Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
ANALYSE Wenn
die Documenta 14 in Kassel heute ein besonders politisches Echo findet, ist das nichts Neues. Die Weltkunstschau ist 1955 als Wiedergutmachung für die kulturellen Verbrechen der Nationalsozialisten entstanden.
die Stadtpolitik hat es in der Geschichte der Documenta nie wieder gegeben. Die Eichen für Kassel zeigen real, dass Kunst die Welt verändern kann.
Wer auf die 14 Documenta-Auflagen schaut, stellt fest, dass sie stets Seismograph der Gesellschaft waren. 1959, bei der d 2, gelang der Abstraktion die Anerkennung als Weltsprache. Kunst wurde als universelles Verständigungsmittel begriffen. Fünf Jahre später sah die Welt schon wieder ganz anders aus: Das Wirtschaftswunder hatte der vom Krieg gezeichneten Gesellschaft Jobs, Brot und neue Hoffnung gegeben. In der Kunst ist man so selbstbewusst zu behaupten, dass Kunst das ist, was bedeutende Künstler machen. Es folgte 1968 die Documenta der Händler. 1972 brach der tradierte Werkbegriff zusammen, man lauerte auf das Ereignis. 1977 gelangte die Medienkunst nach Kassel im Gefolge von Minimalismus, Land Art und Konzeptkunst. Nach der eher gesellschaftsfernen 82er Documenta proklamierte die d 8 von 1987 Erlebnisräume der Kunst. Die Theorie machte Pause. 1992 regierte der Belgier Jan Hoet in Kassel, der die Kunst ermutigte, Stellungnahmen zur Zeit abzugeben. Die d 9 fiel so politisch aus wie nie, der russische Künstler Ilya Kabakov durfte ein Wohnklo hinter dem Fridericianum platzieren.
Seitdem wechselte das von Bode erfundene Aufarbeitungsforum immer wieder die Farbe. Es war zeitgeistig (d 10), weltweit verortet (d 11), philosophisch durchdrungen (d 12 ) oder dem Querdenken zugetan (d 13). Daher soll es heute nicht verwundern, wie Adam Szymczyk die d 14 angelegt hat. Mit internationalen Künstlern, deren Werk sich aus ihrer gesellschaftlich bedrohlichen Situation speist: aus den Krisen unserer Zeit. Dass die d 14 den eurozentristischen Blick auf die Welt lenkt, ist eine politische Notwendigkeit. Dass sie vom Besucher außerdem Partizipation erwartet, ein Sich-Einlassen, ist dabei nichts Neues. Schon Goethe hat es ähnlich formuliert. „Den Stoff sieht jedermann vor sich“, schrieb der alte Geheimrat, „den Gehalt findet nur der, der etwas dazu zu tun hat, und die Form ist ein Geheimnis den meisten.“