Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Die Diamanten von Nizza
Der rosé wurde kredenzt und gefiel durch sein leicht würziges Aroma. Sam zauberte eine Kiste Zigarren hervor, öffnete sie, reichte sie Hervé, der eine Zigarre auswählte, die Banderole in Augenschein nahm, die Zigarre behutsam zusammenpresste und daran schnupperte. Dann hielt er sie ans Ohr und rollte sie zwischen den Fingern. „Soundcheck“, erklärte er. „Man kann immer hören, ob eine Zigarre zu trocken ist. Die hier ist ausgezeichnet.“Er schnitt das Kopfende ab und zündete die Zigarre an, begutachtete die Spitze, um sich zu vergewissern, dass sie gleichmäßig rot glühte. Da das Ritual zu seiner Zufriedenheit abgeschlossen war, lehnte er sich, von allseitigem Lächeln und duftendem Rauch umhüllt, bequem in seinem Sessel zurück.
Sam erzählte die ganze Geschichte noch einmal von vorn, wobei Hervé nickte und schwieg, was Sam das Gefühl vermittelte, einer Vernehmung unterzogen zu werden. Als er geendet hatte, legte er Hervé den Brief von Knox vor. „Francis deutete an, dass ein weiteres Schreiben von Vorteil wäre, vielleicht von einem angesehenen und hochrangigen Mitglied der Marseiller Polizei, mit der Bitte um Kooperation.“
Hervé nickte abermals. „Aha. Und Sie meinen, damit könnten Sie einen Unterschied bewirken?
„Absolut. Damit hätte ich einen ganz anderen Status, ich wäre jemand, den man hier in Frankreich ernst nimmt.“
Hervé nahm einen langen, nachdenklichen Zug von seiner Zigarre. „Nun, ich bin Ihnen gerne behilflich, unter der Bedingung, dass Sie mich über Ihre Fortschritte auf dem Laufenden halten. Ehrlich gestanden, ich glaube nicht, dass Sie auch nur einen Schritt vorankommen.“Dann wurde sein Gesichtsausdruck ernst. „Aber sollten Sie bei Ihren Recherchen auf irgendetwas Wichtiges stoßen, möchte ich der Erste sein, der davon erfährt, d’accord?
„Versprochen“, sagte Sam. „Und ich hoffe, dass Sie die Zigarren als Zeichen meiner Dankbarkeit für Ihre Unterstützung annehmen.“
Angesichts Hervés strahlender Miene erübrigte sich die Antwort.
Es war Mittagszeit auf Cap Ferrat, dieser mit stillen Buchten und bewaldeten Arealen gesegneten Halbinsel, die einst die Domäne von König Leopold von Belgien gewesen war und heute, gleich hinter Monaco, als Standort der teuersten Immobilien der Küstenregion galt. Eine Rothschild-Tochter hatte wohl zu dieser Entwicklung den Anstoß gegeben, als sie hier 1905 einen Palazzo mit riesigem Park errichten ließ.
Für den heutigen Tag hatte Kathy Fitzgerald Coco zu sich gebeten, denn es gab viele wichtige Dinge zu besprechen. Erstens mussten die Hausgäste die Namen der Mitglieder des Teams erfahren, zu diesem gehörten Haarstylisten und Maniküren, der derzeit angesagte Küchenchef, Tai-Chi-Lehrer, Masseure und, das Allerwichtigste, ein Arzt, der des Englischen mächtig war. Außerdem musste Kathy sich mit dem neuesten Klatsch an der Côte d’Azur vertraut machen, und schließlich stand noch die Gästeliste für die bevorstehende Party aus.
Monique, die Köchin der Fitzgeralds, hatte einen snack de luxe vorbereitet, wie Kathy es zu nennen beliebte: einen kleinen Imbiss aus gegrilltem und gemischtem Gemüse mit Rosmarin und Thymian, und eine Ziegenkäse-Mousse mit Balsamicoessig. Derart gestärkt, wandten die Damen ihre Aufmerksamkeit dem wichtigsten Punkt auf der Tagesordnung zu, der Party. Coco ging die Liste der potentiellen Gäste durch, die sie vorbereitet hatte: Armand und Edouard, ein charmantes schwules Pärchen; Nina de Montfort, eine Mehrfacherbin in Folge und ihr neuester jugendlicher Galan; die Osbornes, Cocos jüngste englische Klienten; Alain Laffont, ein Polospieler mit einem Handicap von + 8, wenn er nicht gerade Immobilien der Luxusklasse verkaufte, und seine Freundin Stanislavska, ein tschechisches Model; des Weiteren Hubert, ein Schönheitschirurg, und seine Frau Eloise (bisweilen sehr unfreundlich als Madame Botox bezeichnet), Cocos Vater Alex, und Elena und Sam. „Klingt so, als wäre das eine Truppe, mit der man viel Spaß haben kann“, meinte Kathy. „Und alle sprechen Englisch? Ich habe keine Lust auf französische Mauerblümchen.“
Coco lachte. „Keine Angst. Alle sprechen Englisch, und keiner ist über vierzig, abgesehen von meinem Vater. Oh, und Nina – ihr wahres Alter ist ein Staatsgeheimnis; sie ist schon seit Jahren neununddreißig. Ich glaube, mit Elena und Sam werden Sie sich gut verstehen – beide sind Amerikaner, und ich bringe das kleine Häuschen in Schuss, das sie in der Nähe von Marseille gekauft haben. Sie sind also beinahe Nachbarn.“
„Fantastisch. Dürfte ich Sie bitten, sich um die Einladungen zu kümmern? Für die dreiundzwanzig Personen?“„Selbstverständlich.“Am späten Nachmittag begann Coco, herumzutelefonieren. Die Kombination aus Cap Ferrat und begüterten Amerikanern übte auf die illustren Namensträger der Einladungsliste einen großen Reiz aus, wenngleich aus sehr verschiedenen Gründen. Coco musste sich über keine einzige Absage ärgern.
„Ich bin sicher, Sie werden sich amüsieren“, versprach sie Elena. „Kathy und Fitz sind nette Leute, und die anderen Gäste sind – nun, interessant. Ich kenne sie alle und gehe davon aus, dass es ein kurzweiliger Abend wird.“
Als Elena diese Neuigkeit Sam überbrachte, fiel diesem sofort Philippe ein. „High Society an der Riviera. Bei Salut! würde man sich vielleicht gern selber ein Bild davon machen. Was meinst du?“, sagte er.
13. KAPITEL
Sams Nasenflügel zitterten, und er öffnete vorsichtig ein Auge, um neben sich auf dem Nachttisch die verschwommenen Umrisse einer großen Tasse café crème und eines frischen Croissants wahrzunehmen.
Elena tauchte aus dem Badezimmer auf. Sie war bereits vollständig angekleidet und brannte erkennbar darauf, ihr Tagwerk zu beginnen. „Falls du dich wundern solltest“, sagte sie. „Ich war die Frühstücksfee. Nach dem Aufwachen bin ich gleich in die Küche hinuntergegangen.“
Sam setzte sich im Bett auf, biss in sein Croissant und streckte die Hand nach dem Kaffee aus. „Du bist ein Schatz. Sag mal, haben wir es eilig, oder konntest du nur nicht länger schlafen?“
„Wir treffen uns in aller Frühe mit Coco, schon vergessen?“
(Fortsetzung folgt)