Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Am grünen Rand der Welt
Auf dem Salzburger Kapuzinerberg verbrachte der Schriftsteller Stefan Zweig 15 produktive Jahre, bis die Machtergreifung der Nazis in Deutschland das Idyll jäh beendete.
Auch an hellen Sommertagen liegt die steile Nordostseite des Kapuzinerbergs in tiefem Schatten. Nicht nur das Klima ist alpin, auch Vegetation und Fauna. Sogar eine kleine Gamsherde fühlt sich hier wohl. 636 Meter hoch ist Salzburgs Hausberg, und obwohl die Stadt auf 400 Metern liegt, ist der StefanZweig-Weg steil. Das Schlösschen aus dem 17. Jahrhundert, das der Schriftsteller 1917 kaufte, liegt kurz vor dem Kapuzinerkloster. 1919 bezogen er, seine zukünftige Frau Friderike von Winternitz und deren Töchter aus erster Ehe das Paschinger Schlössl.
Der Weg auf den Berg war unbeleuchtet, was zur Häuslichkeit beitrug. Der Aufstieg bremste Besuche; im Winter machten Schnee und Eis sie oft unmöglich. Thomas Mann, Arthur Schnitzler, Franz Werfel, H.G. Wells und James Joyce waren nur einige der Kollegen, die es dennoch hinaufschafften. Auch Stefan Zweig mutete sich den Weg zu; ihn lockten die Kaffeehäuser. Das Café Mozart in der Getreidegasse gehörte zu seinen bevorzugten Adressen. Auch heute kann man hier bei einer Melange Zeitung lesen oder Schach spielen, wie Zweig es gerne tat.
Im Schlösschen richtete er sich eine Bibliothek ein – und er schrieb. Neben Novellen, Essays und Dramen verfasste er hier die unsterblichen „Sternstunden der Menschheit“und die Biografie Marie Antoinettes. Zweig war einer der meistgelesenen Autoren seiner Zeit. Mit der Machtergreifung der Nazis fanden die produktiven Salzburger Jahre ein jähes Ende. Denn Stefan Zweig war nicht nur Pazifist, er war auch Jude.
Dass er Hitlers Domizil auf dem Obersalzberg von seinem Haus aus sehen konnte, wie er gelegentlich schrieb, war dichterische Überspitzung; die geografische Nähe eignete sich aber auch ohne Blickkontakt für intensives Unbehagen. Nachdem er im Februar 1934 Besuch von der Polizei bekommen hatte, floh er nach England. Im April 1938 wurden seine Bücher in Salzburg verbrannt; in Deutschland hatte er es schon 1935 auf die Liste verbotener Autoren geschafft. 1940 ging er mit seiner zweiten Frau Charlotte Altmann nach Brasilien. Im Februar 1942, als der Sieg Nazi-Deutschlands unaufhaltsam schien, nahmen beide sich in Petrópolis das Leben.
Das Schlösschen hatten die Zweigs 1937 an eine Salzburger Familie verkauft, der es noch heute gehört. Zu besichtigen ist es nicht. Die Bewohner verspüren keine Lust, ihren Garten mit Zweig-Pilgern zu teilen. Bergflaneure können daher nur durch einen Zaun auf das literarisch so bedeutsame Schlösschen blicken. An Zweig, Friederike und die Töchter erinnern heute vier Stolpersteine im Boden vor dem Anwesen. An den Mauern des Kapuzinerklosters gegenüber prangt zudem eine von Josef Zenzmaier gefertigte Büste des Schriftstellers. Aber erst seit 1981. Deutlich kleiner als das Mozart-Denkmal ein paar Schritte weiter ist sie außerdem. Womöglich ist es leichter, sich eines Genies aus dem 18. Jahrhundert zu erinnern als eines noch so erfolgreichen Schriftstellers, den sein Land vor wenigen Generationen nicht zu schützen vermochte. Auch das Sträßchen, das über den Berg führt, heißt Kapuzinerberg – das Schild mit der Aufschrift „Stefan-ZweigWeg“ist nur schmückende Dreingabe.
Am nächsten kommen Urlauber Zweig über der Stadt: auf dem Mönchberg auf der anderen Seite der Salzach. Ein halbstündiger Spaziergang führt den Kapuzinerberg hinab, über die Staatsbrücke und durch die Altstadt bis zur Clemens-Holzmeister-Stiege. Auf dem Mönchberg wurde 2008 das Stefan Zweig-Zentrum gegründet. Briefe, Fotos, eine schwere Schreibmaschine und Ausgaben seiner Werke sind hier zu sehen; in fünf Kapiteln beleuchtet die Ausstellung Zweigs Leben. Sein Schicksal wird nicht als isoliertes historisches Ereignis betrachtet: „Auch Stefan Zweig war ein Flüchtling, auch er war Opfer einer aggressiven Hetze“, erklärt Direktor Klemens Renoldner: „Dass man in reichen Ländern heute mit Hetze gegen Flüchtlinge Wahlen gewinnen kann, schreit zum Himmel.“Was Zweig 1942 in seinen Erinnerungen „Die Welt von Gestern“schrieb, eignet sich auch Jahrzehnte später als Rüstzeug für Debatten über Obergrenzen. Einzig die Perspektive hat sich geändert: „Woche für Woche,
Monat für Monat kamen immer mehr Flüchtlinge, und immer waren sie noch ärmer und verstörter als die vor ihnen gekommenen.“
Die Redaktion wurde von der Salzburg Information zu der Reise eingeladen.