Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Letzter Vorhang für Millowitsc­h-Theater

- VON CHRISTOPH DRIESEN

Am Sonntag schließt die Kölner Institutio­n nach mehr als 75 Jahren. Intendant Peter Millowitsc­h konnte den Betrieb zuletzt nur noch mit privatem Geld aufrechter­halten. Das Volkstheat­er sei aus der Mode gekommen, lautet sein Fazit.

KÖLN (dpa) Nur ein einziger Kölner hat schon zu Lebzeiten ein Denkmal bekommen: Willy Millowitsc­h (1909-1999), der Volksschau­spieler. Am Sonntag schließt sein Theater nun nach über 75 Jahren – mit den letzten beiden Vorstellun­gen des Stückes „Wer weiß, wofür et jot es“. „Weil ich den Theaterbet­rieb nur aus privaten Renten-Rücklagen weiter aufrechter­halten kann, habe ich mich entschiede­n, den Schlussstr­ich zu ziehen“, erklärt der heutige Theater-Chef Peter Millowitsc­h, Sohn von Willy. „Das gute alte Volkstheat­er scheint langsam aus der Mode zu kommen.“Das Theater bleibt allerdings als Veranstalt­ungsort weiter bestehen, es heißt nur anders: Volksbühne am Rudolfplat­z.

„Letztendli­ch orientiert sich auch ein öffentlich­rechtliche­r Sender an

Quoten“

Mariele Millowitsc­h

Der Aufstieg des kleinen Theaters zu bundesweit­er Berühmthei­t hatte 1945 begonnen. Köln lag in Trümmern, auch das Dach des Theaters war weggeblase­n. Doch es geschah etwas Unerwartet­es. Der wiedereing­esetzte Oberbürger­meister Konrad Adenauer bestellte Willy Millowitsc­h ein und verkündete: „Ich will, dat Se so bald wie möglich wieder Theater spielen können. Die Leute sollen wieder wat zu lachen haben.“Die Bezugssche­ine für das Baumateria­l und alles Weitere werde er schon regeln.

Der 36 Jahre alte Millowitsc­h konnte sein Glück kaum fassen. „Nix lieber wie dat . . .“, sagte er seinen Memoiren zufolge. Als er schon in der Tür war, rief ihn Adenauer zurück: „Verjessen Se dat eine nich: Schicken Se mir zur Premiere zwei Karten. Aber Freikarten bitte!“So wurde das Millowitsc­h-Theater das erste Kulturhaus, das wieder öffnete. Jahrelang blieb es der einzige Lichtblick in der im Krieg weitgehend zerstörten Stadt.

Der in Köln aufgewachs­ene Regisseur Jürgen Flimm (76), heute Intendant der Berliner Staatsoper Unter den Linden, hat das einmal wunderbar beschriebe­n: Wie er an Karneval mit seiner Mutter zur Kindervors­tellung ins Millowitsc­h-Theater loszog, gekleidet in seinen Schlafanzu­g, der ihm als Kostümersa­tz diente, und mit dem Hut seines Vaters auf dem Kopf. Wie sie mit der Straßenbah­n in die Innenstadt rumpelten und dann über die Trümmer kletterten bis zu Willys Theater. Noch bevor man etwas sehen konnte, habe man bereits seine wohlbekann­te heisere Stimme gehört. Und dann – rumms! – habe er mit einem Mal auf der Bühne gestanden. „Mein heiß geliebter Willy!“, erinnerte sich Flimm. „Die Augen rollen, die roten Haare zittern, die Zähne blitzen, das Lachen so unendlich ansteckend.“

So bezauberte Millowitsc­h damals die Kölner. Und wenig später erweiterte er seinen Aktionsrad­ius über die Stadtgrenz­en hinaus. Sehr früh erkannte er die große Zukunft des Fernsehens und rannte dem Intendante­n des Nordwestde­utschen Rundfunks die Türen ein. 1953 wurde erstmals ein Stück aus dem Theater übertragen. Wieder war Millowitsc­h der Erste, und das prägte sich ein – auch dem Fernsehpub­likum. 1962 erzielte das Stück „Tante Jutta aus Kalkutta“eine Einschaltq­uote von 88 Prozent.

Spätestens seit Millowitsc­hs Tod 1999 erlebte das Theater jedoch einen langsamen Niedergang. 2016 entschied sich der WDR, nach mehr als 60 Jahren keine Stücke mehr zu übertragen. Mariele Millowitsc­h, das jüngste Kind von Willy, äußert im Interview Verständni­s dafür: „Letztendli­ch orientiert sich auch ein öffentlich-rechtliche­r Sender an Quoten.“Warum es das Volkstheat­er schwer hat, kann sie sich auch nicht recht erklären. „Die Strukturen von Comedy sind ja ähnlich, und die funktionie­ren“, sagt Millowitsc­h. „Das Volkstheat­er ist das etwas Gröbere. Das ist eben nicht Florettfec­hten, das ist eher Säbelkampf. Aber unterhalte­n werden möchten die Leute immer noch.“

Theaterbeg­ründer Willy Millowitsc­h hatte einmal erklärt, wenn er nicht mehr wäre, würde das Haus „den Bach runtergehe­n“. Das aber hält seine Tochter für unfair. „Er war ja der Typ, der keinen König neben sich duldete. Ich bin mir aber nicht sicher, ob unser Vater mit dem Theater nicht auch in Schwierigk­eiten gekommen wäre. Das hätte ihm auch passieren können“, sagt die 62-Jährige. Die Entscheidu­ng ihres Bruders, jetzt einen Schlussstr­ich zu ziehen, kann sie nachvollzi­ehen, auch wenn sie es traurig findet. Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende, sagt sie. Dennoch seien für sie viele Erinnerung­en mit dem Haus verbunden.

Millowitsc­h, die sich früh von dem Theater gelöst hat und mit TVSerien wie „Nikola“und „Marie Brand“bekannt geworden ist, tröstet sich damit: „Ich habe gelesen, dass der Schriftzug ,Millowitsc­h’ hängen bleibt, und darüber freue ich mich sehr.“

 ?? FOTO: DPA ?? Peter Millowitsc­h in dem Theater, das er nach dem Tod seines Vaters Willy Millowitsc­h 1999 übernommen hat. Der 69-Jährige bleibt dem Haus, das als Volksbühne am Rudolfplat­z weiterbest­eht, aber als Schauspiel­er erhalten.
FOTO: DPA Peter Millowitsc­h in dem Theater, das er nach dem Tod seines Vaters Willy Millowitsc­h 1999 übernommen hat. Der 69-Jährige bleibt dem Haus, das als Volksbühne am Rudolfplat­z weiterbest­eht, aber als Schauspiel­er erhalten.
 ?? FOTO: TEUTOPRESS ?? Die Familie Millowitsc­h (v. l.) im Jahr 1985: Mariele mit Vater Willy Millowitsc­h, Barbie Millowitsc­h-Steinhaus und ihr Ehemann Peter Millowitsc­h.
FOTO: TEUTOPRESS Die Familie Millowitsc­h (v. l.) im Jahr 1985: Mariele mit Vater Willy Millowitsc­h, Barbie Millowitsc­h-Steinhaus und ihr Ehemann Peter Millowitsc­h.
 ?? FOTO: DPA ?? Willy Millowitsc­h (M.) mit Sohn Peter im Stück „Der Etappenhas­e“.
FOTO: DPA Willy Millowitsc­h (M.) mit Sohn Peter im Stück „Der Etappenhas­e“.

Newspapers in German

Newspapers from Germany