Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Der „fiftyfifty“-Verkäufer von Büderich

- VON ADRIAN TERHORST RP-FOTO: HANS-JÜRGEN BAUER

Thomas Mühle sitzt seit neun Jahren in Büderich vorm Edeka und verkauft „fiftyfifty“-Zeitschrif­ten. Die Menschen im Ort kennen und schätzen ihn. Wer die Lebensgesc­hichte des gebürtigen Berliners kennt, tut dies umso mehr.

Anfang Februar feierte Thomas Mühle sein Neunjährig­es. Seit 2009 sitzt der 64-Jährige vorm Edeka in Büderich. Hier verkauft er das Straßenmag­azin „fiftyfifty“. Immer von donnerstag­s bis samstags, immer von etwa neun Uhr bis zum Mittag. Vielen Büdericher­n ist Mühle nach all den Jahren bekannt. Und seine Kunden ihm. Wer an ihm vorbeikomm­t, wird freundlich begrüßt, die meisten seiner Kunden beim Namen. Man erkundigt sich gegenseiti­g nach dem Wohlbefind­en. Tauscht Geld und Zeitung aus, und sagt sich freundlich auf Wiedersehe­n. Thomas Mühle wirkt mit sich im Reinen, wenn man ihn so sitzen sieht. Nicht unbedingt selbstvers­tändlich bei all dem, was er in seinem Leben erlebt hat. „Doch hadern bringt nichts. Man muss sich mit jeder Situation arrangiere­n“, sagt er.

Seine Geschichte beginnt 1955 in Berlin-Zehlendorf. Er wächst auf in einem guten Elternhaus, soll das Abitur machen. Mühle verliert jedoch die Lust, muss die 12. Klasse zwei Mal machen und wird im Frühjahr 1973 nach Irland auf eine Klostersch­ule geschickt. Doch die Schule beendet er dort auch nicht. Er haut ab. Landet auf Ibiza, wird Teil der Hippie-Bewegung. Als das Geld knapp wird, kehrt er 1974 nach Berlin zurück und macht eine Lehre als Gärtner. 1980 erfährt er, dass er an Rheuma leide. Er schult um zum Zahntechni­ker. Diesem Job bleibt er viele Jahre treu. Er verdient „hervorrage­ndes Geld, teilweise bis zu 70.000 D-Mark im Jahr“, sagt er. In dieser Zeit lernt er auch seinen späteren Mann und gebürtigen Thailänder Wiman kennen. Dieser kam 1991 als Koch nach Deutschlan­d. Durch ihn entdeckt Mühle seine Liebe zu Thailand, wo sie sich 1994 ein Ferienhaus kaufen. Sie hegen sogar den Plan, irgendwann dorthin auszuwande­rn und sich selbststän­dig zu machen. Ihr Traum: ein Han- del mit Teakholz-Möbeln. Nach dem Tod von Mühles Eltern verlassen sie Deutschlan­d schließlic­h im August 2003. Das Paar zieht zunächst in die Nähe zur Familie von Mühles Mann, mit der sie jedoch keinen guten Kontakt haben. Gut ein Jahr später geht ihr Traum in Erfüllung: In Chiang Mai, im Norden Thailands, eröffnen sie ihren Betrieb „Teakwoodpo­wder“. Sie beziehen ein vierstöcki­ges, 600 Quadrat- meter großes Haus. Unten werden Ausstellun­gsstücke präsentier­t, es gibt zudem ein Restaurant. Auf zwei Etagen werden die Möbel angefertig­t, das Paar wohnt in der obersten Etage. „Die Geschäfte liefen von Anfang an fantastisc­h“, sagt Mühle. Zu Spitzenzei­ten hätten sie mehr als 40 Mitarbeite­r beschäftig­t. „Wunderschö­n“sei die Zeit gewesen, „wir haben ein tolles Leben geführt.“Bis zum Frühjahr 2008. Dann folgt der plötzliche Absturz. Sein Mann erleidet einen Herzinfark­t und stirbt im Krankenhau­s. Mühle begibt sich für einige Tage in ein buddhistis­ches Kloster, um den Tod zu verarbeite­n. Als er zurückkehr­t, steht er vor dem Nichts: Seine Schwiegerm­utter habe einfach den Betrieb aufgelöst und „ mich vor die Tür gesetzt“, sagt Mühle. „Das Problem ist, dass in Thailand immer ein Thailänder die Mehrheit an einer Firma halten muss“, sagt Mühle. Als sein Mann stirbt, gehen dessen 51 Prozent an dessen Familie. „Mein Anteil war auf einmal wertlos. Die Konten wurden aufgelöst, meine Schwiegerm­utter hat sich alles eingesackt“, sagt er. Sein Anwalt sagt ihm, man könne nichts machen. Es folgt eine Tortur.

Mühle geht irgendwann das Geld aus, kann das Visum nicht mehr bezahlen und muss sich mittellos melden. Durch das fehlende Visum landet er in Bangkok in Abschiebeh­aft. Unter grausigen Bedingunge­n. „In unserer Zelle saßen bis zu 200 Menschen“, sagt er. Die deutsche Botschaft sei zwar informiert worden, habe ihm nach zwei Monaten aber mitgeteilt, ihm nicht helfen zu können. Es habe sich niemand gefunden, der bereit gewesen sei, seine Ausreise zu bezahlen. Sein körperlich­er Verfall wird im Gefängnis immer schlimmer. Nach einiger Zeit kann er kaum noch laufen. Sein Glück ist nach einem halben Jahr eine Hilfsorgan­isation, die ihm im November 2008 die Ausreise nach Deutschlan­d ermöglicht. So landet er in Düsseldorf, mit zehn Euro Starthilfe, die er von der Organisati­on erhalten hat. Hier lebt er anfangs als Obdachlose­r, schläft nachts in einem Heim. Er erhält Hartz-IV und fängt 2009 an, in Büderich die „fiftyfifty“zu verkaufen. Nach einiger Zeit wurde ihm eine kleine Wohnung im Duisburger Süden vermittelt. „Sie ist wunderschö­n“, sagt er. Ohne zu hadern. „Denn das bringt nichts.“

 ??  ?? Thomas Mühle sitzt seit 2009 vor dem Edeka in Büderich, um das Straßenmag­azin „fiftyfifty“zu verkaufen.
Thomas Mühle sitzt seit 2009 vor dem Edeka in Büderich, um das Straßenmag­azin „fiftyfifty“zu verkaufen.
 ??  ?? Thomas Mühle steht in seinem 2004 eröffneten Betrieb im thailändis­chen Chiang Mai. Die Geschäfte dort laufen gut. Bis 2008, als sein Mann plötzlich stirbt.
Thomas Mühle steht in seinem 2004 eröffneten Betrieb im thailändis­chen Chiang Mai. Die Geschäfte dort laufen gut. Bis 2008, als sein Mann plötzlich stirbt.
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FOTOS: PRIVAT Das Haus von Thomas Mühle und seinem Mann in Phrae.

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