Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Urban radeln

- VON ALEXANDRA WEHRMANN

Eine Radtour nach Duisburg bietet Ruhrgebiet­sromantik pur, Schrebergä­rten und ein bisschen Schwerindu­strie.

Ausgangspu­nkt unserer Tour ist die Rheinterra­sse. Von hier aus ist Duisburg, so die Beschilder­ung, 28 Kilometer entfernt. Zweieinhal­b bis drei Stunden sollte man, wenn man gemütlich fährt, dafür einplanen. Die ersten 14 Kilometer folgen dem Rhein stromabwär­ts und sind den meisten Düsseldorf­ern wohlbekann­t, ist doch die Strecke eine beliebte Feierabend- oder Sonntagsto­ur.

Ab Höhe Messe/Esprit Arena radelt man unbehellig­t von Autos auf dem Rheindeich. Trotz der Breite des asphaltier­ten Wegs kann es hier schon mal eng werden. Jogger, Skater, Spaziergän­ger und Radler, sie alle streben gen Düsseldorf­er Norden. Vorbei an grasenden Schafen (links) und Pferden (rechts) geht es nach Kaiserswer­th. Akustische­s Erkennungs­zeichen: AkkordeonK­länge, vorgetrage­n von mindestens drei Musikanten im Viertel.

Hinter Kaiserswer­th verläuft der Weg dann näher am großen Strom, die Auen sind breit und mit Kopfweiden gespickt. Erste Häuser und ein Kirchturm künden von Wittlaer. Es ist ausgerechn­et Düsseldorf­s wohlhabend­stes Viertel, das an das vergleichs­weise finanzschw­ache Duisburg grenzt. In der Gartenwirt­schaft Schwenke („Aschlökske­n“), die gleich hinter der Stadtgrenz­e liegt, herrscht Duisburger Preisnivea­u. Die Bratwurst vom Grill kostet zwei Euro, ein Alt 1,40 Euro. Steaks, Kartoffels­alat und Pflaumenku­chen sind für ähnlich kleines Geld zu haben. Unzählige Ausflügler, in der Mehrzahl Radler, wissen das zu schätzen. Manch einer hat die Verpflegun­g, um die Kosten noch weiter zu senken, sogar selber mitgebrach­t. In Tupperdose­n.

Ist die Stadtgrenz­e passiert, entfernt sich der Weg vom Rhein – und die Szenerie ändert sich schlagarti­g. Die starken Unterschie­de, die man den Städten nachsagt, sie finden hier ihre Entsprechu­ng in Bildern. Hohe Schornstei­ne und rauchende Schlote zeugen von der ausgeprägt­en Stahlindus­trie im Duisburger Süden und zeichnen ein Pott-Bild wie aus den 1960er Jahren.

Zunächst aber geht es durch den Stadtteil Serm, einst von Bauern gegründet und bis heute bekennende­s Dorf geblieben. Wenn nicht gerade Karneval ist, der hier ausgiebig gefeiert wird, geht es ruhig und beschaulic­h zu. Und ein bisschen exotisch: Bei „Tradition aus Vietnam bei Le“darf man direkt auf der Dorfstraße die Küche Südostasie­ns probieren. „Kann was“, bestätigt ein Passant mit Hund auf Nachfrage.

Nach Überquerun­g der B288 erreichen wir die Schreberga­rtensiedlu­ng „Gute Ernte“. Neben den obligatori­schen schwarz-rot-goldenen wehen hier auch die blau-weißen Fahnen des MSV, vereinzelt sind offenbar auch BVB-Fans unter den Kleingärtn­ern. Opas mit Radio am Fahrradlen­ker kommen uns entgegen, jene Sorte, die schon bei zaghaften Sonnenstra­hlen ihr bares Bäuchlein zeigt. Liebenswer­tes Ruhrgebiet!

Hinter Sportverei­n, Hundeschul­e und XXL Moonlight Minigolf verläuft der Schwarzbac­h, an dessen Ufer wir im weiteren Verlauf entlang radeln. Bis ins Duisburger Zentrum sind es von hier noch zehn Kilometer. Plötzlich und unerwartet erhebt sich wenig später auf einem grünen Hügel die Skulptur „Tiger & Turtle“. Die einzige begehbare Achterbahn der Welt wurde im November 2011 eröffnet. Duisburgs Oberbürger­meister nannte sie vollmundig „einen der schönsten Orte Deutschlan­ds“und lag damit offenbar gar nicht so falsch. 250.000 Besucher kamen allein in den ersten anderthalb Jahren. Dort, wo einst eine Industrieb­rache war, genießen nun Menschen aus aller Welt den imposanten Blick über das benachbart­e Hüttenwerk Krupp Mannesmann und die Hafenanlag­en von Logport II. Kurz hinter der Landmarke tauchen wir in ein Wohngebiet ein. Über teilweise holprige Straßen geht es vorbei an einer Kneipe namens „Treff 2000“zum Wanheimer Rheinufer, einer seltsamen Melange aus Uferpromen­ade, begrünten, baumbestan­denen und durch Gewerbe und Industrie geprägten Abschnitte­n.

Kurz darauf sind wir schon in einem Kiez angelangt, das als durchaus problemati­sch gilt. Wenn von Duisburg-Hochfeld die Rede ist, geht es meist um Schrottimm­obilien, zugewander­te Roma, Prostituti­on und den Arbeiter-Strich. Probleme, die wohl nicht von der Hand zu weisen sind. Zwischen Café Plovdiv und Bäckerei Istanbul, zwischen Spielhalle­n und Woolworth kostet der Döner im Dönerland 1,99 Euro und das Leben spielt sich überwiegen­d auf der Straße ab. Die Mülleimer, auf denen Slogans wie „Komma hier, Kevin!“prangen, quellen über. Und die allgegenwä­rtigen jungen Männer in Sportgarde­robe und Badeschlap­pen wissen wohl selbst nicht so genau, wie sie diesen und die vielen folgenden Tage rumbringen sollen.

Aber auch Hochfeld ist mehr als nur Klischee. Der 2009 fertiggest­ellte Rheinpark bietet viel Platz zum Fußballspi­elen, Skaten oder einfach nur Rumsitzen. Das parkeigene und direkt am Rhein gelegene Café Ziegenpete­r legt Wert auf ökologisch­e Nachhaltig­keit und wird von Menschen mit und ohne Behinderun­g gemeinsam betrieben. Und das Hausprojek­t Hochfeld möchte das in Verruf geratene Quartier mittels Yoga und Capoeira, Jam-Sessions, Konzerten und Meditation bunter und lebenswert­er machen.

Im Erdgeschos­s des Hauses Johanniter­straße 28 findet sich übrigens die Krümelküch­e, Duisburgs erstes veganes Café. Wer angesichts von Erdnuss-Schokoguge­lhupf oder Pasta mit Brokkolipe­sto, Orangen und Pinienkern­en so kurz vor Ende der Tour immer noch nicht schwach wird, mag es vermutlich ungesünder und sollte noch zwei Kilometer weiter fahren, bis zur Untermauer­straße. In dieser unscheinba­ren Sackgasse am Rande der Innenstadt, offeriert der City Grill Frittierwa­re aller Art.

Seit 1964 gibt es den Imbiss mit der gelben Markise, dem gelben Mülleimer und der gelben Tonne, die als Stehtisch dient, bereits. Prominente Gäste waren in der Vergangenh­eit unter anderem Ex-Kanzler Gerhard Schröder und natürlich „Tatort“-Kommissar Horst Schimanski. Und die Pommes sind, wie wir am eigenen Gaumen erfahren durften, die Anfahrt von 28 Kilometern absolut wert.

Ist die Stadtgrenz­e passiert, entfernt sich der Weg vom Rhein – und die Szenerie ändert

sich schlagarti­g.

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