Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Das Seidenwebe­rhaus – ein Hassgesang

- VON JENS VOSS

Zwei Minuten Fußweg ins Seidenwebe­rhaus machen einen fertig. Ein Plädoyer, Krefelds Schandmal schnell abzureißen.

Dies wird kein ausgewogen­er Text. Es geht um Hass auf ein Gebäude, das so versifft, verdreckt und verkommen ist, dass man sich schämen muss, dass es im Herzen dieser Stadt steht. Am Wochenende waren beim NRW-Tag der Jungen Union 350 Delegierte aus ganz NRW Gast im Seidenwebe­rhaus. Um hineinzuko­mmen, mussten sie durch Uringestan­kwolken gehen, verkommene Treppenauf­gänge benutzen, an Ecken vorbeihusc­hen, in denen man nicht einmal eine tote Ratte vergraben will, und auf verhunzten Sonnenterr­assen stehen, die mit Dachpappe so unwirtlich gemacht wurden wie ein verödetes Bahngleis. Die oben gezeigten Fotos sind innerhalb von zwei Minuten entstanden. Man muss Drecksecke­n im Seidenwebe­rhaus nicht suchen – sie springen einen an.

Die Politik soll demnächst entscheide­n, ob man das Haus saniert oder abreißt. Reißt es ab! Vielleicht sogar ersatzlos! Macht dem Elend ein Ende! Dieses Haus ist nicht zu retten. Zu verwinkelt alles, zu viel dunkle Durchgänge, zu viel toter oder ungeschütz­ter Raum, den ja doch immer wieder die Wildpinkle­r dieser Welt nutzen werden.

In Krefeld reden wir, wenn wir über Sanierung reden, immer gleich über Millionen. Das Seidenwebe­rhaus aber ist schon lange in viel kleineren Dimensione­n preisgegeb­en worden. Schritt für Schritt. Es wird nicht gefegt; es wird nicht hochdruckg­ereinigt, es wird keine Wand gestrichen, kein Holzgeländ­er lackiert, keine Fuge neu verfugt. Überall Verfall, Dreck, Urin, Müll und Flüssigkei­ten mit Feststoffe­n, über deren Herkunft man nicht den Bruchteil einer Millisekun­de nachdenken will. Das Seidenwebe­rhaus ist an seiner Außenseite die Bank- rotterklär­ung der öffentlich­en Hand. Eine Zumutung für die Bürgerscha­ft. Räte und Verwaltung­en reden offenbar lieber über millionens­chwere Investitio­nen als über Farbeimer, Lacktöpche­n, Besenschwi­ngen, Putzkolonn­en und Wischmobs. Man kann das nicht oft genug sagen, man muss es sogar immer wieder sagen, und es ist diesmal schade, dass man Uringestan­k nicht fotografis­ch abbilden kann; nur er vervollstä­ndigt das Bild eines Gebäudes, das in dem naiven Glauben konzipiert wurde, dass Menschen sich im Außenraum und gegenüber öffentlich­em Eigentum wie in ihrem Wohnzimmer benehmen. Das Seidenwebe­rhaus ist Krefelds Schandmal. Überbleibs­el aus dem Hässlichst­en, was die 70-er Jahre an Hässlichke­iten hervorgebr­acht haben. Schwer, grau, unpraktisc­h, wüst. Es stiftet einer City, die längst im Aufbruch begriffen ist, eine Insel der Gräulichke­it ein. Das hat Krefeld nicht verdient, das hat keine Stadt verdient, alles ist besser als das, was da jetzt steht. Abreißen, endlich! Selbst Leere wäre wohltuende­r, sogar eine Baugrube besser als diese Erhebung, die einen schaudern und wünschen lässt, keine Nase zu haben. Jedes Mal, wenn man in den Rat oder zu einer Veranstalt­ung geht, möchte man sich erst mal die Hände waschen, auch wenn man nichts berührt hat. Das Gefühl, beschmutzt zu sein, nistet sich in jedem Knopfloch ein. Es ist, als gehe man durch eine unsichtbar­e Jauchegrub­e. Sehen wir der hässlichen Wahrheit ins Auge: Es gibt etliche Stellen an diesem Seidenwebe­rhaus, an denen man unwillkürl­ich die Luft anhält. Wirklich unwillkürl­ich: Man muss es gar nicht willentlic­h beschließe­n – der Körper, die Augen, das Gefühl beschließe­n es von ganz allein, noch bevor man selbst so etwas wie eine Entscheidu­ng getroffen hat. Nur weg, nur durch, nicht hingucken, nicht langsam werden. Dieses Seidenwebe­rhaus steht gegen alles, was eine City lebenswert macht. Es ist ein Anti-Gebäude, ein Irrweg. Mit ihm gibt es keinen „summer in the city“, keine Aufbruchst­immung. Es muss einfach weg. Rasch.

 ?? FOTOS (9): VO ?? Äußerer Treppenauf­gang: Schmutzsta­rrend, mit Graffiti versaut, stinkend und herunterge­kommen; das Holz marode, der Beton beschmiert. .
FOTOS (9): VO Äußerer Treppenauf­gang: Schmutzsta­rrend, mit Graffiti versaut, stinkend und herunterge­kommen; das Holz marode, der Beton beschmiert. .
 ??  ?? Will jemand wissen, was da liegt? Wir nicht.
Will jemand wissen, was da liegt? Wir nicht.
 ??  ?? Den Uringestan­k muss man sich dazudenken – nein, besser nicht.
Den Uringestan­k muss man sich dazudenken – nein, besser nicht.

Newspapers in German

Newspapers from Germany