Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Handballer sollen unberechenbar werden
Im Januar möchte das deutsche Team als Titelverteidiger bei der EM in Kroatien eine gute Rolle spielen. In Kamen beginnt die Vorbereitung. Nationaltrainer Christian Prokop sagt: „Wir wollen nicht den einen Superstar haben.“
KAMEN Unmittelbar vor Betreten der großen Halle im SportCentrum Kamen fällt der Blick auf ein über dem Erste-Hilfe-Kasten an der Wand angebrachtes Hinweisschild. „Absolutes Haftmittelverbot“steht da in großen Buchstaben. Etwas kleiner darunter: „Verunreinigungen werden in Rechnung gestellt.“Die Handballer, die gegen 16.45 Uhr mit dem Training beginnen, wird dies wenig interessieren. Wer Sport auf ihrem Niveau betreibt, der ist verliebt in Harz an den Fingern, auf das keiner verzichten will und das vor allem den Außenspielern die Trickwürfe ermöglicht. Und Harz verursacht nun einmal Flecken
An der Seitenlinie stehen acht Kästen Mineralwasser. 96 Flaschen für die 19 Männer, die seit gestern den nur zweitägigen Auftaktlehrgang auf dem Weg zur Europameisterschaft in Kroatien (12. bis 28. Januar) bestreiten. Den Zwanzigsten im Bunde hat eine Bronchitis flachgelegt. Finn Lemke, Abwehrchef aus Melsungen, wird erst in Stuttgart dabei sein, wenn Christian Prokop ab 2. Januar die EM-Vorbereitung fortsetzt. 16 Spieler kann der 39-Jährige, der sich auf sein erstes großes Turnier freut, im Auftaktspiel am 13. Januar gegen Montenegro einsetzen.
Prokops Vorgänger Dagur Sigurdsson hat den Handball hierzulande aus der Versenkung geholt. Ihm und der Arbeit der Klubs ist es zu verdanken, dass die Männermannschaft des Deutschen Handballbundes (DHB) wieder zum Kreis jener Teams zählt, die bei den drei großen Turnieren (Olympia, WM und EM) um Medaillen und sogar um den Titel kämpfen können – wenn alles passt.
„Die Titelverteidigung als Ziel auszugeben, ist angesichts der Leistungsdichte allerdings nicht angebracht. Demut ist angebracht. Zunächst mal wollen wir aus der Vorrunde mit der maximalen Punkteausbeute herauskommen und alle Spiele gewinnen. Das wird schon schwer genug“, betont Prokop. Im Januar 2016 überraschte eine junge Auswahl alle Experten und entfachte in Deutschland eine erneute Begeisterung für den Handball. Im Sommer folgte Olympia-Bronze in Rio. Doch die unerwartete Achtelfinal-Niederlage gegen Katar zu Jahresbeginn bei der WM in Frankreich zeigte, dass es nicht so einfach ist, konstant oben dabei zu sein.
Die Begegnungen mit Montenegro, dem WM-Dritten Slowenien und Mazedonien, deren Fans die Partien in Zagreb zu Heimspielen machen werden, sind die ersten bei der EM-Endrunde zu lösenden Aufgaben. „Wir wollen als Team unberechenbar sein und nicht den einen Superstar in unseren Reihen haben. Wenn wir das schaffen, dann können wir viel erreichen“, sagt Prokop. Als Mannschaft möglichst schnell zusammenzuwachsen, ist eine Herausforderung. Die nun offensivere Abwehrarbeit zu verinnerlichen, eine andere. Dazu werden in diesen Tagen weitere taktische Feinheiten eingeübt oder vertieft.
Doch Oliver Roggisch nennt die wohl wichtigsten Zutaten für den Erfolg. „Allein mit Taktik wirst du deine Ziele nicht erreichen können. Du musst die Leidenschaft, die Emotionen in dein Spiel einbringen. Du musst bereit sein, den Kampf anzunehmen, und ähnlich hart spielen wie der Gegner“, sagt der ehemalige Abwehrspezialist, der für seine direkte Art der Defensivarbeit geliebt oder gefürchtet war. Neben seinem Job beim deutschen Meister Rhein-Neckar Löwen betreut „The Rock“die Nationalmannschaft als Teammanager.
Endlich sein erstes großes Finale zuspielen, das würde Patrick Groetzki gefallen. 2016 war er verletzt, musste als Zuschauer miterleben, wie seine Kollegen die Handballwelt mit dem EM-Titel verblüfften. „Unsere Mannschaft hat die Qualität, Großes zu erreichen – wie vier, fünf andere auch“, sagt der Rechtsaußen der Rhein-Neckar Löwen. Anders als bei einer WM, wo schon mal schwächere Gegner ein Sich-Einspielen erlauben, geht es bei einer EM sofort zur Sache. „Du musst in jeder Partie dein Leistungsmaximum zu 100 Prozent ausschöpfen, nur dann bleibst du lange genug im Wettbewerb“, stellt Prokop klar.
Dafür arbeiten er und seine Spieler nicht erst seit gestern.