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Spiel mit dem Hakenkreuz
Ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus kommt um dessen Symbolik nicht herum. Nur für Spiele gilt das nicht.
DÜSSELDORF Kunst darf es, Satire darf es, Bücher und Fernsehen dürfen es – Hakenkreuze verwenden. Niemand würde deswegen „Schindlers Liste“verbieten. Oder eine der unzähligen Weltkriegsdokumentationen, weil sie Originaldokumente zeigen. Verwendet ein Computerspiel hingegen die gleichen Dokumente und übt die gleiche Kritik am Nationalsozialismus, dürfte es in Deutschland dennoch nicht erscheinen. Woran liegt das?
Paragraf 86 des Strafgesetzbuchs verbietet die Verwendung verfassungsfeindlicher Kennzeichen. Er erlaubt sie aber, wenn die Darstellung der Lehre, Kunst oder Berichterstattung dient. Ohne diese Ausnahmen dürften die Nachrichten beispielsweise keine Bilder einer rechten Demonstration zeigen, bei der entsprechende Flaggen wehen. Auch wenn das Tragen dieser Flaggen gegen das Gesetz verstößt, tut es die Berichterstattung nicht. Der Gesetzgeber nennt dies Sozialadäquanz. In bestimmten Fällen ist es adäquat, etwas Verbotenes zu tun.
Für Computerspiele gelten diese Ausnahmen jedoch nicht, obwohl sie bereits seit 2008 als Kulturgut anerkannt sind. Damals basierte die Anerkennung noch deutlich mehr auf dem Unterhaltungswert. Inzwischen gibt es aber immer mehr Entwickler, die Videospiele historisch korrekt und aufklärend einsetzen. Sogenannte „serious games“, also ernsthafte Spiele, haben nicht länger die Unterhaltung des Spielers zum Ziel, oder zumindest nicht ausschließlich.
Aktuelles Beispiel: „Attentat 1942“, benannt nach dem Attentat auf den stellvertretenden Reichsprotektor Böhmen/Mähren, Rheinhard Heydrich. Inhalt des Spiels: Die anschließenden Vergeltungsmaßnahmen in der damaligen Tschechoslowakei – aus Sicht der Opfer. Eingeflossen in das Spiel sind zahlreiche Zeitzeugenaussagen und natürlich Originaldokumente. Entwickelt wurde das Spiel an der Prager Karls-Universität und der tschechischen Akademie der Wissenschaften. Im Spiel muss der Spieler unter anderem unter Zeitdruck sein Zimmer nach verdächtigen Gegenständen absuchen – denn die SS klopft an die Tür. Der Spaß steht hier eher nicht im Vordergrund.
Damit Computerspiele in Deutschland in den Handel kommen, müssen sie die Alterseinstufung der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) durchlaufen. Damit die USK ein Spiel aber überhaupt prüft, muss der Einreichende schriftlich versichern, dass sein Werk keine verfassungsfeindlichen Kennzeichen enthält. Andernfalls wird sein Spiel gar nicht erst geprüft. Theoretisch könnte er es auch ohne Prüfung in den Handel bringen. Sollte das Spiel dann aber strafrechtlich Relevantes enthalten, würde sich auch der Händler strafbar machen. Verständlich, dass dieser Spiele ohne das Siegel der USK nicht vertreibt.
„Attentat 1942“darf von der USK also nicht geprüft werden. Auf der Kunstausstellung A.Maze im April dieses Jahres räumte es einen der Hauptpreise als „most amazing game“ab, durfte aber nur als Trailer gezeigt werden. Wolfgang Walk, langjähriger Spieldesigner und Dozent im Bereich Gamedesign, fasst in seiner monatlichen Kolumne im „Gamespodcast“zusammen: „Ein Spiel, das sich mit dem Faschismus aus Sicht der Opfer beschäftigt, darf in Deutschland, dem Land der Täter, auf einer Kunstausstellung nicht spielbar gezeigt werden.“Dass das Spiel von der USK nicht angenom- men werden darf, sei eine blanke Verhöhnung der Opfer deutscher Gewaltherrschaft.
Die USK verteidigt ihr Vorgehen damit, dass sie Teil der öffentlichen Verwaltung ist und Gerichte unabhängig von dieser entscheiden. Also selbst wenn die USK eine Alterskennzeichnung vergebe, könne ein Gericht anders urteilen. Das Risiko für Entwickler und Händler bliebe bestehen. „Klarheit und Lösung des Problems könnte ein rechtlich gleichwertiges Urteil herbeiführen, welches ein Verwenden verfassungswidriger Kennzeichen in engen Grenzen zulassen würde“, heißt es dazu von der USK.
Doch für eine solche, höchstrichterliche Klarstellung müsste es laut Walk mindestens bis zum Bundesgerichtshof gehen, besser noch zum Bundesverfassungsgericht. „Und für die [Klarstellung] müssten dann Entwickler nicht nur einen wirtschaftlichen Schaden riskieren, sondern eventuell sogar eine strafrechtliche Verurteilung“, sagt Walk.
Denn wie schon erklärt, würde es nicht reichen, das Spiel mitsamt verbotener Symbolik der USK vorzulegen, die Ablehnung zu kassieren und dagegen dann eine Verwaltungsklage anzustrengen. Der Entwickler müsste schon ein Spiel mitsamt verbotener Kennzeichen veröffentlichen, in der Erwartung, dass die obersten Landesjugendbehörden daraufhin Klage erheben, und um im anschließenden Gerichtsverfahren durch alle Instanzen zu gehen. Welcher halbwegs wirtschaftlich orientierte Hersteller würde das wollen?
Felix Falk, Geschäftsführer des Game, dem Verband der deutschen Games-Branche, ist sich der Problematik bewusst. „In einem AnneFrank-Spiel sollte der Kontext originalgetreu wiedergegeben werden können“, sagt Falk. Dafür brauche es eine Einzelabwägung von Spiel zu Spiel. Die Unterstützung eines Gerichtsverfahrens könne er sich vorstellen, doch leider sei so etwas lang und teuer. Besser sei es, wenn sich die Rechtsauffassung der Behörden ändere, also der obersten Landesjugendbehörden. Der Game sei schon längere Zeit im Austausch mit diesen. Die faire Anerkennung des Mediums sei aber gerade bei diesem Aspekt ein sensibles Thema. „Das gehört nicht auf die große öffentliche Bühne“, sagt Falk. Im Fall von „Attentat 1942“aber hätte sich der Game klar und öffentlich positionieren müssen, findet Wolfgang Walk. „Schon allein wegen der verheerenden Außenwirkung der Entscheidung, ganz unabhängig von der Notwendigkeit, das Spiel anderen Kunstformen rechtlich gleichzustellen.“
Für Aufsehen sorgte Anfang Mai eine Entscheidung der Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart, keine Ermittlungen gegen das Computerspiel „Bundesfighter II Turbo“aufzunehmen. Das Spiel erschien bereits zur letzten Bundestagswahl und zeigt eine Spielfigur, die Alexander Gauland ähnelt und die für einen Spezialangriff Arme und Beine zum Hakenkreuz anwinkelt. Dadurch, dass das Spiel kostenlos und nur im Internet verfügbar ist, braucht es keine Alterseinstufung der USK. Dieser müssen nämlich nur Trägermedien vorgelegt werden. Geklagt hatte der Verband für Deutschlands Video- und Computerspieler (VDVC) – nicht, um das Spiel zu verbieten, sondern um genau jene höchstrichterliche Entscheidung herauszufordern. Doch die Staatsanwaltschaft und, nach Beschwerde, auch die Generalstaatsanwaltschaft lehnten ab. Die gültige Rechtsprechung von 1998 sei überholt. „Die Veröffentlichung diene nach Auffassung der Staatsanwaltschaft eindeutig ,sowohl der Kunst als auch der staatsbürgerlichen Aufklärung’“, beschreibt der VDVC das Ergebnis.
Die obersten Landesjugendbehörden in NRW zeigen sich noch unbeeindruckt: Die Entscheidung der Generalstaatsanwaltschaft ändere nichts an der grundsätzlichen Strafbarkeit. „Eine Unterscheidung nach sogenannten „serious games“und Spielen, die ausschließlich der Unterhaltung dienen sollen, wird nicht vorgenommen. Die Entscheidung [...] zum Browserspiel ,Bundesfighter II Turbo’, die kein Gerichtsurteil darstellt, wird zur Zeit fachlich und rechtlich ausgewertet.“