Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Der Milchmann kehrt zurück
In den Niederlanden konnte Picnic 100 Millionen Euro einsammeln, um einen Lieferdienst für Lebensmittel aufzubauen. Nun expandiert das Start-up nach Deutschland.
NEUSS Die Geschichte des Milchmanns ist eine von Gesprächen am Gartenzaun, von Verbundenheit und Vertrauen – und davon, wie ein Geschäftsmodell plötzlich nicht mehr konkurrenzfähig ist. „Der Milchmann hat nicht überlebt, weil die Supermärkte mehr Auswahl hatten und günstiger waren“, sagt Gerard Scheij. Wer zahlt schon gerne mehr, um die Milchflasche vor die Tür gestellt zu bekommen, wenn er sowieso in den Supermarkt muss? Also starb der Milchmann aus.
Nun aber könnte er mit größerem Sortiment zurückkommen. Das ist zumindest der Ansatz von Scheij. Er gründete gemeinsam mit drei Partnern 2015 in den Niederlanden Picnic. Das Start-up will den Lebensmittelhandel revolutionieren und das schaffen, was bislang weder Aldi, Rewe oder sogar Amazon gelungen ist: die Menschen zu Lebensmittel-online-Käufern zu machen. 100 Millionen Euro haben die vier dazu in den Niederlanden von Investoren eingeworben, wo man inzwischen 105.000 Kunden in 37 Städten beliefert. Nun expandiert das Start-up ins Nachbarland: nach Neuss, Kaarst, Düsseldorf und Meerbusch.
Und da kommt Frederic Knaudt ins Spiel. Der 32-Jährige hat Kochzauber gegründet, bei dem Kunden Pakete mit Rezepten und Zutaten geschickt bekamen. Das Start-up gehört inzwischen zu Lidl. In Düsseldorf will Knaudt nun eine andere Geschichte schreiben. „Wenn es uns gelingt, erfolgreich eine Plattform aufzubauen, können wir das gesamte Lebensmittel-System verändern“, sagt Gerard Scheij, und Knaudt nickt zustimmend. Beide wissen: Das Potenzial in Deutschland ist gigantisch, der Online-Anteil bisher verschwindend gering. Der Markt ist hart umkämpft – Supermärkte und Discounter lassen sich innerhalb weniger Minuten erreichen, die Preise sind niedrig, die Ansprüche der Kunden hoch. „Wenn der Kunde bezahlen muss, um Essen geliefert zu bekommen, wird er es nicht tun“, sagt Scheij: „Dafür gibt es zu viele Supermärkte in seiner Nähe. Wenn die Lieferung aber kostenlos ist und die Produkte günstiger – wieso sollte er noch in den Laden gehen?“Die Vorteile überwiegen aus Sicht der PicnicMacher: In den Niederlanden bräuchten Kunden im Schnitt drei Stunden pro Woche für die Einkäufe und die Fahrt zum Supermarkt. „Die Leute könnten also viel Zeit sparen“, sagt Scheij. Und auch die Umwelt würde durch die Lieferung per Elektrofahrzeug profitieren.
„Von der Software bis zum Elektrofahrzeug ist das ganze Konzept auf einem weißen Blatt Papier entstanden“, sagt Gerard Scheij. Wie viel Umsatz man in der Testphase pro Kunde gemacht hat, will Frederic Knaudt nicht sagen. Er verrät lediglich, dass der Durchschnittskunde etwa 1,3 Mal pro Woche bestellt und die Warenkorb-Größe aktuell höher sei als die vergleichbare im Offline-Handel.
Um das Kaufverhalten der Kunden zu studieren, muss man deswegen mit Kaveh Amiri unterwegs sein. Der 25-Jährige ist einer der „Runner“von Picnic. So nennt das Start-up seine Fahrer. „Ich habe inzwischen viele Stammkunden“, sagt Amiri. Acht Minuten hat er vor Ort bei jedem Kunden Zeit, dann muss er weiter – denn Picnic verspricht den Kunden eine Lieferung in einem Zeitfenster von 20 Minuten. Das ist ambitioniert: Konkurrenten wie Rewe oder Amazon liefern in einem Zeitfenster von zwei Stunden. Wenig später beliefert er Testkundin Mila Durgut. „Man spart natürlich Zeit“, sagt die zweifache Mutter. Ob sie auch langfristig dabei bleiben wird, wenn es nicht mehr 50 Prozent Rabatt auf einen Einkauf gibt? Durgut zuckt mit den Schultern.
Frederic Knaudts sieht darin kein Problem – die Konzepte schlössen sich nicht aus. Mit Beendigung der Testphase Ende April will Picnic daher auch schnell weiter expandieren. „Bis Ende des Jahres werden wir 200 bis 300 Leute für unser Lager in Viersen brauchen und dazu nochmal circa 300 Runner“, sagt Knaudt.