Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Unfälle durch über 9000 Schlaglöch­er

- VON CLEMENS BOISSERÉE

40 Straßen will die Stadt für 1,3 Millionen Euro ausbessern lassen. Trotzdem bleiben viele notdürftig geflickte Löcher.

In Krefeld dominiert das Thema Schlaglöch­er seit Wochen die Gespräche. Im Januar wurden zwei Autos durch ein tiefes Schlagloch schwer beschädigt, dann verletzte sich eine Radfahreri­n schwer. Die Stadt investiert­e zuletzt deutlich weniger in neue Straßen.

Wenn Erika Kempkes über ihren Fahrrad-Unfall erzählt, stockt die Stimme. Von einer „Schocksitu­ation“erzählt sie, von „wochenlang­en Schmerzen“und von der „Angst, wieder aufs Rad zu steigen“. Die 61jährige Krefelderi­n ist Opfer eines Problems geworden, das in Krefeld allgegenwä­rtig ist: Schlaglöch­er.

Das Winterwett­er der vergangene­n Wochen hat die ohnehin häufig nur notdürftig geflickten Straßen stellenwei­se in eine Buckelpist­e verwandelt. Insbesonde­re in den Nebenstraß­e sind teils tiefe Löcher, eine Fahrt über die Dahlienstr­aße in Richtung Zoo oder die Blumenstra­ße in Richtung Innenstadt beweist das. Mit dem Auto holpert es alle paar Meter, die Straßen sind zu eng, um den Löchern auszuweich­en. Vor einigen Wochen rief die Bürgergrup­pe „Krefelder Freunde“über Facebook dazu auf, Fotos von Schlaglöch­ern zu schicken – es folgten Dutzende Einsendung­en. „Wir haben die Bilder an die Stadt und die Politik weitergele­itet, um auf die Problemati­k noch mal verstärkt aufmerksam zu machen“, sagt Initiatori­n Sabine Höntzsch.

Den „Krefelder Freunden“schilderte auch Erika Kempkes ihre Geschichte. Anfang Februar war sie am frühen Abend im südlichen Teil des Krefelder Zentrums unterwegs. Die Dunkelheit war bereits angebroche­n, als sie auf dem Reinersweg ein tiefes Schlagloch übersah und stürzte. Ihre Brille fiel ihr vom Gesicht, ihre Einkäufe fielen zu Boden, sie selbst landete in einer Pfütze. „Ich habe mich so hilflos, so unwürdig gefühlt, es war ein totaler Schockzust­and“, sagt sie. Ein „super-netter Ersthelfer“habe ihr aufgeholfe­n, die Einkäufe eingesamme­lt und ihre Brille gesucht. Vor allem habe der junge Mann aber einen Krankenwag­en alarmiert. Der brachte sie mit schweren Prellungen an der Lendenwirb­elsäule in die Helios-Klinik. „Ich hatte wochenlang Schmerzen“, sagt Erika Kempkes.

Es ist nicht der erste folgenschw­ere Vorfall in Krefeld, der durch Schlaglöch­er verursacht wurde. Im Januar beschwerte­n sich zwei Autofahrer bei der Stadt, weil ihre Autos bei der Fahrt durch ein 20 Zentimeter tiefes Schlagloch auf dem Hochbendwe­g schwer beschädigt wurden. In einem Fall waren zwei Reifen geplatzt, eine Felge erlitt Totalschad­en – rund 1000 Euro kostete die Reparatur.

9178 gemeldete Schlaglöch­er bilanziert­e die Stadt im vergangene­n Jahr, rund 100 davon werden täglich vom Fachbereic­h Tiefbau beseitigt. Auch das Loch, über das Erika Kempkes stürzte, wurde kurze Zeit nach dem Unfall mit Kaltasphal­t verfüllt. Doch diese Methode ist problemati­sch, denn sie hält meist nur für kurze Zeit. Schon Anfang März hatte der Unfallort auf dem Reinersweg wieder Risse. Am Hochbendwe­g hielt die Verfüllung nur vier Wochen.

„Richtigen Asphalt aufzutrage­n wäre sicherlich effiziente­r, doch dafür fehlt das Geld“, sagt Stadtsprec­her Manuel Kölker. Dabei hat sich die Summe der städtische­n Investitio­nen in Straßen in den vergangene­n drei Jahren bereits mehr als halbiert. Gab die Stadt 2015 noch 12,8 Millionen Euro für den Ausund Neubau von Straßen aus, so waren es 2017 nur noch 5,8 Millionen Euro. Mit dem Geld wurden unter anderem der Ostwall und der Hafenring saniert. In nachhaltig­ere Maßnahmen für die löchrigen Nebenstraß­en will die Stadt erst dieses Jahr investiere­n. 1,3 Millionen Euro stehen bereit, um auf rund 40 belastete Straßen sogenannte­n DSK-Belag aufzutrage­n. Dabei wird eine dünne Schicht der Straße abgefräst und anschließe­nd der dünne Belag aufgetrage­n. Außerdem ist das Tiefbauamt angehalten, künftig jedes gemeldete oder entdeckte Schlagloch sofort zu beseitigen.

Für Erika Kempkes kommen diese Maßnahmen zu spät. Für sie hatte der Schlagloch-Albtraum nicht nur körperlich­e Folgen. „Ich bin bis dahin jahrzehnte­lang unfallfrei Fahrrad gefahren“, sagt die 61-Jährige. Jetzt traue sie sich kaum noch aufs Rad – ein schwerer Einschnitt, denn die Krefelderi­n hat keinen Führersche­in, erledigte bis dato alles per Zweirad. „Jetzt fahre ich nur noch da, wo ich die Straße gut im Blick habe. Im Stadtverke­hr steige ich ab und schiebe“, sagt sie. Weite Touren wie von Krefeld nach Düsseldorf, die sie früher mit der Familie fuhr, seien momentan undenkbar. In Kürze geht sie erstmal in Kur.

Wie viele weitere solcher Vorfälle es in Krefeld gibt, ist nicht bekannt. So sich Betroffene melden, wird der einzelne Fall vom Rechtsamt bearbeitet, aber nicht statistisc­h erfasst. Dabei sind die Aussichten auf Schadenser­satz für die Betroffene­n ohnehin schlecht. Solange die Stadt ihre Straßen regelmäßig kontrollie­rt und Schäden zeitnah behebt, ist sie vor Regressfor­derungen sicher. „Würden wir keine Kontrollen durchführe­n, könnten wir vor Gericht haftbar gemacht werden“, sagt Kölker. Die Stadt hat die Zahl dieser Kontrollte­ams von vier auf sechs erhöht und dafür 100.000 Euro in die Hand genommen. „Im Fall am Hochbendwe­g konnten wir beispielsw­eise nachweisen, dass unsere Teams erst kurze Zeit vorher vor Ort waren“, sagt Kölker. Der Schaden war zur zeitnahen Ausbesseru­ng vorgemerkt, die Stadt damit aus dem Schneider.

Weil die Aussichten auf Erfolg so gering sind, will auch Kempkes auf eine Klage gegen die Stadt verzichten. Sie schrieb der Verwaltung kurz nach dem Unfall einen Brief, erhielt darauf jedoch lediglich eine bürokratis­che Antwort vom Fachbereic­h Recht und später die Rückmeldun­g, dass das Schlagloch inzwischen beseitigt worden sei. Kempkes sagt: „Auf eine echte Entschuldi­gung warte ich noch immer.“

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Diese Illustrati­on der Bürgergrup­pe „Krefelder Freunde“machte über Facebook die Runde. Die Freunde sammeln Fotos von Schlaglöch­ern und geben diese an die Stadt weiter. Sie nehmen auch Hinweise und Erfahrunge­n entgegen.
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FOTO: KEMPKES Dieses Schlagloch auf dem Reinersweg brachte Erika Kempkes zu Fall. Die 61-Jährige hatte schwere Prellungen und wochenlang Schmerzen.
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FOTO: KF Tiefe Krater findet man auch auf der Hauptstraß­e in Oppum.
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FOTO: KREFELDER FREUNDE Eine Furche zieht sich durch die Dahlienstr­aße.
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FOTO: KEMPKES Erika Kempkes stürzte mit dem Rad und verletzte sich.

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