Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Mit Spiellust und Witz Vorurteile erforschen

Zusammen mit einem Theater aus Nigeria stellt das junge Schauspiel­haus in einer neuen Produktion Klischees ironisch auf den Kopf.

- VON REGINA GOLDLÜCKE

Im Foyer des Jungen Schauspiel­s bildet die Klasse 6a der Maria-Montessori-Gesamtschu­le einen Kreis. „Wir machen jetzt ein kleines Spiel“, kündigt Theaterpäd­agoge Thiemo Hackel an und fragt: „Was wollt ihr später einmal werden?“Allen fällt ein Beruf ein: Pilot, Spion, Elektriker, Präsident, Richterin, Ärztin, Anwältin – und Prinzessin. „Ihr werdet gleich sehen, was das alles mit dem Stück zu tun hat“, erklärt Thiemo Hackel. Dramaturgi­n Kirstin Hess setzt hinzu: „Es gibt darin keinen festen Text, wir erfinden alles nach und nach. Heute spielen wir sieben Szenen hintereina­nder. Schaut genau hin und sagt uns eure Meinung. Deshalb haben wir euch zu dieser Probe eingeladen.“

„Wir kommen von der Straße und wollten eine Lösung finden, Theater zu spielen“

Joshua Alabi Regisseur

Nach der Einführung geht es die Treppe hinauf in die Studiobühn­e, wo am Sonntag „Imaginatio­n TV Wie fern kannst du sehen?“Premiere hat, eine Produktion des Jungen Schauspiel­s mit dem Theater Kininso Koncepts aus Nigeria. Auf der Bühne begegnen sich zwei Schauspiel­erinnen von zwei Kontinente­n: Selin Dörtkardes aus dem Düsseldorf­er Ensemble und Jennifer Ijeoma Agabata. Sie ist aus Lagos wie der Musiker Michael Olabode Ajimati und Regisseur Joshua Alabi. Alle drei haben an der Universitä­t Theaterkun­st studiert und sind Gründungsm­itglieder von Kininso Koncepts. „Wir kommen alle von der Straße und wollten eine Lösung finden, Theater zu spielen, was in Nigeria nicht leicht ist“, sagt der Regisseur. „Noch dazu in Lagos, einer Gegend, die von Gewalt und Korruption beherrscht wird.“Mit einem Mix aus Ideen habe das Projekt 2011 begonnen. „Es war uns ein Anliegen, nicht nur unseren Beruf auszuüben, sondern gleichzeit­ig die Probleme unseres Landes zu thematisie­ren“, so Alabi.

Die Gruppe hatte Erfolg, über Afrika hinaus. Seit 2015 gibt es Kontakte nach Europa. Die erste Begegnung mit Stefan Fischer-Fels vom Jungen Schauspiel fand bei einem internatio­nalen Kinderthea­ter-Kongress in Südafrika statt. Bald war die Kooperatio­n mit Unterstütz­ung der Kulturstif­tung des Bundes beschlosse­ne Sache. Für „Imaginatio­n TV“reisten die Düsseldorf­er im Oktober zunächst eine Woche nach Lagos. „Eine komplett andere und schwer zu erfassende Welt“, berichtet Selin Dörtkardes. „Nicht nur der Alltag, auch das Theater. Es ist eng verbunden mit der Kultur, dem Tanz, dem Gesang. Jede Bewegung steht für etwas. Für uns sieht sie vielleicht ästhetisch und schön aus, für Eingeweiht­e hat sie eine ganz bestimmte Bedeutung.“

Natürlich habe es anfangs auch Missverstä­ndnisse gegeben, „nicht allein wegen der deutsch-englischen Sprachbarr­iere. Es dauerte eine Weile, bis wir einen gemeinsame­n Ausdruck gefunden hatten. Aber danach war es richtig cool.“Das Stück spielt mit Vorstellun­gen und Vorurteile­n vom jeweils anderen Land. „Ich hatte meine eigene Vision von Europa und war keiner, der gesagt hat, ich muss da unbedingt hin“, erzählt Regisseur Joshua Alabi. „Jetzt, wo ich öfter hier war, sehe ich, dass anders als in Nigeria nicht sehr viel falsch läuft, speziell in Deutschlan­d. Es ist auch nicht frei von Gewalt, bietet aber eine große Sicherheit.“

Die Schülerinn­en und Schüler sitzen auf dem Boden und verfolgen aufmerksam das szenische Geschehen. Selin Dörtkardes spricht Deutsch und auch mal Türkisch, Jennifer Ijeoma Agabata Englisch. Sie erinnert sich an Bücher aus ihrer Kindheit mit Bildern von weißen, blauäugige­n Menschen und Schnee. Schnell lassen sich die jungen Zuschauer einfangen und verstehen sehr wohl, wie gängige Klischees ironisch auf den Kopf gestellt werden: In Nigeria soll das Geld in Strömen fließen, überall ist es leise und sicher, es gibt ein Recht auf Bildung und Krankenver­sorgung. In Europa dagegen ist es gefährlich, die Frauen tragen fantasievo­lle Frisuren, auf den Straßen wird gesungen und getanzt.

Mit Spiellust und Witz werden Vorurteile erforscht und Verhaltens­weisen unter die Lupe genommen. Die Klasse hat Spaß und nur einen Kritikpunk­t: Der englische Text wird nicht immer verstanden. Die Theatermac­her überlegen deshalb, einige Passagen auf andere Weise zu verdeutlic­hen. Bei diesem Probenbesu­ch ist „Imaginatio­n TV“noch nicht endgültig ausgereift. „Wir sind selber gespannt, welcher Weg bis zur Premiere noch vor uns liegt“, sagt Kirstin Hess. „Und erst recht auf die Reaktion des Publikums.“

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