Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Tänzer entwerfen eine bessere Welt
Beim neuen Abend des Ballett am Rhein sind drei Uraufführungen zu erleben, die in unterschiedlicher Spielart utopische Räume schaffen. Darin siegt Zutrauen über Imponiergehabe.
DÜSSELDORF Zwei Männer trainieren. Sie lehnen ihre Körper gegeneinander, üben Druck und Gegendruck, friedfertig, zutraulich, zärtlich. Irgendwann wagt einer einen eleganten Sprung, der andere stützt ihn, zwischen beiden herrschen Nähe und Verlässlichkeit. Als dann zwielichtig flirrend die Musik einsetzt, im Halbrund aufgestellte Spiegeltüren im tief einfallenden Scheinwerferlicht ihr Spiel mit Glanz und Blendung beginnen, sind die Männer fast nackt. Nun tanzen sie im weichen Fluss, die trainierten Bewegungen kehren wieder. Die neue Welt, die an diesem Abend geboren wird, gründet in Vertrauen.
„New World“hat der junge kanadische Choreograf Robert Binet seine erste Arbeit für das Ballett am Rhein genannt. Und tatsächlich wird zur vielschichtigen Streichmusik des Amerikaners Nico Muhly am Beginn des Ballettabends „b.37“ein Kosmos entstehen. Die Tänzer tragen erdfarbene Kostüme, bewegen sich durch ein Halbdunkel, das immer wieder von gleißendem Licht durchbrochen wird. Mal sind ihre Bewegungen athletisch, aus dem Lauf entwickelt, dann wieder nutzen sie die Sprache des klassischen Balletts, zeigen raffinierte Figuren, blitzschnelle Pirouetten. Dazu senkt sich sehr langsam ein Halbrund aus dem Bühnenhimmel, das ganz mit einem weißen, fluffigen Material überzogen ist. Hier und da schaut Blattwerk aus diesem Gebilde, das Wolke und Himmelsgestirn zugleich ist und in seiner langsamen, stetigen Bewegung eine wunderbare Ruhe über die Szenerie legt. Während sich unten Kreaturen über die Sprache ihrer Körper verständigen. Die Geschlechter spielen keine Rolle in dieser utopischen Welt. Mal tanzen Männer mit Frauen in schillernden Ganzkörperanzügen, die auch ihr Haar bedecken, mal Männer mit Männern. Immer geht es um gelingendes Miteinander. Manchmal erinnert das Halbrund vor den Spiegeln auch an eine griechische Arena, in der eine Tänzerin unbeirrbar wie eine Schamanin eine Kreisbahn abschreitet. Später wird die in ihrer Strenge berührende Yuko Kato mit Cassie Martin ähnliche, aus Kraft und Balance entwickelte Figuren tanzen wie die beiden Männer zu Beginn. So schließen sich die Kreise in der heraufdämmernden Welt.
Und vielleicht muss man so jung sein wie der 27-jährige Robert Binet, um mit so viel Zutrauen zur Menschheit eine Welt des gegenseitigen Respekts zu schaffen. Vielleicht auch ganz Kind einer Zeit, in der Machtmenschen lautstark das Recht des Stärkeren für sich reklamieren, und der Kunst die Aufgabe bleibt, Gegenwelten zu schaffen. Binet gelingt es, den Zuschauer in seine Schöpfung hineinzuziehen, ihn miterleben zu lassen, wie es auch sein könnte, in einer Welt der Zutraulichkeit und des Respekts, die man gar nicht wieder verlassen möchte.
Erstaunlich, wie gut sich die zweite Uraufführung des Abends an diese Schöpfungsgeschichte anfügt. Natalia Horecna aus der Slowakei erzählt in „The Way Ever Lasting“von einem Paar, das sich auseinandertreiben lässt. Ein Kuss bleibt unvollendet, schwarze Gedanken werfen sich dazwischen. Sie werden verkörpert von dem ungemein geschmeidigen Eric White im schwarzen Teufelsanzug. Und von drei Tänzerinnen, die voller Temperament die Liebenden Ann-Kathrin Adam und Marcos Menha auf Abwege führen. Horecna erzählt mit weisem Witz, überaus klar, aber niemals plakativ. Dazu erklingt wie schon im ersten Teil leicht zugängliche, zeitgenössische Musik, die Atmosphären setzt und von Streichern der Düsseldorfer Symphoniker und Solisten filigran und doch leidenschaftlich dargeboten wird. Bis Horecna ihren beiden Liebenden zur wohlgeordneten Musik Bachs doch Erlösung schenkt – vorübergehend.
Das Finale dieses erzählerisch starken Abends gehört dem Co-Direktor des Balletts am Rhein, der zur düster schwelgerischen 6. Sinfonie von Bohuslav Martinu üppige Fantasien aufblühen lässt. Man spürt die Freude von Remus Sucheana an seiner Compagnie, wenn er über weite Teile viele Tänzer auf der Bühne hält und in immer neuen symmetrischen Formationen gruppiert. Zentrales Element des Bühnenbildes von Mylla Ek ist ein riesiger weißer Wegweiser ohne Beschriftung, der sich im Laufe des Stücks um sich selbst dreht. Im freien Raum der Fantasie ist die Richtung nie vorgegeben, der Künstler darf tasten.
Allerdings gönnt sich Sucheana genau diese Momente der Spannung und Irritation nicht, seine Choreografie ist in ihrem Umgang mit Symmetrie und Synchronität zu erwartbar. Dazu hat Ek zwar hinreißende Kostüme entworfen, doch spiegeln diese nur die Üppigkeit der Musik, da fehlen die Brüche, überbieten sich die Reize, ersticken die Freiheit der Fantasie. Doch ist „b.37“ein überraschend zuversichtlicher Abend, der Tendenzen der Verrohung den Feinsinn der Kunst entgegenstellt.