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Cambridge 5 – Zeit der Verräter
Es war auch ein guter Ansatz für Arnold Deutsch. Bei seiner Rekrutierung spezialisierte er sich auf idealistische junge Männer, die sich - wie wohl alle jungen Männer zeit- und generationenübergreifend – nach einer gerechteren Welt und nach freier Liebe sehnten (wobei die Rangordnung von Fall zu Fall variierte).
Wie perfekt er Schwächen erkannte und nutzte, zeigte sich unter anderem an den Codenamen, die er seinen Spionen gab. Anders als seine eigenen Decknamen „Stephan“und „Otto“entbehrten sie jeder Ironie. Deutsch stellte den berühmten Shakespeare-Satz „Was ist ein Name?“einfach auf den Kopf. Über seine Cambridge Fünf sagten die Codenamen alles aus. Sie waren sogar so offensichtlich, dass sie – aus Sicherheitsgründen – im Laufe der Jahre geändert werden mussten.
Auf Philby passte der Name SÖHNCHEN perfekt. Der zweite Cambridgestudent, den Deutsch mit Philbys Hilfe rekrutierte, war Donald Maclean, Sohn eines angesehenen Politikers. Maclean hatte gerade seinen Vater verloren, als er Arnold Deutsch empfohlen wurde. Seine Verletzlichkeit machte ihn interessant. Er bekam den Codenamen WAISE. Ein weiterer wichtiger Rekrut, Philbys Freund Guy Burgess, wurde nach seiner sexuellen Orientierung benannt. Er erhielt den Codenamen MÄDCHEN, was an seine Homosexualität erinnerte. Guy Burgess‘ Liebhaber Anthony Blunt wurde TONY – eine Abkürzung seines Vornamens, die er selbst nie toleriert hätte –, und Cairncross, der letzte Rekrut in dieser Reihe und Experte für französische Literatur, war MOLIERE. Mehrere Codenamen, die Deutsch erfand, konnten bis heute nicht entschlüsselt werden. Wer zum Beispiel war der PROFESSOR? In der Forschungsliteratur wurde immer wieder vermutet, es handele sich hier um den marxistischen Wirtschaftswissenschaftler Maurice Dobb. Dobb war der berühmteste Kommunist in Cambridge und zeitweise Kim Philbys wissenschaftlicher Betreuer. Er war jedoch so sichtbar, dass er nie im Geheimen für die Sowjetunion hätte arbeiten können. Dobb agierte zwar als Talentsucher, der gelegentlich Studenten empfahl, aber sicher nicht als wichtiger Spion für Arnold Deutsch. Wenn man das System der Namen ernst nahm, dann konnte es sich bei dem „Professor“auch deshalb nicht um Dobb handeln, weil er kein Professor war. Als Kommunist hatte er keine Chancen auf einen Lehrstuhl und blieb zeit seines Lebens im universitären Mittelbau hängen.
Es musste also ein anderer Professor in Cambridge für die Sowjetunion arbeiten.
Wer auch immer dieser Professor war, er wurde nie so erfolgreich wie Kim Philby.
Wera legte ihr Kapitel über Arnold Deutsch zur Seite. Wenn Hunt recht hatte, dann war Kims Beziehung zu seinen zwei Vätern – Arnold Deutsch und Jack Philby – entscheidend für sein späteres Handeln. Es war offensichtlich, dass Kim Arnold Deutsch bewundert hatte. Aber was hatte er für seinen richtigen Vater empfunden? Soweit Wera es beurteilen konnte, war der alte Jack Philby in jeder Hinsicht ein typisch viktorianischer Vater. Er agierte als Alleinherrscher, er erklärte seine Befehle nicht, er ordnete an. Das waren die Verhältnisse, in die Kim Philby hineingeboren wurde, und er musste sie wohl akzeptieren – zumindest vordergründig.
Gleichzeitig waren es aber auch Verhältnisse, die jeden Sohn dazu bringen konnten, den Vater zu hassen. Jack Philby hatte seine Familie im Stich gelassen, er war ein Egomane, der seine Ehefrau und seine zahlreichen Kinder immer wieder demütigte, und all diese Kinder schienen unglückliche Erwachsene zu werden. Wera hatte gelesen, dass eine Schwester Philbys sich später zu Tode trank. Auch Philby wurde alkoholabhängig. Vielleicht hatte Arnold Deutsch also recht? Philby fürchtete seinen Vater, der die Familie tyrannisierte? Auf jeden Fall hasste Kim Saudi-Arabien, das Land, das sein Vater sich zur Heimat auserkoren hatte. In seiner Autobiografie hatte Wera dazu eine interessante Stelle gefunden:
„Der grenzenlose Raum, die klaren Nachthimmel und alles Übrige sind in kleinen Dosen genossen nicht schlecht. Aber für mich wäre ein Leben dort einfach unerträglich. Ignoranz und Arroganz sind eine schlechte Kombination, und die Saudi-Araber haben beides im Übermaß. Wenn dazu noch Unfreundlichkeit kommt, ist die Mischung geradezu widerlich.“
Sicher hätte er nie zugegeben, dass er eifersüchtig auf das Land war, das sein Vater sich als neue Heimat ausgesucht hatte. Aber der alte Philby hatte das sonnige Leben in Saudi-Arabien ganz offensichtlich einem Leben mit seiner Familie im tristen England vorgezogen. Das schien Kim nicht vergessen zu können. Gleichzeitig brauchte er seinen Vater und benutzte ihn mehrfach. Er bat ihn um Hilfe bei seinen ersten Jobbewerbungen. Jack Philby tat, was wahrscheinlich die meisten Eltern für ihre Kinder tun, er versuchte für seinen Sohn alle Kontakte zu nutzen, die er hatte. Er würde das immer wieder tun, Briefe für ihn schreiben, mit ehemaligen Kollegen reden – alles, um Kim auf der Karriereleiter nach oben zu helfen. In diesem Punkt war er ein guter Vater. Ein guter Mensch war er sicherlich nicht.
Wera hatte in einer Biografie gelesen, dass Jack Philby sich bei einem seiner seltenen Englandbesuche im Juli 1939 als Kandidat für die British People‘s Party aufstellen ließ. Es war eine semi-faschistische Partei, die einen Krieg mit Deutschland verhindern wollte und antisemitisches Gedankengut propagierte. Jack Philby verlor zwar die Wahl, aber er verlor nicht seinen Kampfgeist. Nachdem der Krieg ausgebrochen war, erklärte er jedem, dass Hitler ein bedeutender Mann wäre und die Briten einen schweren Fehler begingen, gegen ihn zu kämpfen. Unbeirrt setzte er seine Brieffreundschaften mit anderen faschistischen Sympathisanten in Großbritannien fort.
Die Frage stellte sich also, ob ein überzeugter Kommunist wie Kim ernsthaft einen Vater lieben konnte, der politisch am äußersten rechten Rand stand?
Doch trotz aller Gegensätze zwischen Vater und Sohn behauptete Kim Philbys dritte Ehefrau Eleanor in ihrem Buch „Kim Philby – The Spy I loved“, die Beziehung der beiden wäre ausgesprochen gut gewesen. Eleanor beschrieb ausführlich, wie sehr Kim seinen berühmten Vater bewunderte und wie er ihn noch kurz vor seinem Tod besuchte, um seine verworrenen Lebensverhältnisse zu ordnen.
(Fortsetzung folgt)