Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Flexibilität hat nicht nur Vorteile
Arbeitszeiten könnten in Zukunft deutlich kürzer und flexibler ausfallen als heute. Viele Arbeitnehmer genießen zwar schon jetzt solche Freiheiten. Doch das kann auch einige Probleme mit sich bringen.
Das Kind in Ruhe zur Kita bringen, abends noch etwas von zu Hause arbeiten und am Freitag lieber gar nicht: Flexible Arbeitszeitmodelle sind gerade in aller Munde – und klingen aus Arbeitnehmersicht zunächst sehr attraktiv. Schließlich lässt sich Privates und Berufliches damit besser vereinbaren, sagt Professorin Jutta Rump, Direktorin des Instituts für Beschäftigung und Employability (IBE). „Es gibt gesellschaftlich inzwischen ein größeres Bedürfnis danach, dass sich das gut ausbalancieren lässt.“
Zugleich hat die Flexibilität aber auch ihre Schattenseiten – vor allem dann, wenn sie mit einer generellen Reduzierung der Arbeitszeit einhergeht. (bü) Konkurrent Arbeitnehmer, die auch für einen Konkurrenten ihres Arbeitgebers tätig sind, können fristlos entlassen werden. Gleiches gilt, wenn ein Mitarbeiter bei einem Mitbewerber zwar nicht als Arbeitnehmer, aber als Gesellschafter (hier mit 50 Prozent Geschäftsanteilen) auftritt. Das hat das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein entschieden. Der Arbeitnehmer/Gesellschafter klagte gegen seine Entlassung, weil er trotz seiner „50 Prozent“keinen bestimmenden Einfluss auf die Gesellschaft habe. Sein Arbeitgeber brauchte noch nicht einmal die relativ kurze Zeit bis zum normalen Ende des Arbeitsverhältnisses abzuwarten, was auf einer Kündigung des Mitarbeiters beruhte. Das sei seinem Chef nicht zuzumuten. (LAG SchleswigHolstein, 3 Sa 202/16) Überwachung Für die Einführung eines Outlook-Gruppenkalenders ist die Zustimmung des Betriebsrats notwendig. Denn dieser Kalender ist eine technische Einrichtung, die es ermöglicht, die Beschäftigten „zu überwachen“. Weigert sich ein Mitarbeiter, diesen Kalender zu nutzen, so muss die Abmahnung, die er deswegen kassiert, wieder aus der Personalakte gestrichen werden, urteilte das Landesarbeitsgericht Denn dies bedeutet zwar mehr Freizeit, aber vielleicht auch ein leeres Konto: „Wenn ich weniger arbeite, bekomme ich natürlich auch geringeren Nürnberg. Nach dem Gesetz hat der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht „bei der Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen“. Zur Überwachung bestimmt seien technische Einrichtungen dann, wenn sie objektiv geeignet sind, Verhaltens- oder Leistungsinformationen der Arbeitnehmer zu erheben und aufzuzeichnen; auf die subjektive Überwachungsabsicht des Arbeitgebers kommt es nicht an. Ein Outlook-Gruppenkalender stelle eine solche technische Einrichtung dar. (LAG Nürnberg, 7 Sa 441/16) Fußballgucken Schaut ein Mitarbeiter eines Autoherstellers „mindestens 30 Sekunden lang“auf einen Computerbildschirm, auf dem ein Kollege einen Live-Stream eines Fußball-Europapokal-Spiels (allerdings, nachdem dieser sich ausgestempelt hatte) verfolgt, so kann er eine Abmahnung für das Fußballschauen während der Arbeit erhalten. Der Werksleiter hatte die beiden „erwischt“. Das Arbeitsgericht Köln hielt das Verhalten für abmahnungswürdig und beließ die Rüge in der Personalakte des Arbeitnehmers. (ArG Köln, 20 Ca 7940/16) Lohn.“Zum Problem wird das vor allem mit Blick auf die Rente, warnt Rump: „Da stellt sich schon die Frage, ob solche flexiblen Arbeitszeitmodelle nicht nur etwas für Besserverdienende sind.“
Hinzu kommt die Angst vor einem Karriereknick: Wer nicht ständig da ist, wird vielleicht auch bei Beförderungen nicht berücksichtigt, ist die Befürchtung. Doch das müsse man differenziert sehen, sagt Rump: „Wir wissen aus der Forschung, dass vor allem Teilzeitmodelle bis etwa 70 Prozent und längere Auszeiten zu einem Karriereknick führen.“Eine Reduktion auf 80 Prozent oder auf 28 Stunden hätte also eher keine Auswirkungen. Offen sei aber noch, ob sich Führungspositionen und Teilzeitbeschäftigungen vereinbaren lassen, sagt die Expertin.
Allerdings gibt es die Flexibilität auch ohne Teilzeit – zum Beispiel mit Vertrauensarbeitszeiten oder der Möglich- keit, von zu Hause aus zu arbeiten. „Da habe ich schon mehr Souveränität und Freiheiten, das ist klar“, sagt Rump, die auch Botschafterin der Initiative Neue Qualität der Arbeit (INQA) ist. „Gleichzeitig funktioniert das aber nur mit viel Organisationskompetenz und Disziplin.“
Anderenfalls droht die Ausbeutung – durch selbst gemachten Druck oder durch den Chef. Denn „flexibel“sollte möglichst nicht „grenzenlos“bedeuten. „Ich brauche Entscheidungskompetenz, bestimmte Aufgaben zu schieben oder wegzulassen – beziehungsweise den Mut, meinem Chef zu sagen, wenn mein Zeitkonto für heute voll ist“, warnt Rump.
In den meisten Branchen sind solche Modelle noch eher die Ausnahme als die Regel. Arbeitnehmer können die Flexibilität aber durchaus einfordern, findet die Expertin: „Das Gespräch über Arbeitszeitmodelle sollte Teil des Mitarbeitergesprächs sein.“Ist das nicht der Fall, könne man es von sich aus auf die Agenda setzen, alleine oder zusammen mit dem Betriebsrat oder der Personalabteilung.
Das wird nicht überall erfolgreich sein. Generell ist es nach Ansicht von Expertin Rump aber nur eine Frage der Zeit, bis sich flexible Arbeitszeitmodelle weiträumig durchsetzen: „Je mehr Branchen unter dem Fachkräftemangel leiden und je mehr Arbeitnehmer das bei der Jobwahl für sich als Kriterium entdecken, desto weiter wird sich das verbreiten.“
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