Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Rotterdam will endlich wieder jubeln
Der Traditionsklub kann erstmals seit 18 Jahren wieder niederländischer Fußball-Meister werden. Ein Altstar und der Trainer sind die Garanten des Erfolgs.
ROTTERDAM/DÜSSELDORF Ricardo ist sich ganz, ganz sicher. „Kampioenen 2016/17“(Meister 2016/17) prangt auf seiner Wade. Darunter das große „F“, das Logo von Feyenoord Rotterdam. Der HardcoreFan des niederländischen Klubs weiß, dass in der Ehrendivision noch sieben Spiele zu absolvieren sind. Dass Feyenoord in der Tabelle zwar mit sechs Punkten vor dem ewigen Rivalen Ajax Amsterdam führt, morgen aber in der Hauptstadt antreten muss. Er weiß auch, dass er wahrscheinlich für ziemlich naiv gehalten wird. „Mir alles egal“, sagt Ricardo. „Es wird Zeit für uns. Ich glaube an den Titel.“
Es wäre nicht irgendeiner. Feyenoord steht vor dem ersten Meistertitel seit 18 Jahren. Und eine ganze Stadt steht Kopf. Rotterdam, das ist die Arbeiterstadt mit einem der größten Häfen der Welt, die trotzdem immer im Schatten von Amsterdam steht. Diese Stadt mit einem aus Marokko stammenden Bürgermeister und trotzdem vielen (Integrations-)Problemen. Die rechtspopulistische PVV von Geert Wilders wäre bei der Parlamentswahl um ein Haar stärkste Kraft geworden. Doch Rotterdam hat auch Liebe zu vergeben – vor allem für Feyenoord. „Der Klub“, sagt Ricardo, während sich die Nadel immer wieder in seine Wade bohrt, „ist immer in unseren Herzen. Und den Nieren.“
Früher, da teilten sich die drei Spitzenvereine Ajax, PSV Eindhoven und Feyenoord die Titel untereinander auf. Feyenoord war der Klub, der 1970 den ersten und 2002 den letzten Europapokal nach Holland holte. Doch schleichend wurde aus dem Drei- ein Zweikampf, sportlich und finanziell. Das Stadion in Rotterdam war chronisch veraltet, die Entscheider überboten sich in wahnwitzigen Fehlentscheidungen wie beim Versuch, mit alternden und teuren Stars wie Roy Makaay noch einmal die Champions League zu erreichen. Das ging grandios schief – und Feyenoord war pleite. Im Kampf um die Meisterschaft war Feyenoord abgehängt. Der Klub hatte andere Sorgen – ein 0:10 (in Worten: null zu zehn) bei PSV markierte 2010 den sportlichen Tiefpunkt.
Es waren ein paar Männer, die Feyenoord wieder wachküssten. Pim Blokland zum Beispiel, ein schwerreicher Fan, der mit den „Freunden von Feyenoord“49 Prozent der Anteile übernahm und damit den Klub finanziell sanierte. Hauptakteure sind jedoch Giovanni van Bronckhorst und Dirk Kuyt. Ersterer, geboren in Rotterdam, war Co-Trainer unter Ronald Koeman und Fred Rutten. Dann stieg der 106-fache Nationalspieler zum Chef auf. In seiner ersten Saison überstand der ehemalige Linksverteidiger eine Serie von sieben Pleiten in Folge und bekam statt der Kündigung in Dick Advocaat einen alten Fuchs als Berater an die Seite gestellt. „Von ihm habe ich sehr viel gelernt“, sagt „Gio“. Und Kuyt kehrte vor der vergangenen Saison nach sieben Jahren im Ausland zu Feyenoord zurück. Der Stürmer ist 36 Jahre alt und nicht mehr ganz so torgefährlich wie früher. Aber er impfte dem Verein vor allem eines ein: unbändigen Siegeswillen.
Denn die Art und Weise, wie Feyenoord seine Spiele gewinnt, beeindruckt. Die Mannschaft in den traditionellen rot-weißen Trikots ist eine Kampfmaschine, den Löwenanteil seiner Treffer erzielt Feyenoord in der Schlussviertelstunde. Stürmer Nicolai Jørgensen, der 2016 für nur 3,5 Millionen aus Kopenhagen gekommen war, schießt die Eredivisie mit 19 Toren und zwölf Vorlagen in Grund und Boden. Der Däne war das fehlende Puzzlestück für ein ohnehin gutes Team mit Alt-Star Kuyt, woanders Gescheiterten wie Eljero Elia und talentvolle Jung-Nationalspielern wie Rick Karsdorp und Tonny Vilenha. Feyenoord schießt die meisten Tore (69), kassiert die wenigsten (17), spielt am häufigsten zu null (14 Mal).
So viel zum Sportlichen. Bei Feyenoord sind es aber immer schon die „weichen Faktoren“, die zählen, wie man in der Wirtschaft so schön sagen würde. Die rund 50.000 Fans zum Beispiel, die im inzwischen noch älteren, aber immer ausverkauften Stahlrohr-Stadion „De Kuip“alle zwei Wochen für eine Hölle für den Gegner sorgen. Als der Verein in der vergangenen Saison nach zehn Jahren den KNVB-Pokal holte, feierten 100.000 Anhänger auf dem „Coolsingel“, dem Rathausplatz. Im Falle einer Meisterschaft werden noch viel mehr erwartet.
Selbst Willem van Hanegem, die Vereinsikone, die sich in der Regel so viele Sorgen um Feyenoord macht wie Uwe Seeler um seinen HSV, ist vom Titel überzeugt. „Die Entscheidung ist gefallen“, sagt der Mann, der 1974 an der Seite von Johan Cruyff den WM-Titel verpasste. Gute Nachrichten also für Ricardo, den Tattoo-Fan. Und falls Feyenoord doch in Amsterdam verliert und den Titel auf der Schlussgeraden noch verspielt? „Kein Problem“, sagt Ricardo. „Dann malen wir nächstes Jahr einfach 2017/18 drüber.“
Wahre Liebe kann so einfach sein.