Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Abiturient­en feiern den letzten Schultag

- VON HELENE PAWLITZKI UND LAURA KURTZ

Mit dem Abistreich endete gestern an vielen Gymnasien die Mottowoche. Ein letztes Mal wurde gefeiert, bevor es in die Prüfungen geht.

„Alle Schüler und Lehrer bitte in die Aula kommen“, dröhnt es, verfremdet als Lied, in Dauerschle­ife aus einer großen Box. Am Leibniz-Montessori-Gymnasium haben die Abiturient­en den Schulhof mit Absperrbän­dern zur Baustelle umgebaut. Mit Besen und Masken ausgerüste­t, sorgen sie dafür, dass sich kein flüchtiger Lehrer verirrt.

Es ist fast alles erlaubt an diesem Tag, der Kreativitä­t der Abiturient­en sind keine Grenzen gesetzt. Beim Abistreich bestimmen sie, was an der Schule passiert. Nur bei Gewalt und Alkohol hört der Spaß auf. Obwohl die Abi-Prüfungen noch bevorstehe­n, dürfen die Abiturient­en an den meisten Düsseldorf­er Gymnasien ihren letzten regulären Schultag mit Musik, Spielen und Streichen feiern.

Am Leibniz-Gymnasium geht es mit „Dschungels­pielen“weiter (passend zum Abimotto „AB In die Wildnis – endlich frei!“), angefangen mit der „Ekel-Challenge“zwischen zwei Lehrern. Die Auserloste­n müssen als Strafe für falsch beantworte­te Fragen einen Mix aus Nutella, Mayonnaise und Bärlauchqu­ark trinken – was sie widerstreb­end, aber brav über sich ergehen lassen.

Originell geht es am St.-UrsulaGymn­asium zu. Dank fleißiger Vorarbeit der Abiturient­en ist die Schule zur ersten Stunde kaum wiederzuer­kennen: mit Luftballon­s und Klopapier geschmückt, mehrere Türen mit Schnee verbarrika­diert, Bauzäune dienen als Absperrung. Die Fenster sind mit alten Heften

In dieser Stadt kann man hautnah miterleben, wie sich der Einzelhand­el aufgrund des Onlinehand­els verändert. Den Kunden scheint ihre eigene Rolle nicht bewusst zu sein.

Es ist ein vertrautes Ritual: Da schließt ein seit Jahrzehnte­n bekanntes Geschäft, und sofort melden sich viele, die das so sehr bedauerlic­h finden. Nostalgisc­he Gefühle kommen hoch, nette Kindheitse­rlebnisse werden erzählt. Zuletzt erlebten wir das bei Hennig am Schadowpla­tz. Für alteingese­ssene Düsseldorf­er war Hennig das Synonym für Schreibwar­en – Füller, hochwertig­e Stifte, Zeichen- und Malbedarf, Briefumsch­läge, Büro-Artikel, Kalender, Notizbüche­r: Wer irgendwas aus diesem Bereich suchte, der fand es dort garantiert. Zusammen mit einer kompetente­n Beratung von Mitarbeite­rn, die sich im Metier auskannten. Nun verkündete der Inhaber, er werde demnächst schließen. Die Dauerbaust­elle Kö-Bogen und Wehrhahnli­nie, seit über einem Jahrzehnt direkt vor seiner Ladentür, habe dem Geschäft den Todesstoß versetzt.

Das ist sicher richtig. Aber wären die Kunden ihm treu geblieben wie einst, hätte das Fachgeschä­ft überleben können. Nun klagen zwar alle, wie sehr man das besondere Angebot vermissen werde und welche Lücke der Weggang dieser alten Düsseldorf­er Marke reiße – aber ehrlicherw­eise müssten alle diese Menschen über ihr eigenes Einkaufsve­rhalten nachdenken. Wer nutzt denn noch Kalender, kauft Briefpapie­r oder -umschläge und Ähnliches im Fachhandel? Der inzwischen übliche Reflex der meisten ist das kurze Anklicken auf PC, Laptop oder Smartphone der entspreche­nden Einkaufsse­iten und ratzfatz wird dort bestellt, was man braucht. Natürlich nicht ohne vorher die verschiede­nen Anbieter verglichen und den preisgünst­igsten gewählt zu haben.

Wenn man dann mal was Ausgefalle­nes will, die gute Beratung wünscht oder das haptische Erlebnis, verschiede­ne Papierqual­itäten und -farben buchstäbli­ch erleben zu können, dann ist man zu Hennig gegangen und hat sich gefreut über das besondere Einkaufser­lebnis. Dass ein solcher Laden aber von solchen sporadisch­en Besuchen nicht leben kann, sondern aufs Brot-undButter-Geschäft auch mit den einfachen Dingen angewiesen ist, darüber denken die meisten nicht nach. Beziehungs­weise sie tun es vermutlich erst jetzt, wo es zu spät ist und der betroffene Händler die Segel streicht.

Beim Buchhandel Sternverla­g an der Friedrichs­traße dürfte es ähnlich gewesen sein, und andere Einzelhänd­ler erleben das täglich: Man schätzt ihr Angebot, die Beratung und das Erlebnis, dort einzukaufe­n, aber surft dann doch im Internet nach den gewünschte­n Produkten. Die Folgen kennen wir alle, und diese Entwicklun­g ist noch längst nicht zu Ende. Nicht alle Geschäfte sind betroffen, aber vermutlich mehr, als wir heute ahnen. Ändern werden wir das nicht, dazu ist die Konkurrenz im Netz zu groß und preislich unschlagba­r – so funktionie­rt der Markt.

Neu ist eine solche Entwicklun­g übrigens nicht. Es hat sie, allerdings aufgrund anderer Vorzeichen, schon immer gegeben. Vor allem auch in einer Einkaufsst­adt wie Düsseldorf. Es ist einige Jahre her, da gab es auf der Bolkerstra­ße eine kleine Tierhandlu­ng und einen Lebensmitt­elladen. Alle weg. Früher waren winzige Mode-Boutiquen wesentlich­er Bestandtei­l der Altstadt, Herrenauss­tatter auf der Kö und der Schadowstr­aße scheinbar unerschütt­erliche Adressen für modebewuss­te Frauen wie Männer. Dann kamen die Großen wie Peek & Cloppenbur­g oder Ansons und drängten diese Geschäfte aus dem Markt. Franzen auf der Kö, einst Top-Adresse für feines Glas und Porzellan, überlebt heute nur als breit aufgestell­tes Luxus-Kaufhaus, denn die Neigung hin zu lebenslang genutzten Tellern, Tassen und Terrinen ist vorbei. Ikea lässt grüßen, auch online. Die Veränderun­g im Einzelhand­el ist eine beständige. Amazon und Co haben den Prozess nur beschleuni­gt. Allerdings verursache­n sie einen nervigen Kollateral­schaden: Die Paketliefe­rwagen schaffen völlig neue Verkehrspr­obleme, wenn sie in zweiter Reihe parken. Das jedoch nutzen viele aus, und stellen ihre Wagen dahinter ab – ebenfalls in zweiter Reihe parkend, um noch schnell was zu besorgen. Und davon wiederum profitiere­n dann andere Einzelhänd­ler. und Klausuren zugeklebt. Ein Moderator führt durch das selbst kreierte Riesen-Monopoly. Beim Dosenwerfe­n, Wett-Exen oder im Boxring treten Schüler und Abiturient­en gegen Lehrer an. „Leider mussten wir die Musik irgendwann ausmachen, weil das Ordnungsam­t kam“, sagt Luca Brablec, einer der Abiturient­en.

Am Luisen-Gymnasium steht ein Tanzwettbe­werb auf dem Programm: Den liefert sich ein gutmütiger Deutschleh­rer mit einem als Beduinensc­heich gewandeten 18Jährigen, der ordentlich vorlegt, aber am Ende dem Lehrer den Jubel überlässt. Progressiv wird es, als ein zweiter Deutschleh­rer zum Wettbewerb herausgefo­rdert wird. Zu HipHop-Klängen legen die beiden Lehrer nämlich zunächst eine Art Discofox aufs Parkett, bevor der eine dem anderen kokett den Schal vom Hals zieht und durch die Luft wirbelt. Einige Jungs aus der siebten Klasse finden das sichtbar peinlich; der Rest des Schulhofs feiert die mutigen Lehrer.

Nach mehreren Jahren Verbot durfte das Humboldt-Gymnasium auch wieder einen Abistreich machen. „Zu lange weg, jetzt ist er back!“steht auf einem Banner. Party-Musik schallt über den Schulhof, während sich Schüler und Lehrer beim Wettlauf gegeneinan­der beweisen – kein Leichtes, wenn ein Bein an das des Partners gebunden ist. In ohrenbetäu­bender Lautstärke feuern die Zuschauer ihre Mitschüler an. Besonders groß ist die Freude, wenn ein Lehrer-Paar stürzt. Die nehmen es aber mit Humor – viel anderes bleibt ihnen an diesem besonderen Tag auch nicht übrig.

Um Läden trauern, aber bei Amazon kaufen

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FOTO: LAURA KURTZ Unter dem Motto „Kabitän Blaubär – immer blau, trotzdem schlau“feierten die Abiturient­en am Humboldt-Gymnasium den Abistreich.
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RP-FOTO: JANA BAUCH Immer mehr wird im Internet bestellt, alteingese­ssene Geschäfts schließen, Pa- ketwagen verstopfen die Straßen und parken falsch.

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