Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Neuanfang mit Selbstkritik
Zum Auftakt noch einmal Rückblick. Die Kanzlerin, die sonst immer nach vorn schauen will und Probleme auch aussitzen kann, schüttet in der ersten Regierungserklärung ihrer vierten Amtszeit Asche auf ihr Haupt. Sie macht ihre Flüchtlingspolitik für die Spaltung und Polarisierung der Gesellschaft verantwortlich. Beziehungsweise einen Satz: „Wir schaffen das.“Für die einen war er Hoffnung, für die anderen Provokation. So viel Selbstkritik war nie. Und das ist der Grundstein für ihre vierte und sicher letzte Amtszeit.
Keinesfalls will sie abtreten als Kanzlerin, die das Land entzweit hat. Zusammenhalt ist das derzeit wohl häufigste Wort der 63-Jährige. Dafür will sie jetzt „jeden Tag von morgens bis abends“ihre ganze Kraft einsetzen. Merkel erwähnt die AfD natürlich nicht. Aber eines ihrer wichtigsten Ziel ist, dass sich Wähler von dieser in Teilen rassistischen Partei wieder abwenden. Merkel hat verstanden, dass sie sich mehr um die Sorgen und Ängste der anderen kümmern muss. Die Frage ist, ob sie das kann. Denn sie selbst fühlt es nicht. Sie ist eine Frau der Mitte, der Freiheitsrechte, des Kompromisses, nicht der Wut, der Abschottung und Eskalation. Und ihre Kritiker werden ihr nicht die Hand reichen. Siehe Seehofer. BERICHT
EU am Ziel, Bayer nicht
Bayer-Chef Werner Baumann hat mit der Übernahme von Monsanto alles auf eine Karte gesetzt – für den Konzern und sich selbst. Wenn die Übernahme scheitert, kann er gehen – und Bayer würde zum potenziellen Übernahmeobjekt für globale Pharmariesen. Das zu verhindern, war von Anfang an der treibende Gedanke hinter dem Deal. Mit dem Okay von EU-Kommissarin Vestager kommt Bayer seinem Ziel einen großen Schritt näher. Der Preis ist hoch: Bayer muss nahezu sein gesamtes Saatgutgeschäft abgeben. Und Vestager fordert noch mehr, um zu zeigen, dass sie die massiven Bedenken der Bauern und Verbraucherschützer ernst nimmt. Sie zwingt Bayer, wichtige Zukunftsgeschäfte in Digitalisierung und Forschung abzugeben. Sie schaut eben nicht nur auf die drohende Monopolisierung heute, sondern auch auf die Zukunft. Das ist klug. Die Dänin ist damit am Ziel, Baumann noch nicht. Zum einen steht noch die Zustimmung der US-Behörden aus, die Bayer zunächst unterschätzt hat. Zum anderen muss er zeigen, dass er Monsanto nicht nur übernehmen, sondern auch integrieren kann. BERICHT
Kurz unter Druck
Die neue österreichische Regierung ist noch kein Vierteljahr im Amt und steckt schon in einer Krise. Noch ist nicht ganz klar, was genau geschah, als der Innenminister von der rechtspopulistischen FPÖ die Büros des österreichischen Verfassungsschutzes im Rahmen einer Razzia durchsuchen ließ. Ob der Vorwurf zutrifft, dass ein FPÖgeführtes Ministerium die Ermittlungen des Inlandsgeheimdienstes im rechtsextremen Spektrum sabotieren will, muss sich erst noch erweisen. Aber dass in Wien offener Krieg zwischen zwei Staatsorganen ausgebrochen ist, ist schon bemerkenswert.
Für die Regierung und ihren Chef, Bundeskanzler Sebastian Kurz, stellt der Vorgang jedenfalls eine ernste Bewährungsprobe dar. Von Anfang sorgte die Tatsache, dass praktisch alle sicherheitsrelevanten Ministerien an die FPÖ gegangen waren, für Stirnrunzeln. Hatten die heute als Biedermänner auftretenden Freiheitlichen doch bis in jüngste Vergangenheit den Ruf bedenklicher Nähe zum rechtsradikalen Milieu. Kurz muss jetzt klarstellen, dass solche Leute nicht über die Sicherheit des Landes entscheiden. BERICHT