Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Das Biest und ich
Eigentlich dachte unsere Autorin, Brotbacken sei nur etwas für Hippies. Doch dann verliebte sie sich in ein Monster aus Mikroorganismen:
ein Marmeladenglas voll Sauerteig.
Hörte ich Geschichten über brotbackende Privatmenschen, stellte ich mir automatisch friedensbewegte Hausmänner in Wollsocken und mit Pferdeschwanz vor, die ihre trockenen Körnerkanten grundsätzlich nur mit ReformhausHüttenkäse essen. Oder hyperaktive Helikoptermamas, deren topmoderne Brotbackmaschine in der 30.000-Euro-Einbauküche ungefähr so teuer (und so ausladend) ist wie der Familien-SUV in der Auffahrt ihres Einfamilienhauses. Danke, aber nein danke. Ich arbeite Vollzeit, ich gehe zum Bäcker.
Dann passierten mehrere Dinge. Erst ereilte unseren Haushalt das Schicksal der Weizenunverträglichkeit. Dann stieß ich in einem Backbuch auf ein Roggenbrotrezept, das überraschend vernünftig klang. Das Wunder geschah, das Brot – damals noch mit Hefe statt mit Sauerteig – gelang. Schließlich hörte ich in einer schlaflosen Nacht einen Podcast mit einem gewissen Lutz Geißler, einem gelernten Geologen, der mittlerweile aufs Brotbacken umgesattelt hat und in seinem „Ploetzblog“über nichts anderes schreibt. Er findet: Hefe ist gut und schön – aber Sauerteig ist das einzig Wahre.
Ein bisschen Küchenwissenschaft: Brot besteht aus Mehl, Wasser, Salz und Triebmittel – häufig Hefe. Die Pilze verwandeln Zucker in Alkohol und scheiden dabei Kohlendioxid aus. Beides – Schnaps und Gas – verschwinden beim Backen aus dem Brot. Zurück bleiben kleine Löcher in den Brotscheiben – eine lockere Krume.
Wenn man einen Sauerteig ansetzt, stellt man damit sein eigenes Triebmittel aus Mikroorganismen her. Im Prinzip ist das nicht schwieriger, als Mehl (idealerweise aus Roggenvollkorn) und Wasser in einem großen Schraubglas zu gleichen Teilen zu verrühren. Etwa eine Woche lang wird die Masse jeden Tag mit frischer Wasser-MehlPaste gefüttert. Da unsere gesamte Welt dicht besiedelt ist mit Bakterien und Pilzen, finden die auch sehr bald ihren Weg ins Glas. Dort finden sie reichlich zu fressen – und wenn es dann auch noch nicht zu warm und nicht zu kalt ist (etwas über Zimmertemperatur ist ideal), vermehren sie sich rasant.
Die Mikroben machen etwas mit Mehl und Wasser. Erst fängt die Paste an, ein bisschen zu blubbern. Irgendwann riecht man dann auch die Fermentation. Sauerteig enthält neben Hefen auch Milchsäurebakterien – die gleichen Organismen, die auch für die Gärung von Sauerkraut verantwortlich sind. Dementsprechend säuerlich-vergoren kann Sauerteig riechen. Solange nichts schimmelt, ist aber alles gut.
Dieser Sauerteigansatz („Anstellgut” im Fachjargon) lebt seit einigen Monaten in seinem Glas in meinem Kühlschrank. Alle zwei Wochen bekommt er ein paar Esslöffel Mehl und genauso viel Wasser als Nahrung, dann klettert er manchmal übermütig aus seinem Glas. Ich stopfe ihn dann zurück und freue mich, denn ich weiß, dass es ihm gut geht.
Jeden Donnerstagmorgen vor der Arbeit verrühre ich 100 Gramm Anstellgut mit je 200 Gramm Roggenmehl und 200 Gramm Wasser. Wenn ich Feierabend habe, hat sich das Volumen schon mehr als verdoppelt. Alle zwölf Stunden füttere ich den Sauerteig mit wachsenden Mengen Mehl und Wasser. Bis ich am Samstagmorgen viel zu früh aufstehe. Dann füge ich genug Mehl hinzu, damit der Teig fest genug wird, um seine Form zu halten. Er darf noch eine Stunde gehen, dann forme ich einen Laib und heize den Ofen vor. Im Ofen: eine alte gusseiserne Auflaufform. Meine Brotbackform. Sie speichert die Hitze wie ein Ofen im Ofen, für eine knusprige Kruste.
Das Brot braucht eine Stunde zum Backen und fast eine Stunde zum Abkühlen. Meistens kann ich so lange nicht warten. Warmes Roggenvollkornbrot, auf dem die Butter schmilzt, ist einfach zu lecker.
Für mich ist Brotbacken ein Alltagswunder, das mich an die Existenz eines überaus gütigen Schöpfers glauben lässt. Es passt alles so wunderbar zusammen: Was die Mikroorganismen veranstalten, weil sie gar nicht anders können, führt zufällig dazu, dass aus Wasser und Roggenmehl ein lange haltbares Brot mit komplexem Aroma und lockerer Krume wird. Obendrein ist es noch bekömmlich. Brotblogger Lutz Geißler hat es im Podcast appetitlich ausgedrückt: Die Bakterien im Sauerteig verdauen das Mehl vor. (Genauso sieht der Teig übrigens auch aus.) All das sind Vorteile, die Sauerteigbrot gegenüber Hefeteig hat.
Dazu kommt: Der Sauerteig wird nie ausgehen, wenn man ihn regelmäßig füttert. Ein unsterbliches, niedliches, nützliches Haustier – wer könnte widerstehen?
Hörte ich Geschichten über brotbackende Privatmenschen, stellte ich mir friedensbewegte Haus
männer in Wollsocken vor