Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Zuckerguss und Kraftmeierei
Der französische Pianist Lucas Debargue gab ein Konzert im Robert-Schumann-Saal.
Lucas Debargue ist ganz bei sich. Ein wenig scheu setzt er sich an den Flügel, spürt ausgiebig der vorderen Kante des Klavierhockers nach, wartet mit etlichen Anläufen lange bis zum ersten Ton. Dieser Beginn verrät, wie introvertiert er seine Kunst ausübt.
Debargue ist einer der neuen Sterne am Pianistenhimmel, mit dem Klavierfestival Ruhr kommt ein 27-Jähriger in den Schumann-Saal, der eine ganz andere Biografie mitbringt als all die anderen. Spät, mit elf, hat der Franzose zu üben begonnen, erst mal in der Band gespielt, rumgejazzt, Literatur studiert, bevor er die richtige Lehrerin fand, beim Tschaikowski-Wettbewerb 2015 „nur“den vierten Platz, aber die Herzen der Kritiker und die Gunst des einflussreichen Dirigenten Valery Gergiev gewann. Jetzt ist Debargue zum zweiten Mal beim Festival, der Saal ist ziemlich voll, das Programm rein polnisch. Chopin, Szymanowski. Dicke Brocken.
Diese zweite Szymanowski-Sonate von 1911 ist das Werk eines Wahnsinnigen, der in Zeiten, die die Weltkriegskatastrophe vorausahnen, zwischen Wiener Atonalität und französischem Impressionismus einen polnischen Sonderweg einschlug. Die Musik hämmert, ja drischt auf alle Konvention ein, der Flügel birst beinahe, die Arme des Pianisten müssten eigentlich erlahmen – hieße er nicht Debargue.
Der schafft sich in den atemberaubenden Stakkato- und vollhändigen Weitsprung-Exzessen offenbar immer wieder Mikro-Erholungspunkte, die ihn zu neuen Großtaten befähigen. Die finale Fuge ist ein Unding, und dennoch hämmert der fein- und langgliedrige Franzose das Thema aus jedem noch so verwirrenden Dickicht hervor. Dabei zaubern seine Pranken zwischendurch auch allerfeinstes Flimmern, Klingeln, Zuckerguss, ehe sie sich wieder ins Getümmel stürzen.
Chopin vor der Pause ist eine andere Welt. Die „Heroique“eröffnet schon in den ersten Takten extreme dynamische Differenzierungen, aus denen sich das folkloristische Thema in großer Pracht herausschält. Obwohl Debargue viel wagt, eigent- lich den ganzen Abend über, wirkt gerade diese As-Dur-Polonaise verhalten, noch von oben herab und am wenigsten mit dem Herzen musiziert. Irgendwie aus Stein gemeißelt nimmt sie ihren Lauf, fasziniert mit den Mittelteil-Stakkati, ringt sich dem Ende zu.
Doch schon die späte Fis-DurBarcarolle lässt Debussy aus dem Steinway zwinkern, zaubert Sonnenstrahlen über die zunächst sanften Wellenberge. Nach dem zweiten Scherzo op. 31 ist das Eis gebrochen, erste Bravi ertönen, die nach dem Schwesterwerk mit seinen dramatischen Ausbrüchen rund um den Wiegenlied-Mittelteil Jubel werden.
Drei Zugaben ringt das Publikum dem Star des Abends ab, eine erquickend süße Melodie von Milosz Magin: „Nostalgie du Pays“, Faurés „Barcarolle Nr.4“und eine kecke Scarlatti-Sonate. Lucas Debargue macht Spaß. Im November kommt er dann in die Tonhalle.