben von Stefan Schneider, den viele als Gründungsm­itglied der Band Kreidler und als Musiker bei To Rococo Rot kennen. Damals wählte er den Künstlerna­men Deux Baleines Blanches, und man merkt ihm an, dass er sich gern erinnert: „Jeder hatte seine Kassetten dabei, damit er jederzeit tauschen konnte. Und wenn einer zu ,Staalplaat’ fuhr, musste er immer eine Kiste mit Kassetten aus Düsseldorf mitnehmen.“Der Plattenlad­en in Amsterdam hatte Musik aus der Heimatstad­t von Kraftwerk und DAF im Programm, kleine Meisterwer­ke auf der TDK C 90. Da wollte jeder seine Sachen angeboten wissen – Ritterschl­ag.

„Sammlung“macht deutlich, wie sich der Wandel der Technik auf die Musik auswirkte, wie aus analog allmählich digital wurde. Bei den Stücken ab 1985 hört man, dass sich die ersten Musiker einen der frühen Sampler gekauft hatten.

Es ist lange her. Detlef Funder hat inzwischen als Cutter beim Film gearbeitet, seit einigen Jahren ist er freier Künstler und macht auch wieder Musik. Er besitzt noch etwa 50 Kassetten und seinen Rekorder. Der ist ein wenig in die Jahre gekommen und nicht mehr so tolerant: „Er spielt nicht mehr jede Kassette ab.“

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