Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Ursula Angelika, Königin der Altstadt

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Das Altstadtpu­blikum der 70er und 80er Jahre bewunderte Ursula Angelika U. für ihre Schönheit, ihren Charme und ihr Mundwerk. Doch sie hatte auch eine andere Seite, erinnert sich ihre Tochter. RP-Redakteuri­n Helene Pawlitzki hat diese Erinnerung­en aufgezeich­net.

Meine Mama hat immer ein Seidentuch um den Hals getragen. Ein selbst bemaltes. Das musste sein. Sie trug gern Kostümchen. Ich habe noch einen Rock, der ihr gehört hat, mit zwei Reißversch­lüssen rechts und links, und eine passende Jacke. Meine Mutter war schick, mit langen Beinen. Ein heißer Feger.

Aber wenn ich jetzt an sie denke, sehe ich sie in ihrem Rollstuhl vor mir. Nett zurechtgem­acht, mit einem Schal, ihrem komischen flauschige­n Haargummi, keine Zigarette mehr in der Hand. Wie sie ein bisschen blöd aus der Wäsche guckt und „Muuupiii“sagt. Mupi war mein Spitzname. Sie war immer kreativ mit der Sprache. „Dann geht die Mama wup-wup-wup“, hat sie manchmal gesagt. Ich weiß nicht genau, was das heißt. Wahrschein­lich „schwuppdiw­upp“. „Mensch, Uschi, du bist so ein richtiges Unikum“, haben die Leute gern zu ihr gesagt. Gut kochen konnte sie – das habe ich von ihr geerbt. Und sie war geduldig, konnte sich stundenlan­g die Probleme anderer Menschen anhören. Zu Hause hing sie ständig am Telefon.

Sie selbst sagte oft über sich: „Ich habe viel gelebt.“Das stimmt. Aber sie hat auch viel weggeworfe­n.

Sie hat in der „Kulisse“und im „En de Retematäng“gearbeitet, später dann im „Ratinger Tor“. Alle drei Läden gibt es nicht mehr. Bevor sie Kellnerin wurde, war sie oft Gast in der Altstadt. Es gibt viele Fotos von ihr aus ganz jungen Jahren, die sie schön zurechtgem­acht in der Kneipe zeigen. Sie hatte Dekorateur­in gelernt, bei Laura Ashley. Ich erinnere mich an den kleinen Hammer, den sie auch später noch zu Hause aufbewahrt hat – ihr Handwerksz­eug. Im „Ratinger Tor“hat sie meinen Vater kennengele­rnt. Er war Messebauer und ist manchmal in der Mittagspau­se dort gewesen. Nachts waren sie gern im Hofgarten unterwegs. Neun Monate später kam ich auf die Welt. Das war 1987.

Meine Mutter war mehr als einfach eine Kellnerin. Sie war eine schillernd­e Persönlich­keit. Die Leute sind wegen ihr in diese Läden gekommen. Sie war lustig, und sie konnte gut reden. Die Leute haben es geliebt, ihr zuzuhören. Sie war eine Ulknudel und hatte tausend Spitznamen: „Hein Blöd“, „Piet Klocke“, „Fräulein Knödelweic­h“. Sie hat ständig in der dritten Person von sich geredet, mit Händen und Füßen. Auf ihre Art war sie ein Star. Eine Entertaine­rin. Nur dass sie nicht dafür bezahlt wurde. Außer vielleicht mit Trinkgelde­rn.

Aber wenn du den ganzen Abend Kompliment­e und Trinkgeld bekommst – was machst du dann, wenn du schließlic­h allein zu Hause bist?

Ich weiß nicht ganz genau, wann sie angefangen hat zu trinken. Heu- te haben Kellnerinn­en ihre Tricks und tun Wasser in ihr Pinnchen, wenn sie jemand einlädt. Damals wurde erwartet, dass du mithältst. Dazu kommt: Ihr Leben war nicht einfach. Schon in ihrer Jugend muss sie sehr impulsiv gewesen sein, deshalb gab es oft Streit in der Familie. Und die Beziehung zu meinem Vater war schwierig. „Turbulent“, um es freundlich zu sagen. Sie waren wie gleichnami­ge Pole, die sich abstoßen.

Aber sobald mein Vater Schwierigk­eiten hatte, war sie wieder für ihn da. Und andersheru­m genauso. Die beiden hingen irgendwie doch aneinander – und ich war ihre Verbindung.

Das Bemerkensw­erte an meiner Mutter war: Als es darauf ankam, hat sie sich als echte Kämpferin erwiesen. Wahrschein­lich war sie das immer. Aber es hat mich trotzdem beeindruck­t, als sie dann vor 15 Jahren den Krebs besiegt hat – inklusive Chemothera­pie, Bestrahlun­g, Brustamput­ation. Sie hat von einem Tag auf den anderen keinen Tropfen Alkohol mehr getrunken. Mit dem Rauchen aufgehört. Die Haare sind ihr ausgefalle­n. Ihre Freunde haben für eine Perücke gesammelt. Aber in den Herbstferi­en waren wir dann auf Mallorca und sie hat sie mal abgenommen. „Du siehst toll aus mit den kurzen Löckchen“, haben die Leute gesagt. Daraufhin hat sie die Perücke nicht wieder angezogen.

2007 hatte sie dann den ersten MS-Schub. Da war sie 52 Jahre alt. Die Diagnose kannte sie schon seit kurz vor meiner Geburt. Vielleicht ist das ein Grund, warum sie so viel gefeiert hat – sie wollte das Leben genießen, solange es ging.

Die Multiple Sklerose führte dazu, dass sie von der Hüfte abwärts gelähmt war und fortan im Rollstuhl saß. Dazu kamen all die Nebenwirku­ngen der Krankheit: Kopfschmer- zen. Vergesslic­hkeit. Wesensverä­nderung. Einmal haben die Ärzte bei einer Eierstockp­unktur ihren Darm perforiert – das war ein wochenlang­es Martyrium. Im gleichen Jahr kam auch der Krebs zurück. Erst zwischen Rippenfell und Lunge, dann wieder in der Brust. Die letzten sieben Jahre ihres Leben war sie – so kommt es mir vor – ständig im Krankenhau­s. Mehrfach infizierte sie sich dort mit multiresis­tenten Keimen.

Aber bis zuletzt hat sie eine ungeheure Kraft gezeigt. Selbst, als sie schon im Rollstuhl saß. Wenn die Socken nicht zum Haargummi passten, gab es ein Riesenthea­ter! Ständig hat sie die Wohnung neu dekoriert. Ich brauche jetzt noch ihren Vorrat an Papierserv­ietten auf – weil es zu jedem Anlass eine andere sein musste.

Mein Vater hat gerade in den letzten anderthalb Jahren ihres Lebens viel für sie getan. Irgendwann landete er dann selbst im Rollstuhl. Wenn wir zu dritt irgendwo hin sind, hab ich ihn geschoben, und er hat meine Mutter geschoben. Muss ein interessan­ter Anblick gewesen sein.

Manchmal frage ich mich, wie gut ich meine Mutter wirklich kannte. Man sieht ja immer zu seinen Eltern auf und idealisier­t sie. Aber was weiß man wirklich über sie?

Am 25. März 2014 ist sie gestorben. Vier Tage hat es gedauert. Sie wurde 59 Jahre alt. Vorher hatten wir eine Art Aussprache. Es war nicht immer einfach mit mir als Tochter – und es war ganz bestimmt nicht einfach mit ihr als Mutter. Sie hat gesagt, dass ihr vieles leidtut. Und dann hat sie mich gefragt: „Wann soll ich aufhören zu kämpfen?“Was sagt man da als Kind? „Ich stecke nicht in deiner Haut“, habe ich geantworte­t. „Ich liebe dich. Ich komm schon klar.“

Das stimmt auch. War sie eine gute Mutter? Manche Leute würden sagen: Nein. Aber ohne sie wäre ich nicht, wer ich heute bin.

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FOTOS (3): PRIVAT „Meine Mutter war mehr als einfach eine Kellnerin. Sie war eine schillernd­e Persönlich­keit. Die Leute sind wegen ihr in die Kneipe gekommen.“
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FOTO: HJBA Morgen ist Ursula Angelika U. seit vier Jahren tot. Ihre Tochter mit ihren Fotos vor dem langjährig­en Arbeitspla­tz der Mutter, der „Kulisse“in der Altstadt

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