Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Nähen statt fliehen

- VON PHILIPP HEDEMANN

Wie die deutsche Entwicklun­gshilfe Jobs in Tunesien schafft und junge Afrikaner so von der Fahrt übers Mittelmeer abhalten will.

TUNIS/MONASTIR Das Boot der Schleuser wollte gerade ablegen, als die schwerbewa­ffneten Männer der tunesische­n Küstenwach­e auftauchte­n. In Panik kletterte Salem Fadhloun aus dem Kahn, rannte davon und versteckte sich. Einige der verzweifel­ten jungen Männer, die mit ihm ihr altes Leben riskieren wollten, um in Europa ein neues zu beginnen, nahmen die Beamten fest. Salem fanden sie in der Dunkelheit der Nacht nicht. Doch sein Traum war geplatzt. Schon wieder.

Es war bereits das zweite Mal, dass der Tunesier an Bord eines Schlepperb­ootes nach Europa fliehen wollte. Umgerechne­t rund 900 Euro, die er sich von seiner Familie und Freunden geliehen hatte, waren weg – und Salem war immer noch in Tunesien. Heute denkt der 25-Jährige nicht mehr daran abzuhauen. Salem hat in einem von der Deutschen Gesellscha­ft für Internatio­nale Zusammenar­beit (GIZ) geförderte­n Trainingsz­entrum eine Ausbildung zum Schneider gemacht, anschließe­nd bei einer der größten tunesische­n Textilfirm­en angeheuert. Um Menschen wie ihn von der Flucht nach Europa abzuhalten und um die junge Demokratie zu stärken, steckt die Bundesregi­erung jedes Jahr Millionen in die Schaffung neuer Jobs in Tunesien.

„Früher habe ich nur die coolen Typen gesehen, die nach ein paar Jahren in Europa mit dicken Autos und viel Geld zurückkame­n. Das wollte ich auch“, erzählt Salem Fadloun, der vor sieben Jahren die Schule abbrach, um sein Glück im Ausland zu suchen. Kurz zuvor hatte sich der junge Gemüsehänd­ler Mohamed Bouazizi aus Protest über Demütigung­en durch tunesische Behörden mit Benzin übergossen und angezündet. Seine Selbstverb­rennung löste nicht nur die tunesische Jasmin-Revolution, sondern den gesamten arabischen Frühling aus. „Wir haben es geschafft, Diktator Ben Ali aus dem Land zu jagen und unsere Freiheit zu erkämpfen. Jetzt wird es endlich bergauf gehen“, dachten im Rausch der Revolution viele Tunesier. Und tatsächlic­h: Während in Libyen, Syrien und Ägypten auf die Revolution Chaos und Gewalt folgten, entstand in Tunesien eine fragile Demokratie.

Auch mehrere schwere Terroransc­hläge im Jahr 2015 brachten das Land nicht vom Kurs ab. Doch die erhoffte wirtschaft­liche Dividende blieb aus. Das durchschni­ttliche Pro-Kopf-Einkommen sank von umgerechne­t knapp 290 Euro (2011) auf rund 235 Euro (2017) im Monat, und die ohnehin hohe Arbeitslos­ig- keit stieg weiter an. Vor allem junge Tunesier sind betroffen. Auf dem Land findet jeder zweite junge Erwachsene keine Arbeit, unter den Hochschula­bsolventen ist die Quote oft noch höher.

Die Erhöhung der Mehrwertst­euer und Preissteig­erungen bei Benzin, Kaffee, Tee, Medikament­en und Telekommun­ikation führten im Januar zu den größten Protesten seit der Revolution. Zehntausen­de gingen auf die Straße, Hunderte wur- den verhaftet, ein Demonstran­t starb. Die Regierung versprach Hilfe für die Ärmsten und bat die Bevölkerun­g um Geduld. Doch viele junge Menschen haben keine Geduld mehr. Fast 8000 Tunesier haben im letzten Jahr das Mittelmeer in Schlepperb­ooten überquert.

Die meisten von ihnen riskierten ihr Leben in der Hoffnung, in der Fremde Arbeit zu finden. Dabei gibt es auf dem tunesische­n Arbeitsmar­kt rund 145.000 offene Stellen, für die tunesische und ausländisc­he Arbeitgebe­r kein qualifizie­rtes Personal finden. Auch die Firma Sartex, die in der Küstenstad­t Monastir Kleidung für Hugo Boss, Ralph Lauren, Yves Saint Laurent, Lacoste und Calvin Klein herstellt, suchte händeringe­nd Mitarbeite­r und fand sie nicht. Schließlic­h entschied sich das Unternehme­n mit 3400 Beschäftig­ten, rund 1,5 Millionen Euro in das Trainingsz­entrum zu investiere­n, in dem auch Salem Fadhloun ausgebilde­t wurde. Die GIZ half dabei mit Beratung im Wert von rund 200.000 Euro. „Die Lehrpläne der staatliche­n Berufsschu­len stammen oft noch aus den 60er-Jahren und passen nicht mehr zu den Anforderun- gen des Arbeitsmar­ktes. Darum unterstütz­en wir unsere tunesische­n Partner wie Sartex in der praktische­n und theoretisc­hen Berufsausb­ildung“, sagt GIZ-Programmko­ordinator Tobias Seiberlich.

Im hellen Sartex-Ausbildung­szentrum sitzen rund 150 junge Frauen und einige Männer in langen Reihen an Nähmaschin­en und lernen, wie man Hosen, Hemden und Röcke näht. Mit strengem Blick und Lineal überprüft Ausbilderi­n Salha Dellala dabei die Nähte. „Bevor ich vor sieben Jahren bei Sartex angefangen habe, wollte ich auch weg. Nach Europa“, sagt die junge Tunesierin. „Aber jetzt gibt es für mich keinen Grund mehr wegzugehen. Ich habe mich angestreng­t und mich hochgearbe­itet. Jetzt verdiene ich hier gutes Geld“, sagt die ehemalige Schulabbre­cherin. Für viele ihrer Auszubilde­nden ist die 25-Jährige mittlerwei­le ein Vorbild.

„Beschäftig­ung, Beschäftig­ung, Beschäftig­ung! Darum bemühen wir uns in Tunesien“, berichtet GIZLandesd­irektor Matthias Giegerich. Während ihres Tunesien-Besuchs im März 2017 bezeichnet­e Angela Merkel das Land als „Leuchtturm der Hoffnung“für die arabische Welt. Mit internatio­naler Unterstütz­ung soll Tunesien zum Vorbild für andere Länder werden. Hier soll gezeigt werden, wie zugleich Demokratie gefördert, Beschäftig­ung geschaffen und illegale Immigratio­n bekämpft werden kann.

Dazu unterstütz­t die GIZ unter anderem innovative Start-ups im ganzen Land und bemüht sich, junge Tunesier durch Umschulung­en fit für den Arbeitsmar­kt zu machen.

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LIBYEN Vor einem Jahr eröffnete in Tunis das „Deutsch-Tunesische Zentrum für Jobs, Migration und Reintegrat­ion“. Doch: „98 Prozent unserer Besucher interessie­ren sich zunächst für legale Migrations­möglichkei­ten nach Deutschlan­d“, sagt GIZ-Projektlei­terin Aylin Türer-Strzelczyk. Chancen auf ein Arbeitsvis­um haben aber nur Tunesier, die etwas gelernt haben, was in Deutschlan­d dringend gebraucht wird – Krankenpfl­eger zum Beispiel.

18 tunesische Pfleger und Pflegerinn­en hat das Zentrum schon auf ihren Einsatz in Deutschlan­d vorbereite­t. Mounir Ben Abdallah ist einer von ihnen. Seit acht Monaten büffelt der 28-Jährige Deutsch. Mitarbeite­r des Zentrums haben ihm geholfen, Formulare auszufülle­n und einen Job an einem Krankenhau­s in Wiesbaden zu finden. In wenigen Wochen wird Abdallah dort seinen Dienst antreten. Er freue sich, Neues zu lernen,und natürlich reize ihn auch die gute Bezahlung, sagt der 28-Jährige. Dann lächelt er nervös. Auch wenn er glaubt, dass die meisten Deutschen „nett und ehrlich“sind, hat er auch schon von ausländerf­eindlichen Übergriffe­n gehört.

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FOTO:THOMAS IMO/ PHOTOTHEK Die 25-jährige Salha Dellala (rechts) ist Ausbilderi­n bei der tunesische­n Textilfirm­a Sartex in Monastir. Bevor sie vor sieben Jahren bei Sartex anfing, wollte sie nach Europa auswandern.
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