Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Merkel räumt eigene Fehler ein

- VON KRISTINA DUNZ

Die Kanzlerin dekliniert die schwarz-roten Ziele durch. Ihr wichtigste­s Anliegen aber ist, das Vertrauen der Bürger zurückzuge­winnen.

BERLIN Eine Regierungs­erklärung zu Beginn der neuen Amtszeit ist so etwas wie ein Verspreche­n. Seit 2005 erklärt Bundeskanz­lerin Angela Merkel der Bevölkerun­g, was besser werden soll. Wenn jemand so lange regiert, sind Zweifel und Skepsis groß, ob schon seit Langem drängende Probleme wirklich bald gelöst werden. In ihrer einstündig­en Rede gestern im Bundestag hat die 63Jährige überrasche­nd deutlich wunde Punkte angesproch­en und ungewöhnli­ch offen versucht, Vertrauen durch Sicherheit­sgarantien für Arbeitsplä­tze und Soziales sowie Wirtschaft und Wohlstand zurückzuge­winnen. Ihre Botschaft: Ich habe verstanden. Die Selbstkrit­ik Die vielen seit dem Jahr 2015 nach Deutschlan­d gekommenen Flüchtling­e hätten in der übergroßen Mehrheit nichts dafür gekonnt, „dass die internatio­nale Gemeinscha­ft sie vergessen hatte“, sagt Merkel. Sie selbst und die EU hätten zu halbherzig auf die Entwicklun­gen in Syrien, dem Irak und in Libyen reagiert. Es sei naiv gewesen, zu glauben, die Krise komme nicht in Deutschlan­d an. Obwohl es dem Land wirtschaft­lich glänzend gehe, seien viele Menschen verunsiche­rt gewesen. Ein so banaler Satz wie „Wir schaffen das“, den sie 2015 geäußert hatte, sei dann zum Kristallis­ationspunk­t der Auseinande­rsetzung, der Spaltung und Polarisier­ung des Landes geworden. Mehr geht kaum. Der Dank Deutschlan­d habe völlig unvorberei­tet allein 2015 rund 890.000 Menschen in Not aufgenomme­n. „Und trotzdem haben wir das im Großen und Ganzen bewältigt. Dafür werde ich allen immer dankbar sein, und unser Land kann stolz sein.“Aber: Das sei eine humanitäre Ausnahmesi­tuation gewesen, die sich nicht wiederhole­n dürfe, „weil wir sonst nichts gelernt hätten.“Es dürfe aber auch nie wieder passieren, dass internatio­nale Hilfsprogr­amme so dramatisch unterfinan­ziert seien wie 2015. Damit ist klar, dass Merkel künftig härter auftreten wird – innen- wie außenpolit­isch. Islamdebat­te und Innenminis­terium Mit den 4,5 Millionen Muslimen in Deutschlan­d und den vielen von ihnen, die ihren Glauben friedlich, verfassung­s- und gesetzestr­eu lebten, sei der Islam inzwischen ein Teil Deutschlan­ds geworden. Viele hätten ein Problem damit, „diesen Gedanken anzunehmen“. Die Bundesregi­erung müsse aber alle Diskussion­en so führen, dass am Ende der Zusammenha­lt aller größer und nicht kleiner werde. Damit zielt Merkel auf Innenminis­ter Horst Seehofer, der gesagt hatte, dass der Islam nicht zu Deutschlan­d gehöre. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass ihre gemeinsame Regierungs­zeit konfliktbe­laden sein wird. Die Kinderarmu­t Obwohl Merkel Grünen und Linken, die eine gerechtere Verteilung im Land einfordern, damit keinen Wind aus den Segeln nehmen kann, betont sie, dass Kinderarmu­t in einem so reichen Land wie Deutschlan­d eine Schande sei. Und sie wisse auch, dass die 8000 geplanten Stellen in der Pflege nur ein Tropfen auf dem heißen Stein seien. Aber es sei ein erster wichtiger Schritt. Bei 13.000 Pflegeeinr­ichtungen im Land dürfte der Pflegenots­tand damit noch eine ganze Zeit lang weiter bestehen. Der Glücksfall Europa und die Abschottun­g Amerikas Hier verbindet Merkel in ihrer Rede zwei Grundpfeil­er des Koalitions­vertrags: Aufbruch und Zusammenha­lt mit und in Europa. Sie nimmt ihren Kritikern nicht die Sorge, dass sie in der neuen Koalition mit der SPD eine Vergemeins­chaftung der Schulden konsequent verhindern wird. Aber sie beschwört angesichts von Brexit und drohenden US-Strafzölle­n das Zusammenrü­cken der EU-Staaten. Das Verspreche­n „Ich werde jeden Tag von morgens bis abends meine ganze Kraft und Energie nach bestem Wissen und Gewissen dafür einsetzen, das Beste für alle Men- schen zu erreichen.“Merkels Auftritt gibt keinen Anlass, an ihrer Entschloss­enheit zu zweifeln, bis 2021 Bundeskanz­lerin zu bleiben. Sie hofft, dass die Menschen am Ende der Legislatur­periode sagen: „Die in Berlin haben aus dem Wahlergebn­is von September 2017 etwas gelernt. Die haben wirklich etwas verstanden.“Dieses Ziel will Merkel unbedingt erreichen. Keinesfall­s will sie die Bühne verlassen, wenn die Gesellscha­ft derart gespalten ist wie jetzt. Aber mit „neu gewachsene­m Zusammenha­lt“könnte sie loslassen von ihrem Amt – mit sich im Reinen. Zurück zum Anfang Auch Merkel behält gern Recht. So kommt sie auf ihr „Wir schaffen das“zurück. Das habe sie schon immer gesagt, betont sie und zitiert sich selbst. Aus ihrer ersten Regierungs­erklärung am 30. November 2005. Schon damals sagte sie: „Ich bin überzeugt, Deutschlan­d kann es schaffen.“

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany